Versagen vor Kondomen.

Offenbar ist die Furcht vor dem Tod geringer als die vor etwas anderem. Denn es ist überhaupt kein Problem, „ungeschützt“ zu lieben. Aber ich muß so ein Ding bloß sehen, fällt mir das meine zusammen. Das ist ein derart konditionierter Reflex, daß ich mittlerweile nur noch auflachen kann. Was die jeweilige Partnerin oft irritiert. Schon die F r a g e nach dem Kondom führt bei mir zur Verweigerung. Also dazu, nicht mehr zu wollen. Das kann, kommt das Gespräch darauf, schon bei einer ersten Begegnung geschehen, im Restaurant, in einem Café, das passiert mitten im Akt. Ganz plötzlich ist das erotische Interesse erloschen.

(Also ist es offenbar keine Furcht, sondern Angst, nämlich objektlos. Denn Furcht vor was? Furcht vor Versagen kann es ja eben nicht sein. Also eine vor den Gerichtsvollziehern oder dem endlosen Papierkram, den das Finanzamt dem „freien Beruf“ abverlangt? Vor der Häme, mit der ich es im Literaturbetrieb zu tun habe und auf die ich seit ein paar Jahren aufs schärfste reagiere, was die Anzahl meiner Gegner allerdings nur noch vermehrt? Auch Furcht vor Verlust kommt kaum infrage, denn den holt mir diese Angst ja gerade ins Haus. Ich w i l l, wenn ich liebe, riskieren.
Das Versagen vor Kondomen begleitet mich seit knapp drei Jahrzehnten, doch mit der AIDS-Invention wurde der Reflex radikal. Als sollte ich zu dem, was ich nicht wollte, gezwungen werden und wäre, wie bei jedem anderen Zwang, sofort in eine rigorose Widerstandshaltung arretiert. Allein die Profanierung, welcher der Liebesakt unterworfen wird, indem man ihn kalkuliert, ist mir zuwider: Er soll Rausch und Auflösung sein, nicht pragmatische Triebabfuhr. So erfüllt mich heute die Klage, es schützten die jungen Leute sich nicht mehr, mit einem Gefühl tief übereinstimmender Befriedigung.)

Wirkt ein unbewußter Kinderwunsch, dessen Natur den Gedanken an Krankheit nicht kennt? Wirkte er in mir, bis heute, seit je? Das könnte erklären, weshalb ich die Frage nach der Verantwortung zwar verstehe und auch ganz berechtigt finde, nicht aber fühlen kann. Mein Instinkt widersteht ihr. Und läßt mich, wird sie gestellt, ganz konsequent versagen.

5 thoughts on “Versagen vor Kondomen.

  1. Sehr geehrter ANH,

    das von Ihnen beschriebene und erwogene Phänomen, das der Verweigerung des Gliedes vor einem Gummipanzer, ist nicht so sehr Ihres, sondern vermutlich ein allgemeines und ganz sicher allgemein verschwiegenes. Deshalb ist darüber auch kaum Aufschluss zu erlangen und man bleibt mit seiner Vermutung zurück, dass hier Verhältnisse zusammenwirken, von denen man(!) glaubt, sie hätten hier nichts zu suchen. („frau“ ist auch nicht klüger. Eine Freundin sagt, „Er ist halt ein ganz sensibler“.) Ich vermute, dass hier Verbote eine Rolle spielen, die dem komplexen Zusammenwirken nicht so einfach ausgeredet werden können. So kriegt übrigens das Wort „Versagen“ unversehens einen sinnvollen Sinn. Das Verbot einer Sinnlichkeit jenseits aller Zwecke und Kautelen.

    WM

    1. Ihre Aussage ist erhellend, wenn auch logischerweise noch nicht repräsentativ. Ich versuche seit einigen Jahren, unter anderem auch durch meine Arbeiten, solche Sachverhalte in die Diskussion zu bringen. Aber es wird geschwiegen oder gar verhämt. Was bei mir dazu führt, nur erst recht zu wittern, daß hier etwas weggegraben werden soll, gerade w e i l es wirkt. Und nur erst recht zu beharren. Es ist schon eine Frage des Stolzes, sich nicht den Mund verbieten zu lassen und – wie der frühe Heller einmal sagte – “sich zuzugeben”. Ihre Formulierung, es ließen sich dem komplexen Zusammenwirken Verbote (wahrscheinlich internalisierte Maßstäbe, also Tabus) nicht einfach ausreden, hat einen sehr schlagenden Witz… – und nur mit solchem Humor, glaube ich, läßt sich unseren “Macken” offensiv begegnen.
      Der Satz “Er ist halt ein ganz Sensibler” ist – sicherlich ungewollt – von besonderer Infamie, da er das Geschlecht nun verkindlicht und gleich das nächste desexualisierende Tabu ins Spiel bringt. Vielleicht deshalb in solchen Situationen mein Lachen: Es weist Sanktionierung kurzerhand ab.

      [Bei Hindemith, Cardillac.]

    2. Kondome machen Sex konsumistisch, halbreal,
      wie eine Art Schuhe anprobieren beim
      Schuhhändler, oder wie sich unverbindlich
      die Hand geben…
      Authentizitätsverlust, Maschinenfick…
      als Assoziation dazu.

  2. Sehr nachvollziehbar ist mir, was sie da schreiben. Mein Körper, oder ein Teil davon, verweigert zwar nicht vollständig, aber der Fluß des Geschehens ist gebremst und unnatürlich verändert. Das schmälert deutlich jede Lust.
    Ich drücke das hier nicht so wortreich und gewandt aus, wie Sie. Die beste Beschreibung für einen Akt mit Präservativ, die ich kenne, stammt von einer Freundin, die sagt: “Sex mit Kondom ist wie Füssewaschen mit Gummistiefeln.”
    Ein zweites Bild aus dem Alltag, das sich in den letzten Jahren einschleicht, ist das der Verkäuferin, die eine Wurstsemmel, die ich bestelle, mit Gummihanschuhen zubereitet. Es gibt nachvollziehbare Gründe dafür. Ich mag es trotzdem nicht und empfinde es als widernatürlich.

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