Es gibt keinen, der bestimmt. Das ist das Problem dieses Erzählens, daß jegliche Hierarchie aufgehoben werden soll. Deshalb kann es weder Befreier noch Erlöser in ihr geben – alles ist reiner Prozeß. (So wandeln sich auch die Charactere, sie sind niemals letztlich bestimmt). Deshalb ist auch jeder Diktator – oder sagen wir im alten Sinn: ‚Tyrann’ – nichts als eine Funktion der Matrix*. Nichts anderes meint der Terminus Wechselwirkung, er bindet die Erzählung an die (sub)atomare Physik. Eine solche Dichtung ist nicht einmal bloß dual, sondern polyvalent, und jedes Motiv wirkt nicht nur innerhalb des Netzwerkes je zwischen den Synapsen, gegenseitig jede auf jede, sondern auch zwischen den möglichen Dimensionen – den Räumen ihrer jeweiligen Erscheinung – durch die Membranen hindurch, die sie voneinander als Möglichkeiten trennen.
Jede Möglichkeit i s t. Dieser Gedanke hebt die Wirklichkeit der Geschehen nicht auf, sondern bewahrt das mögliche Einzelne in seiner ganzen Erfüllung und Tragik. Wer denken kann, daß jede Möglichkeit sei, weist den Vorwurf der Beliebigkeit ab. Beliebig ist vielmehr das Erzählprodukt eines sogenannt realistischen Erzählens, das mit seinem Thema und der scheinnaturalistischen Struktur seiner Chronologie alles folgende s e t z t, dessen A u t o r also es setzt. Die Möglichkeitenpoetik streicht dessen (bestimmt) Intentionen durch und folgt allein den möglichen Wegen, die eine Erzählung nehmen kann, folgt möglichst a l l e n. Dabei ist es wichtig, sich klarzumachen: Wer bei einem Autounfall ein Bein verliert, der h a t es verloren, es ist keine Illusion, es ist nicht nur ein Text. Welt ist n i c h t nur Interpretation. (Auch Geschlechter sind es nicht). Der im Krieg Geschlachtete w u r d e geschlachtet. Auch Guantánamo g i b t es. Den Zahlungsbefehl gibt es, den Zahnschmerz. Und zwar unabhängig davon, ob ‚die Geschichte’ in einem anderen Strang der Bifurkationen völlig anders weitergeht, daß etwas anderes möglich wäre, das dann ebenso i s t. Wer sich das klarmacht, fühlt unmittelbar, daß hier immer – jeweils! – die Unbedingtheit eines nicht rekursiven Geschehens erzählt wird. Welt eben. Die Möglichkeitenpoetik erlöst nicht: sie ist fatal – das heißt schicksalhaft. (Deshalb kennen solche Romane keine ‚Endzeit’, sondern schreiben sich immer weiter. Eine irgend geartete ‚Rückkehr’ ins Paradies ist ebenso ausgeschlossen wie das Subjekt der Geschichte: alle Teleologie geht davor in die Knie.)
(*) Vielleicht läßt sich sagen, daß sich hierin das hegelsche Verhältnis von Herr und Knecht fortsetzt, nur daß sich, ökonomisch betrachtet, jegliche Absicht aufhebt.)
“Noch eines. Wie man Probleme löst, Ungerechtigkeiten.
Als ich meinen Jungen am Freitag von der Schule abhole, kommt er mir weinend entgegen. „Ein Junge hat meine neuen Pokemon-Bälle weggenommen, hat sie aufgemacht und die Figuren darin ins Klo geworfen und weggespült.“ „Wer?“ „Ich weiß nicht. Aber Vincent weiß.“ Wir zu Vincent hin, der mich, weil mir wohl die Wut auf der Nase steht, ängstlich ansieht; er ist selbst ein Lausbub: „Ich war’s nicht, ich war’s nicht.“ „Klar“, sag ich, „hab ich auch nicht gedacht. Aber w e r war’s?“ Er nennt mir einen Namen: J. „Komm mit, zeig mir den Burschen.“ Der hat sich aber verkrümelt, ich spreche eine Lehrerin an, die beiden Jungs um mich rum. „Da müssen wir den Eltern mal was sagen, sowas hat J. öfter gemacht in letzter Zeit.“ „Das lassen Sie bleiben“, sag ich, „das regeln wir unter uns. Aber wo ist er?“ Ich finde ihn, ich sprech ihn an. Er ist zwei Köpfe größer als Adrian, gewiß zwei Jahre älter. Schon das bringt mich in Harnisch. Man läßt seinen Machtwillen nicht an Schwächeren aus. „Lüge erst gar nicht“, sag ich zu ihm, „du bist gesehen worden. Also: Hast du das getan?“ Er nickt. „Warum?“ Nun eine Ausrede: „Ich hab die Bälle von jemandem getauscht, hab gedacht, das seien dessen.