Untriest 4: Selbstzerstörung nach Paris. Donnerstag, den 8. Januar 2015.

(9.25 Uhr.)
Bin, Liebste, ein bißchen desorientiert heute morgen. Dabei war der Abend gut. Schau, ich leg Dir ein Bild bei:


Abendessen bei Broßmann


So war ich doch einmal wieder hinausgekommen. Den Schinken nahm ich mit; er ist nun schon einige Male anderswo zu Gast gewesen. Nachts begleitete er mich dann wieder nachhaus, nicht freilich, bevor sich der Freund zu späterem Verzehr noch einige Streifen heruntergeschnitten hatte. Wann ich ins Bett kam, weiß ich nicht mehr. Ich kam auch erst um sieben Uhr hoch, saß dann am Schreibtisch und wußte nicht weiter. Wahrscheinlich werde ich aus dem Hörstück noch eine Szene herausnehmen müssen, um weitere Zeit für Pausenübergänge zu gewinnen, will aber erst die Reaktion meiner Redakteurin abwarten, was mich in eine Aushaltphase dreht, bei der ich nicht recht weiß, wie weitermachen.
Doch, ich habe den nächsten >>>> Triestbrief begonnen, kam indessen nicht über vierfünf Zeilen hinaus, einfach, weil diese Warterei es kaum zuläßt, sich wirklich so in etwas anderes zu begeben, daß die nötige Intensität dabei entsteht. Außerdem beschäftigt mich Paris – also >>>> der gestrige Terroranschlag auf die >>>> Charlie Hebdo; im Kopf diese Morde, die tatsächlich Auslöser für einen Kultur-, eigentlich Religionskrieg mitten in Europa werden könnten, kommt mir mein Liebesroman ephemer vor. Selbstverständlich ist er das nicht, das Thema bleibt auch bei Katastrophen virulent, aber wenn ich die Foren so durchschaue, wird mir schaurig. Der radikale Islamismus erreicht in den von ihm attackierten Gesellschaften vielleicht genau das, was diese Gesellschaften wird zerbrechen lassen. Nicht er opfert ihre Freiheitswerte, sondern – unter der Vorgabe von Schutzmaßnahmen – sie tut es selbst. Siehe Pegida. Da liegt die eigentliche Gefahr, in uns und unseren Ängsten selbst, ganz unabhängig davon, wie objektiv begründet sie sind. „Those who surrender freedom for security will not have, nor do they deserve, either one“, schrieb bereits Benjamin Franklin.

(15.15 Uhr.)
Mußte kurz weg, dann kam mein Sohn. Auch mit ihm über das Pariser Attentat gesprochen, vorher auch lange in Facetime mit der Löwin. „Was sollen wir tun?“ fragt mein Sohn zu recht. „Der Schlüssel“, antworte ich, „ist die Bildung. Was willst du von Menschen erwarten, die völlig chancenlos sind, zumal mit algerischem Hintergrund und deshalb gerade in Frankreich, sofern sie der Unterschichte entstammen, sowieso schon Underdogs? Da suchen sie sich Bedeutung, irgendwo her. Dies ist, glaube ich, was jetzt verstärkt beredet werden müßte, nicht etwa darf an weitere Einschränkungen der Bürgerrechte gedacht werden. Wir müssen nach G r ü n d e n fragen und an s i e die Hand legen, nicht aber an unsere Grundwerte. Halten wir es anders, wird der fundamentale Islamismus siegen, und zwar zwiefach: zum einen über uns, zum anderen über in unserer Nachbarschaft die tolerant gesonnenen Muslime, die genau so wie wir einfach nur leben möchten.“

10 thoughts on “Untriest 4: Selbstzerstörung nach Paris. Donnerstag, den 8. Januar 2015.

  1. (Idee ist aber auch, vielleicht, daß bereits diese Briefe der Roman sind. Nicht schwer, sich ein Buch vorzustellen, daß “Briefe nach Triest” heißt: ins Antwortlos hineingeschrieben und selbst schon immer die Antwort. Braucht es denn Handlung? Und wenn, muß sie narrativen Regeln folgen?)

    1. Siehst Du, diadorim, so >>>> verschieden lesen Menschen und lassen Menschen sich ein oder nicht. Deshalb können wir immer nur bei uns bleiben, dem, was wir für wahrhaftig glauben. (Der explodierenden Pavoni entsprechen, würde ich es, ein wenig bitter, ausdrücken, die vielen US-Amerikanismen >>>> in Deinen Gedichten: Prägungen, Geprägtheiten. So, wie Du meinen Hohen Ton scheut, haut wiederum mich eine jede solche Anbiederung aus Deinen ansonsten wunderschönen Texten raus, komplett.)

    2. die mischung machts, ich hab aber doch auch portugiesisch drin, ne ganze strophe. und ich liebe frank, strand, evans, levitt, eggleston, friedlander, shore, soth, mcbride etc mein neuer lieblingsort: das c/o am zoo. ich weiß nicht, ob man das als anbiederung verstehen muss bei meinen texten. wenn du es nicht magst, ist es ok, ich kann mir berlin ohne den “amerikanischen sektor” auch gar nicht so richtig gut vorstellen. aber kann auch sein, dass durchaus was dran ist, an deiner kritik. muss ich aber erst mal einweichen und gucken, ob was draus wächst, worum ich mich mal kümmere :).

    3. “Anbiederung”, diadorim, nehme ich wieder zurück; war eine unfaire Bemerkung, die ich auch nicht glaube. Ich hab einfach automatisch reagiert, meine trauernde Arbeit durch Zuschlagen schützend. Sie fällt mir schwer genug, auch, weil ich momentan gar nichts andres mehr tun kann, jede Faser Ich in sie eingewoben ist.

    4. versteh ich wohl. so ist es nicht. ich hau aber hier immer nur mitm straußenstaubwedel zu, das ist mehr kitzeln, und soll dich eigentlich eher aufmuntern. falsche strategie, ick weeß. klingt halt nach ordentlich aua. wenn ich mich aber jetzt dazu hocke und sage, ja, aua aua, obs dann besser wird. oder obs was hilft, dass sich sage, ich kenne gerade noch einen kosmos aus autschen, der sich zwischen hh und b aufspannt, ich glaub eher nicht.
      ich depp hab dann auch heut komplett in gedanken gleich die kohle, die ich ziehen wollte, nicht ausm automaten genommen. nerv.

  2. liebe alban: deine briefe nach triest wären als buch schon jetzt eines meiner lieblingsbücher: das ist reine und große poesie: klug bis in die äußerste schmerzbahn: liebe grüße ! thomas

  3. (Immerhin ein nächstes Montale-Gedicht übersetzt; ich kann es aber noch nicht einstellen, weil ich eine Änderung vorgenommen habe, die eine bessere Entsprechung als die von mir gefundene braucht.

    Hier das Original, das mir heute wie ein Ruf in die Triestbriefe klang:

    Eugenio Montale
    Motetto II

    Molti anni, e uno più sopra il lago
    straniero su cui ardono i tramonti.
    Poi scendesti dai monti a riportarmi
    San Giorgio e il Drago.

    Imprimerli potessi sul palvese
    che s’agita alla frusta del grecale
    in cuore … E per te scendere in un gorgo
    di fedeltà, immortale.


    Zu überlegen ist, ob ich “San Giorgio e il Drago ” durch den Spieß ersetze, der das Wahrzeichen Triests ist. (Sankt Georg und der Drache sind das Wahrzeichen Genuas, wo sich Montale und Irma Brandeis zum ersten Mal trafen.)

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