(6.12 Uhr, Arbeitswohung.
Hans Eisler, Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben.
Leichtes Rauschen von Regen durch das Oberlicht.)
Sie können sagen, Freundin, ich entflöhe noch einmal dem sich schon erfühlenden Herbst; für den August ist er zu früh. Ich meine, September, das wäre etwas anderes. Da weht schon im Wort die Zersetzung der schweren, wie Hitze quasi stehenden As und Us des Hochsommers mit, hierzulande machen wir uns dann bereit, sprechen von, des dürren Haares wegen, das durch die Luft zu fliegen scheint, Altweibersommer – auch dieses Wort wird bald verboten werden – und sehen unzugegeben bangend, offen freilich zuversichtlich dem „Goldenen Oktober“ entgegen; aber tatsächlich können wir morgens die Kühle schon spüren, schon jetzt, und die Nächte sind nicht wirklich mehr warm, was wir daran sehen, daß auch Sie schon leichte Mäntel tragen, ich hab Sie gestern wohl bemerkt in der Frühe, als ich zum Waschsalon geradelt bin. Denn mir war vornachts eingefallen, ach du meine Güte, du hast ja gar keine hellen Sachen mehr, um sie in Amelia zu tragen.
Sehr wohl, da sah ich Sie an der Danziger stehen in Ihrem, wie wir’s nennen, „Übergangsmantel“, auf der andren Seite aber, wie von der Kulturfabrik kommend, sonst wär ich sicher stehengeblieben und hätte Sie gegrüßt. Immerhin ging meine „Rechnung“ auf, und der Waschsalon war gänzlich leer; nur eine einzige Maschine, einsam, drehte ihre Trommel.
Zurück in der Arbeitswohnung hatte sich >>>> das Netzwerk wieder verabschiedet; so ging des her und hin über den Tag: Mal war es da, mal nicht. Aber ich ließ mich nicht verdrießen, nicht abhalten, sondern nahm die ersten vierzehn von der Redakteurin lektorierten Seiten des Kreuzfahrthörstücks vor und bearbeitete sie und schrieb von ihnen danach fast noch eine ganze neue Fassung. Die mir zugeschickten Anmerkungen helfen sehr, auch vor allem, mich wieder zu konzentrieren. Bis zum Abend hatte ich tatsächlich das Vorgenommene fertig. Da wollte das Netzwerk gar nicht mehr. Was mich so ruhig bleiben ließ, daß es heute morgen wieder gehe, kann ich gar nicht sagen; vielleicht Ihr sanfter, Freundin, Blick. Sie hatten die Nacht durchgemacht, nicht wahr? Ich selbst kann so etwas schon lange nicht mehr, zumal nicht, wenn ich um halb sechs Uhr morgen auf den Beinen und um sechs am Schreibtisch sitzen will. Daß ich wenig Schlaf brauche, nach wie vor nur viereinhalb Stunden, wissen Sie, aber – gar keinen? Mein Sohn fängt damit gerade an. Ich selbst wäre völlig zerschlagen. Aber Ihr Blick, zwar müde, war glücklich. Wer hat Sie geküßt? Werden Sie mir Einzelheiten schreiben? – nein, keine, die der Volksmund, ein Maul, „intime“ nennt, sondern wirklich intime Ihrer Seele? Wissen Sie, eine wirklich schöne, die zu Ihrem Ausdruck gestern paßt, i s t eben diese Regenmusik:; ich kann den Eisler sonst nicht leiden, also seine populäre Musik nicht, wie auch den Brecht nicht wirklich, außer den Gedichten und dem Cäsarbuch und Arturo Ui noch vielleicht, aber der Zwölftonkomponist Eisler war grandios. Es schadet wenig, wenn sich Alban Berg hindurchhören läßt.
Sehr wohl, da sah ich Sie an der Danziger stehen in Ihrem, wie wir’s nennen, „Übergangsmantel“, auf der andren Seite aber, wie von der Kulturfabrik kommend, sonst wär ich sicher stehengeblieben und hätte Sie gegrüßt. Immerhin ging meine „Rechnung“ auf, und der Waschsalon war gänzlich leer; nur eine einzige Maschine, einsam, drehte ihre Trommel.
