Den Körper aus der Haut reißen. NACHHALL (12. April 2006).

Lesung und Gespräch
mit
Monique Schwitter und ANH.
Moderation: Katharina Döbler.

11. APRIL 2006.
20 Uhr.
Literaturwerkstatt Berlin.
Kulturbrauerei.
Knaackstraße 97 (Prenzlauer Berg).

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N A C H H A L L

Also voll war’s n i c h t grade, sowas um 30/35 Leute, aber interessiert. Schöner, mit Situationshumor gewürzter Text von >>>> Monique Schwitter und eine kluge These Katharinna Döblers: in unserer Generation, ihrer und meiner, spielten Grenzüberschreitungen eine Rolle, in derjenigen Schwitters werde viel mehr in den Grenzen des Alltags ausgehorcht, was gehe; die Grenzen seien dort akzeptiert. – Es ist sicherlich etwas daran, wenn es auch gerade nicht für die Literatur stimmt; denn die sei, wandte ich ein, bei den Nach68ern ja nun eher von, gerade auch ästhetisch gesehen, realistischen Konzepten bestimmt worden oder von solchen Unsäglichkeiten wie jener „Verständigungstexte“ genannten Serie bei Suhrkamp. Das gehe doch so bis in die Achtziger Jahre. Aber persönlich, entgegnete Döbler, sei das eben anders gewesen, da habe man gespürt, daß jetzt ‚fast alles möglich sei’, und das habe man auch ausprobiert.
Ob das nun stimmt oder nicht, so vergleicht sie doch Äpfel mit Birnen. Denn bei Schwitter und etwa Gleichaltrigen machte sie die Grenzakzeptanz gerade in der Literatur aus, bei ‚unserer’ Generation aber im Leben. Witzig ist dabei, daß sie als literarische Beleg für ihre These nun ausgerechnet m e i n e Literatur hernahm, die sich aber gerade doch dadurch characterisiert, daß sie so ziemlich eigene Wege geht und die Nach68er Ästhetik eben n i c h t mitgemacht hat, und zwar nie. (Entsprechend nannte Döbler, die seinerzeit THETIS ziemlich gut für DIE ZEIT rezensierte, das ANDERSWELT-Projekt einen ‚ausgesprochen einmaligen Roman’ in der deutschsprachigen Literatur. Was ehrt, aber ebenfalls nicht ganz stimmt, weil es Arno Schmidt unterschlägt, Niebelschütz unterschlägt, Wilhelm Muster unterschlägt – und einige mehr. Von denen, die man vergessen gemacht hat, will ich nicht reden, weil sie ja eben vergessen s i n d und niemand sie kennt.
Mir fiel an Schwitters Text auf, und ich notierte das, während sie las, wie einfach und wie geradezu automatisch Wiedererkennbarkeit wirkt, wie sehr sie die Menschen (in diesem Fall die Hörer) anspricht, wie nah ihnen das Vertraute auch dann ist, wenn sie das Vertraute nicht mögen, und daß sie nach diesem Vertrauten ganz offenbar verlangen. Schon bei Burkhard Spinnens Texten war mir dieser große Erfolg immer ein Rätsel: Da hat man Jahre der Adoleszenz und der Reife durchgekämpft, um endlich den kleinbürgerlichen Mief der Elternhäuser zu verlassen, und dann, später, tut man ihn sich in Gestalt von Romanen wieder an. Meine eigene Bewegung war so ganz anders, mich hat immer das Fremde gelockt, das Unsichere Nichtvertraute, und dem versuche ich, schreibend näherzurücken, es zu öffnen und hineinzusehen.
Guter Einwand vom Profi, der später zur Lesung hinzukam: Na ja, das mit den Möglichkeiten, die nach 68 plötzlich offengestanden hätten, sei so eine Sache: nämlich allenfalls für ein paar Studenten und sonstige Intellektuelle, an der Bevölkerung insgesamt sei das indessen fast spurlos vorübergegangen und insofern kaum von gesellschaftlicher Relevanz. Aber auch die anderen hätten sehr schnell das Beharrungsvermögen des Kapitels gespürt, das auf die im 18. Jahrhundert begründete Bindung von Kapital an Grund und Boden gestützt gewesen sei; man habe eben n i c h t leicht etwas verändern können; deswegen sei es eben auch sehr schnell zur ersten Bildung der Stadtguerilla gekommen.
Der Einwand sprengte die Diskussion… nein, er ließ sie zerbröseln. So zogen wir dann in die Kneipe. Die Flasche Weines, die Sie hierüber sehen, war allerdings v o r der Lesung entplompt.

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