Paul Reichenbachs Donnerstag, der 24. August 2006. Der Mittwoch am Abend.

Ich saß am PC, der Bildschirm blickte mich fremd an, Sloterdijks Wortgewimmel wollte sortiert werden und ich war viel zu müde, um diesem philosophierenden Cagliostro noch folgen zu können, als es gegen 19.00 Uhr klingelte. Meine Schwägerin und ihr Mann standen in der Tür. Unangemeldet. Wenn ich etwas sehr hasse, dann sind es unangemeldete Gäste, die zur Übernachtung bleiben wollen. Als ob es keine Telefone gibt. Sie platzten mitten in unsre, seit Montag wachsende, vorsichtige Annäherung. „Bis Sonntag können wir bleiben, ihr freut euch doch?“, so die etwas aufgesetzt klingende Frage meiner Schwägerin. Sie haben hier zu tun, er ist Möbelhändler in Ostsachsen. Das Geschäft floriert offenbar, wie man an den ständig größer werdenden Autos, die sie fahren, sehen kann. Sie seien hier zur „Rotarytagung“ und wollten die Gelegenheit nutzen uns zu überraschen, so mein Schwager. Das ist ihnen gelungen. Hotelkosten wollten sie sparen, dachte ich für mich. Meine Frau tafelt auf, als wären wir in Moskau oder Tiflis. „ Macht euch keine Umstände, das muss doch nicht sein, ja ich nehme noch gern von dem Salat. Der Wein ist ein wenig zu trocken, findest du nicht?Hm, brumme ich und Sloterdijks Titel: „Weltinnenräume des Kapitals“ frottiert meine Ganglien, findet keinen Haken, zerfällt zur Buchstabensuppe, deren wenige Fettaugen dröge glotzen. Keine Ausrede will mir einfallen, keine Flucht scheint möglich. Einzig der Gang in Keller und Küche, um diesen sich ins Hirn bohrenden Borrelien neue Nahrung zu verschaffen, lässt mich Luft holen und kleine Freiheit finden. Der Keller, ein Weltinnenraum. Sein Kapital, Momente der Ruhe, nutze ich mit wachsender, diebischer Freude.
Eine unheimliche Vermehrung geöffneter Flaschen war die Folge. Und der Abend nahm kein Ende…So verging meine Zeit, die am Mittwoch mir gegeben war In der Nacht träumte ich von Fernando de la Jaras Bild Bodegon del Camino

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