“ Er bekommt dabei ein Gesichtchen, dieser mir eigentlich sympathische Strolcher, daß ich ihm am liebsten, um ihm Mut zu machen, freundschaftlich auf die Schulter schlagen würde. Aber hier muß er allein durch. „Ah ja? Und warum hast du die Figuren dann weggespült?“ Darauf weiß er keine Antwort. Er druckst. Neben ihm hockt ein anderer Vater mit seinem Sohn, beide gucken mich ganz erschreckt an, soviel energischen Ärger scheine ich auszustrahlen. „Also paß auf“, sag ich. „Am Montag früh hast du die gleichen Pokemon-Bälle wieder besorgt. Dafür garantiere ich dir, es wird keinen Ärger mit den Lehrern geben, keine Strafe von denen, nichts. Du bringst die Sache einfach wieder in Ordnung.“ „Wie soll ich das denn tun?“ fragt er und weint fast. „Kann ich Adrian nicht was anderes geben?“ „Nein“, sag ich, „sondern das gleiche. Es müssen genau die gleichen Figuren sein.“ „Aber das geht nicht, das kann ich nicht!“ „Du wirst es hinkriegen. Du hast zweieinhalb Tage Zeit. W i e du es machst, ist d e i n Ding. Es war a u c h deines, die Dinger wegzuspülen. Also ich verlaß mich drauf, dann wird alles vergessen sein, von mir aus, von Adrian aus, und wenn die Lehrer noch mit etwas kommen sollten, dann sag es mir, dann schütz ich dich.“ Damit dreh ich mich um, mein Junge sieht mich an, lächelt. „Weißt du“, sag ich, „man regelt solche Dinge unter sich. Man rennt n i e zu fremden Autoritäten.“”
Wie können Sie soetwas machen. Wie können Sie einen Menschen der schwächer ist als Sie unter solchen Druck setzen. Das ist finster, unfair und verwerflich. Mag ja sein, dass sie ein genialisches Kind haben, aber warum lassen Sie es seine Konflikte nicht allein lösen. So etwas schürt Gewalt, die eines Tages umgesetzt wird. Kinder müssen Erwachsene bekämpfen weil sie von ihnen abhängig sind.
Was sie mit Erwachsenen machen ist vollkommen egal, die sollten in der Lage sein ihnen aus dem Weg zu gehen oder sich zu wehren, aber Kinder können das nicht und diesen Umstand nutzen Sie auf das schamloseste aus. Bitte antworten Sie nicht auf diesen Kommentar, denn alles was dazu von Ihnen kommen könnte ist entweder Rechtfertigung oder Angriff, also langweilig. (Höchstwahrscheinlich werden Sie das löschen, tun Sie es. Aber sie löschen es erst, nachdem Sie es gelesen haben. Das nützt dem Jungan auch nichts mehr, dennoch haben Sie es gelesen.)
Hochachtungsvoll. Einer Ihrer Leser…
Wieso sollte ich das löschen? Und sicherlich antworte ich auf Ihren Einwand. Den verstehe ich prinzipiell, auch wenn er an der Sache vorbeigeht. Was ich erzählte, war, daß ein zwei Jahre älterer Junge einen zwei Jahre jüngeren absichtsvoll bestohlen und geschädigt hat, indem er die Spielfiguren des anderen durchs Klo spülte. Das ist mehr als nur eine Schädigung, das ist zugleich feige. Der Ältere wollte den Jüngeren verletzen. Symbolisch schlimmer, als hätte er ihn geschlagen.
Nun bekam er es mit jemandem zu tun, der da eingreift und sagt: “Bring das nun auch wieder in Ordnung. Dann ist die Sache vergessen.” Der Feigheit, die der schädigende Junge an den Tag legte, kann er nun mit Mut begegnen. Das ist eine Chance. Die andere Möglichkeit wäre gewesen, zu Lehrern – also Autoritäten – zu rennen und diese intervenieren zu lassen, sowie von den Eltern des Schädigers Schadenersatz zu verlangen. Es hätte geheißten, die direkte Konfrontation zu vermeiden. Un es wäre für den schädigenden Jungen k e i n e Chance gewesen.
Hätte es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Gleichaltrigen, zumindest gleich Starken gehandelt, wäre ich Ihrer Meinung. Dann hätte mein Sohn die Angelegenheit selbst austragen können. Das war aber nicht der Fall. Sondern ein aus Altersgründen sehr viel Stärkerer hat sich an einem kleinen Jungen sein Mütchen gekühlt und wollte billig zu Machtgefühlen kommen. Auf so etwas muß in jedem Fall reagiert werden. Nichts anderes tat ich, und zwar – das ist mir wichtig – ohne fremde Autoritäten einzuschalten.
