Mutterhefe (Untriest 3). Am Mittwoch, dem 7. Januar 2015.



Arbeitswohnung, 10.35 Uhr.
Keine Musik.


Innige,

>>>> das Hörstück ist fertig – jedenfalls fehlen nur noch die An- und Absagen, und ich weiß nicht, ob meine Redakteurin noch Einwände haben wird. Jedenfalls lädt zur Zeit eine Test-mp3 in ihre Dropbox hoch; sie will sich, schrieb sie mir gestern, heute im Lauf des Tages telefonisch bei mir melden. Nun kann ich nur abwarten. Auch die Löwin wird probehören, und heute abend werd ich mit Freund Broßmann essen und dahin ebenfalls eine mp3-Kopie mitnehmen, um sie auf n o c h einmal einem anderen Gerät, diesmal einer iPhone-Anlage, mit ihm zusammen abzuhören. Vielleicht wird er auch die An- und Absagen übernehmen.
Jedenfalls wird es nun wieder Zeit, mich den >>>> Triestbriefen zu widmen. Ich bin mir aber noch unklar drüber, ob ich erst einmal alles Bisherige wiederlese oder gleich weiterschreibe, bzw. die beiden noch nicht eingestellten Briefentwürfe fertigstelle.
Den Morgen aber begann ich damit, es war da knapp nach halb acht, daß ich mir das Hörstück noch einmal allein angehört habe, auch nicht am Schreibtisch sitzend, um nicht dauernd kontrollierende Blicke auf die Montage zu werfen, sondern als quasi-selbst-nur-Hörer in dem breiten Stuhl, der, wie Du weißt, zwischen den Schreibtischen und den >>> ProAcs steht. Ja, dachte ich nachher, so kann das jetzt gehen. Vielleicht gibt es noch ein paar feine Einstellungen zu ändern, etwa wenn eine Tonspur in Stille ausläuft, nicht hingegen in den Übergängen, die allesamt ziemlich gut funktionieren: Ich habe unterdessen eine Technik entwickelt, die Schnitte selbst in der High-End-Auflösung unhörbar sein lassen, vergleichbar denen in den Collagen Ror Wolfs (die mich nach wie vor faszinieren; ich liebe Perfektion).

Dann wußte ich erst nicht mehr weiter. Weißt Du, es ist nicht so arg leicht, von der einen Arbeit, die einen täglich zwölf, dreizehn, manchmal vierzehn Stunden beschäftigt hat, in die nächste oder vorige zurückzuspringen. Es braucht da einen Puffer. Und der, seit Du hierwarst, ist das – Brot.
Man kann nicht sagen, daß meine neue Leidenschaft Leidenschaft ist; es ist vielmehr eine Meditation. Aber ich bin noch nicht genug konzentriert, sonst wäre mir, was ich seit nun einem Monat immer wieder versuche, schon gelungen: nämlich ein „italienisches“ – das meint ein sehr großporiges – Brot zuwege zu bringen. Ständig fällt mir der fast immer wunderbar aufgegangene Teig wieder zusammen, und zwar im Moment, da ich ihn in den Backofen – so das Fachwort: – „einschieße“. Irgend etwas mache ich falsch. Geschmacklich indes b i n ich seit gestern dort, wohin ich wollte. Stell Dir, Geliebte, den Duft einer kleinen Panetteria vor, wenn Du sie betrittst. Genau so schmeckt das Ciabatta nun, das ich aus dem (noch) üblichen Vorteig und einer Mischung aus Farina Tipo 0, Hartweizen-Mehl und Hartweizengries geknetet, gefaltet und gebacken habe. Ich konnte gestern nacht nicht aufhören, immer mal wieder eine Scheibe abzuschneiden und zu futtern – was meinem Gewicht, übrigens, nicht so richtig gut bekommt. Zwei Kilo hab ich zugenommen, seit ich dauernd Brot backe, aber nicht mehr zum Sport gehe. Die Hosenbünde klemmen schon. Aber ich weiß genau, daß ich sowieso, lasse ich mich in die Triestbriefe zurückfallen, jegliches körperliche Training für wieder sinnentleert halten werde. Für wen soll ich in Schuß bleiben? Eine Frau-nur-in-Gedanken interessiert ein Körper nicht; sie bleibt ihm ja ohnedies fern. Und ich selbst kann momentan mit meinen Eitelkeiten nur noch wenig anfangen.
Also Brot. – Was mich jetzt reizt, ist ein >>>> lievito madre, was eine selbsthergestellte Grundhefe ist, klassische Beigabe fast jedes italienischen Vorteigs. Um sie herzustellen, braucht es nahezu einen Monat, aber danach kann man immer wieder von ihr nehmen; sie selbst wird bei solchen Entnahmen stets um weiteres Mehl ergänzt. Es sei, las ich, ein Sauerteig, der nicht vergoren rieche, sondern leicht nach Wein.
Und, oh!, meine Küche!! Ich hab jetzt einen Backstein, hab sogar zwei, die meinen Gasherd in einen Steinofen verwandelt haben. Sogar eine Küchenwaage habe ich mir zugelegt. Das Problem ist das viele Mehl, das ich zum Teil übers Netz beziehe (Manitobmehl etwa), zum Teil aus dem nahen >>>> Centro Italia. Erinnerst Dich? An einem unserer späten Abende sind wir dran vorbeigegangen…
Wohin mit all den Mehlen? Ich brauche Küchenschränke, habe aber doch fast keinen Platz, wo ich sie unterbringen könnte. Außerdem backe ich immer viel zu viel, immer, als hätte ich eine Familie zu versorgen, bringe deshalb Freunden, wie ich‘s heute abend zu Broßmann tun werde, manchmal einen halben Laib mit. Doch bin ja kaum unterwegs, treffe allenfalls noch Amélie.
Es ist wirklich ein Versorgungsdrang. Meine quasi-Familie mag sich aber nicht beliefern lassen, लक्ष्मी, die selbst kaum Brot ißt, kauft für die Kinder lieber im Bioladen ein. So steh ich dann da mit meiner wieder einmal in die menschenleere Pampa losgaloppierten Neigung. Um wiederum etwas Soziales zu tun, zum Beispiel Obachlose zu beliefern, dazu backe ich andererseits zu wenig – hätte für mehr auch gar keine Zeit; es soll wohl auch bleiben, was es ist: Meditation.
Als ich noch meinen Kachelofen hatte, war er es, der mich beruhigte. Teige zu formen, ist allerdings sinnlicher; ich habe, wenn ich es tue, oft das Gefühl, einen Körper anzufassen, zu halten und zu liebkosen. So gesehen, ist meine Brotbackerei ein ständige Umgang mit >>>> Übergangsobjekten. Die Löwin, übrigens, empfindet das wohl ähnlich: Neulich sagte sie am Telefon, ich solle auf jeden Fall den Schweiß mit in die Brote kneten, den meine Teige kosten. Wobei ich auch diesbezüglich aufpassen muß: Ich habe gelernt, daß sie sich überkneten lassen. Das bedeutet, daß man die Klebkraft der Mehle zerstört.
Schon eigenartig, wie weit mich mein Perfektionismus schon jetzt vom >>>> Christophsbrot entfernt hat. Aber vielleicht i s t es, Liebste, gar keiner. Vielleicht ist es wirklich „nur“ die Sehnsucht nach Erde… – Bauer, Dichter, Vater, Bäcker.

