Nach Untriest, 1. Am Montag, dem 5. Januar 2015.


(Eine akustische Kreuzfahrt 7)

Liebe Sìdhe,

keine Musik. Den Tag begann ich mit der Kopfhörerkontrolle der bis gestern abend fertiggestellten ersten Montage meines Kreuzfahrthörstückes für den WDR. Paar Kleinigkeiten hab ich noch geändert, im großen und ganzen aber „steht“ das Ding. Seit dem 29. Dezember saß ich dran, von frühmorgens bis manchmal gegen 22 Uhr; das sind jetzt acht Tage, in denen ich allenfalls drei-, eher nur zweimal geduscht habe; ich hab schon wieder Bart. Auch ausgegangen bin ich kaum und wenn, dann nur, wenn ich geduscht hatte. Dank an Amélie für zwei Abendessen. Ansonsten nur am Hörstück gearbeitet, auch nichts, Du wirst es bemerkt haben vielleicht, in Der Dschungel geschrieben. Sogar an Silvester habe ich gearbeitet, von einer Feier erst etwas mitbekommen, als es nachts knallte und ein bißchen blitzte. War ich erschöpft, habe ich Filme geguckt, manchmal bis drei, halb vier Uhr nachts. Also kam ich morgens meist erst gegen acht aus dem Bett (von meiner, wie Du weißt, Couch), schaltete als erstes die Computers ein, öffnete die Montage, noch nackt; ebenfalls nackt in die Küche, die Pavoni anschalten, dann mir etwas überziehen und den Ofen versorgen, dann den Latte macchiato bereiten, dann gleich an die Arbeit. Ließ ich sie mich für den Tag beenden, stopfte ich Mengen an Schokolade in mich hinein, schüttete Wein nach, begriff irgendwann nicht mehr, was ich da im Film jeweils sah, legte mich, sackte in Träume. Ich schlafe noch immer in unserem Bettzeug.
Die Arbeit war kompliziert. Ein Glück, sag ich Dir, daß ich so penibel mit meinen O-Ton-Protokollen bin, ansonsten ich die „richtigen“ Stellen in den Tonfiles kaum gefunden hätte. Ich hab mal überschlagen: Es sind an die dreißig während der Schiffahrt aufgenommene Stunden. Nicht leicht, daraus zwanzig, dreißig Minuten auszuwählen, wonach jeder Clip noch zurechtgeschnitten, oft auch in der Dynamik angeglichen werden muß. Dazu kamen die Schnitte in dem, wie Du ebenfalls weißt, viel zu langen Typoskript. Aber ich hatte recht, es erst direkt während der Montagearbeit zu kürzen.
In einer Studioproduktion beim Sender direkt ist, was ich tat, so nicht zu leisten; die Studios der Funkhäuser sind streng gebucht, man kann nicht überziehen, schon gar nicht um mehrere Stunden. Schon deshalb ziehe ich es vor, selbst zu produzieren. Tarifler würden von Selbstausbeutung sprechen, aber sie irrten. Es geht um künstlerische Prozesse; Fragen nach Bezahlung und eigentlich Bezahlbarkeit stehen hintan. Unterm Strich rechnet es sich immer noch, wenn man denn einen Auftrag überhaupt hat. Tatsächlich habe ich neuerlich die Idee erwogen, künftig solche Hörstücke auch ohne einen solchen zu bauen und sie nachher erst anzubieten; die sich in den Funkhäusern zunehmend verengende Situation für auf Ästhetik zielende Projekte wird das eines Tages vielleicht sogar erzwingen, sofern ich nicht diesen unterdessen ziemlich gewichtigen Teil meines Werks aufgeben will. Selbstverständlich werde ich dennoch versuchen, einen oder zwei weitere Sendeanstalten für meine Arbeiten zu gewinnen; wirklich Hoffnung indessen habe ich diesbezüglich nicht. Auch dort geht es immer mehr um „Plot“, bzw. „Dokumentationen“; beides, Liebste, interessiert mich nicht oder doch nur wenig.

So sieht die Montage jetzt aus:


Kreuzfahrtmontage, Stand 5. Jan. 2015.


Du siehst, es sind Hunderte Schnipsel. Ich brenne daraus gerade eine CD, um auch diese dann abzuhören, denn erfahrungsgemäß klingen die Hörstücke je nach Gerät verschieden. Etwa ist es wichtig, solch eine Arbeit auch auf einer nichtguten Anlage abzuspielen, um zu merken, was bei den meisten Hörern überhaupt ankommt, zumal die Kreuzfahrtsendung mittags ausgestrahlt werden wird, so daß viele sie beim Kochen hören werden. Was bekommen sie dann noch mit? Wo muß etwas absichtlich vergröbert werden? Usw. Eine weitere Frage, die sich noch stellt, ist, ob ich in einem neuen Schritt noch einmal alle Sprecherpassagen auseinanderdrösle und je auf eine neue Spur lege, um deutlicher die stereophone Aufteilung zu justieren; das werde ich im Lauf des heutigen Tages entscheiden. Es treibt mich auch schon wieder an die Arbeit zurück. Morgen, denke ich, werde ich meiner Redakteurin eines erste mp3-Mischung in die Dropbox legen können, um daraufhin zu den >>>> Triestbriefen zurückzukehren. Wie ich in ihre Stimmung zurückfinden werde, weiß ich allerdings noch nicht; wahrscheinlich muß ich alle vorherigen noch einmal lesen. Ich habe Angst davor. Aber auch sie, also die Briefe, möchte ich noch in diesem Januar abgeschlossen haben.

Dies nur als Zwischenmeldung.
Von Herzen,
A.

P.S.:
Dies ist das erste Mal, daß ich die neue Jahreszahl geschrieben, und ebenfalls das erste Mal seit Jahren, daß ich für Die Dschungel keinen Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate verfaßt habe. Ich fühle mich, obwohl das Jahr derart voll gewesen ist, nicht dazu imstande, denn seit dem 19. November liegt alles, was zuvor gewesen, ausgekühlt im Grau.

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