Im übrigen ist es immer das gleiche: Diejenigen, die auf moralische Weise attackieren, bleiben sowohl gern anonym als auch einen eigenen Lösungsvorschlag schuldig: “warum lassen Sie es seine Konflikte nicht allein lösen” – wie soll ein Sechsjähriger das denn gegenüber einem Sieben-/Achtjährigen tun? Indem er denunziert, gewiß. Genau das will ich aber vermeiden, daß mein Junge einem Lehrer etwas sagt. Er soll lernen, sich auf gar keinen Fall an eine Macht-Autorität zu wenden. Wenn er mitbekommt, daß seine Eltern im Zweifelsfall die Sache lösen – und zwar so, daß der andere Junge eine Chance hat -, wird er sein Grundvertrauen in sich selber behalten und weiterentwickeln, und zwar über das bleibende Mutter-/Vater-Introjekt. Rennt er zu einer Autorität, die außerhalb seiner nächsten Gefühlswelt steht, wird er das höchstwahrscheinlich auch im späteren Leben tun und eben n i c h t auf sich selbst vertrauen.
[Diese Auseinandersetzung gehört in eine andere Rubrik. Ich werde sie später am Abend eröffnen, und dann die Aueinanderseitzung dahin verschieben. Momentan langt die Zeit nicht.]
Neulich habe ich gelesen, dass Sie erstaunt darüber waren, dass Sie jemand mit den Worten (so oder ähnlich) begrüßt hat: Ich habe gehört Sie sind einundfünzig.
Kluge Begrüßung.
(Ein Kind hat irgendwelche Figuren in irgendein Klo gespült… und dass sollten Kinder unter sich lösen, ohne Autoritäten… ob nun fremd oder nicht… Niemals ist die Welt gleich stark. Einem Erwachesenem hätte ich vermutlich auch Schläge angeboten, aber einen Schwächeren nachhaltig unter Druck (immerhin übers Wochenende) zu setzen bedeutet für denjenigen psychische Qual und psychische Verbrechen sind die schlimmsten, ….)
Hochachtungsvoll
Verzeihung, aber Sie sehen die Chance nicht, die der schädigende Junge nun hat. Und “immerhin übers Wochenende”. Wenn er pfiffig ist und sein Mut der bewiesenen Feigheit gegenüber Kleineren entspricht, dann findet er eine Lösung und gewinnt enorm an Selbstachtung. Im Zweifel werden ihm seine Eltern dabei helfen. Abgesehen davon wäre ich auch bei einem Erwachenen nicht auf die Idee gekommen,ihm “Schläge anzubieten”, sondern auch da hätte ich es vorgezogen, ihm eine Möglichkeit zu geben, die Scharte mit S t o l z auszuwetzen.
Aber was red ich mit Ihnen? Sie bleiben ja anonym, so müssen Sie auch nicht umdenken, bzw. umfühlen. Sie wissen doch, es gab so einen Denunziantenkasten in Venedig am Dogenpalast. Den hätten Sie ganz sicher genutzt. Falls Sie meinen, daß ich mich da irre, dann bitte ich um Ihren Klarnamen, und wir tragen die Angelegenheit diskutierend von Auge zu Auge oder gern auch am Telefon aus.
Nachtrag Ich bitte um Verzeihung, ich übersah:
“Im übrigen ist es immer das gleiche: Diejenigen, die auf moralische Weise attackieren, bleiben sowohl gern anonym als auch einen eigenen Lösungsvorschlag schuldig”
Ich hatte das in meinem ersten Kommentar schon angekündigt: Sie kommen ohne Angriff einfach nicht aus. Wenn Sie sich von mir angegriffen fühlen, bitte ich um Verzeihung. Mir fiel nur eine Ungerechtigkeit auf und die habe ich , ohne zu wissen was Moral ist, aufgezeigt. Was Lösungsvorschläge betrifft, dachte ich, dass es mir nicht zusteht Ihnen welche zu unterbreiten. Aber man kann ja mal versuchen nach Gründen zu fragen. Jedenfalls habe ich das versucht mit meinen Kindern so zu halten als sie klein waren und große Probleme hatten. Das scheint ganz gut geklappt zu haben, denn die können heute durch eigene Kraft für ihren Lebensunterhalt sorgen, ohne sich unterbuttern zulassen in den rauhen Gefilden der Welt als Künstler. (Aber wem sage ich das!)
Noch ein Wort zur Anonymität. Noch spricht man vom Internet und nicht von der einen Seite. Was wollen Sie von mir wissen. Wie kann ich im Internet nicht anonym sein, wenn ich keine Seite habe, oder darf ich nur im Netz teilnehmen, wenn ich auch eine Seite habe und dort meine persönlichen Daten veröffentliche. Warum sollte ich das tun, falls das notwendig ist mache ich das gern und sofort. Aber was ändert das. Ich habe mich schließlich registrieren müssen (wollen), um das hier schreiben zu dürfen. Das mit der Registrierung haben Sie so gewollt, es ist Ihre Seite (Site). Wenn Ihnen Ihre selbstgewählten Mittel nicht ausreichen, greifen Sie zu anderen Mitteln… (Vorschlag)
Hochachtungsvoll
karlheinz