Ich will mich wieder an eines der Gedichte setzen, die ich Dir schrieb, um es zu überarbeiten, eines von denen, die noch nicht in Der Dschungel eingestellt sind. Vielleicht sollte ich auch ein ganz neues schreiben – und die >>>> Chamber Music muß wieder aufgenommen werden… Kleinigkeiten am besten, so lange das Hörstück von der Redakteurin noch nicht endgültig abgenommen worden ist. Erst danach werde ich das Typoskript und die Tondateien archivieren sowie den matrialen Ordner ablegen und mich endgültig anderem widmen können.

Jemand, erfuhr ich, hat mich zwar scherzhaft, aber nicht völlig grundlos einen „Borderliner“ genannt. Ich habe darüber nachdenken müssen, bin mit mir selbst ja einig imgrunde. Die Spaltung, die ich vollziehe, ist eine am „Objekt“, aus dessen realer Existenz ich spätestens mit den Triestbriefen eine „über“reale ausgelöst habe, die allein durch Existenz der faktischen, aber von mir nun gelösten Person mit dieser dennoch verbunden bleibt. Das kommt einem „Borderline“ schon recht nah, ist eine verzwickte Variante des Syndroms, indem es in die Ideenwelten ausgelagert wird, die mein Dasein wesentlich mitbestimmen. Dieser Prozeß wird mir um so deutlicher, als ich nach und nach die Fetische auflösen muß, die mich am realen Liebesobjekt noch halten. Es geht nicht mehr an, nach anderthalb Monaten, daß ich weiterhin im Bettzeug schlafe, in dem wir schon schliefen; und auch Dein Hemdchen, das ich nach wie vor jede Nacht in meiner Schulterbeuge liegen habe, sollte einmal gewaschen werden. Damit gingen aber die letzten Konkreta verloren. Von auch nur irgend einer Irdischkeit ließe sich dann nicht mehr sprechen.
Ich fürchte und, Geliebte, beende deshalb den Gedankengang hier, daß bereits er in die Triestbriefe gehört; Du weißt, ich mag mich ungern wiederholen. Es sind doch sowieso der Redundanzen genug.

Sei deshalb für heute in Deinen Tag umarmt.

A.

*



(12.55 Uhr.)
So, steht drin, >>>> das nächste Gedicht. Es wird aber Zeit für ein nächstes. Du wirst es nicht vergessen haben: Stirn/Scheibe/Stirn. (Tastende Vorbereitung für die nächsten Triestbriefe).

Mittagsschlaf.

*

2 thoughts on “Mutterhefe (Untriest 3). Am Mittwoch, dem 7. Januar 2015.

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