Zurück in der Arbeitswohnung hatte sich >>>> das Netzwerk wieder verabschiedet; so ging des her und hin über den Tag: Mal war es da, mal nicht. Aber ich ließ mich nicht verdrießen, nicht abhalten, sondern nahm die ersten vierzehn von der Redakteurin lektorierten Seiten des Kreuzfahrthörstücks vor und bearbeitete sie und schrieb von ihnen danach fast noch eine ganze neue Fassung. Die mir zugeschickten Anmerkungen helfen sehr, auch vor allem, mich wieder zu konzentrieren. Bis zum Abend hatte ich tatsächlich das Vorgenommene fertig. Da wollte das Netzwerk gar nicht mehr. Was mich so ruhig bleiben ließ, daß es heute morgen wieder gehe, kann ich gar nicht sagen; vielleicht Ihr sanfter, Freundin, Blick. Sie hatten die Nacht durchgemacht, nicht wahr? Ich selbst kann so etwas schon lange nicht mehr, zumal nicht, wenn ich um halb sechs Uhr morgen auf den Beinen und um sechs am Schreibtisch sitzen will. Daß ich wenig Schlaf brauche, nach wie vor nur viereinhalb Stunden, wissen Sie, aber – gar keinen? Mein Sohn fängt damit gerade an. Ich selbst wäre völlig zerschlagen. Aber Ihr Blick, zwar müde, war glücklich. Wer hat Sie geküßt? Werden Sie mir Einzelheiten schreiben? – nein, keine, die der Volksmund, ein Maul, „intime“ nennt, sondern wirklich intime Ihrer Seele? Wissen Sie, eine wirklich schöne, die zu Ihrem Ausdruck gestern paßt, i s t eben diese Regenmusik:; ich kann den Eisler sonst nicht leiden, also seine populäre Musik nicht, wie auch den Brecht nicht wirklich, außer den Gedichten und dem Cäsarbuch und Arturo Ui noch vielleicht, aber der Zwölftonkomponist Eisler war grandios. Es schadet wenig, wenn sich Alban Berg hindurchhören läßt.
[Charles Ives, Zweites Streichquartett.]
Erstaunlich, wie nun wieder diese Musik auf den Eislerregen paßt und meinen zweiten Hinterhof, auch wenn es mehr der Wind ist, was da rauscht, in den Wipfeln und Büschen nämlich, und dazu der Regen nur percussiert. Tatsächlich geht das Netzwerk wieder. Solch eine kokotte Ziege. Nachts zum Beispiel bekam ich heraus, daß sich die Computer bizarrerweise nur über Wlan, nicht aber per Lan verbinden, obwohl sie beide mit der Easybox direkt verkabelt sind. Auf die Suche nach diesem Fehler begebe ich mich nun aber nicht mehr. Das darf Zeit bis nach meiner Rückkehr haben. Sehr späten mittags hebt mein Flug ab. Von Fumicino werde ich am sehr frühen Abend einen der Züge über Termini nehmen, nach Orte, wo dann >>>> Parallalie schon stehen wird, um mich abzuholen und das letzte, ein kurvenreiches, Streckchen bis fast hinauf unter Amelias Kathedrale mit dem Auto zu bringen. Ich freue mich, mehr wollte ich Ihnen eigentlich gar nicht erzählen, auf warme Nächte im offenstehenden Hemd bei Vino di Mauro und Montale und wieder gemeinsamer >>>> Kammermusik. Dann kommt auch der Bart endlich ab, kurz bevor ich mit dem Sterberoman beginne, für das >>>> Traumschiff also, das endlich einen klaren Blick braucht. Lanmeisters Melancholie hab ich nun genügend erlebt, genügend selbst empfunden, nun muß ich sie spitzen – und d a s geht nur mit der Distanz, ja dem Kalkül einer scharfen Fokussierung. Bislang habe ich mich in ihn eingefühlt, er hat mich fast übernommen bis in meine Aufweichung, ja in die Organik durchsetzt – von Leistenbruch bis Gallengries: somatisieren –, was ich freilich, man nennt das einen sekundären Krankheitsgewinn, ausgeschöpft und ganz zuletzt mit diesem Bart physiognomisch verausdruckt habe. Doch nun ist es genug mit der Hypochondrie, deren Symptome, wie Sie, Freundin, wissen, auch und gerade jenseits ihrer Ursachen dazu neigen, chronisch zu werden; bei nahezu allen seelischen Beschwerden, die körperlich werden, ist das so; denken Sie nur daran, daß ein Leistenbruch aufgrund einer Bindegewebsschwäche auftritt, Schwäche, ecco!; ich habe also den Verdacht, daß er mich „traf“, weil ich zu sehr schon Lanmeister-selbst war. Insofern ist etwas dran an dem in meiner Familie stehenden Satz, ich hab ihn als Junge gehaßt, „reiß dich mal zusammen“. Sichzusammenreißung: Aber mit der Lust des eigenen Willens. Wie viele Hypochonder habe ich schon elend vergehen sehen, schließlich wirklich krank, aber unheilbar, weil sich, wie bei vielen Allergikern, das Symptom von der Ursache längst abgelöst hatte. Hypochondrismus ist schon Krankheit-selbst und unter Autoren vielleicht die überhaupt häufigste. Deshalb liebe ich Eislers Regenmusik, weil sie dem Regnen Haltung gibt, und das Phänomen, das uns geschieht, zu einem macht, das wir formen – w i r, nicht irgend ein Geschehen, dem wir ausgeliefert sind. Mit diesem Bewußtsein, liebe Freundin, reise ich ab, und in diesem Willen.
So, der Bart ist wieder ab.