Statt zu schwimmen: husten ODER Mein Metavirulent. Was allerdings dem Herausgeber endlich die Möglichkeit gibt, KLEINE BEFREIUNGEN zu schreiben, nämlich im Arbeitsjournal Zeit für sie freistellt, Zeit für Rauch & Dampf: am halbfrühen Morgen des Donnerstags, dem 5. September 2013. Und später sollen die Kohlen kommen.

6.31 Uhr:
[Arbeitswohnung. Erster Latte macchiato.]
„An sich“ würde ich jetzt schwimmen. Aber gestern schon, gleich nach dem Zahnarzt, von dem ich auch noch erzählen will, aber das dann nur nebenbei, ging es los, das Gebölk, von unten tief in den Lungen und sehr schnell schmerzhaft – als hätte sich der Körper eine Gegensensation zum Zahnschmerz gesucht. Spannende Bewegung, aber lästig. So daß ich diesmal nicht des Zahnes wegen die halbe Nacht wachlag, sondern wegen des Hustens, öhöÖhöÖhö!, und noch mal öhöÖhöÖhö!, und gleich ein drittes Mal, man merkt dann schnell, was für ein empfindliches System man ist, öhöÖhöÖhö! ÖhöÖhöÖhö!, weil der Zahnschmerz natürlich auch da ist, so zwischendurch, PochPochPochPochPoch, aber eben heftiger öhöÖhöÖhö!, keine Ahnung, wo ich mir das eingefangen habe, aber ich tat’s offenbar, so daß ich zwar noch um halb vier nicht nur geneigt war, pünktlich zum Schwimmen aufzubrechen, sondern feste gewillt. Aber schon um fünf siegte das Bewußtsein, es sei wohl nicht so geraten. Da ich zwischen da und einer halben Stunde später eine halbe Stunde lang wirklich schlief, erwischte mich das Weckerfiepen auf der sozusagen eingeschlafenen Backe. ÖhöÖhöÖhö! machte ich und schaltete das Wecksignal voller Klarheit aus: Wenn du das jetzt tust, wenn du heute morgen ins Wasser springst und den Körper verausgabst, ziehst du ihm unter seinen wie auch immer trainierten Füßen die Energie weg, die er braucht, um den Husten aber Hallo!-was in die Schranken zu weisen. Besser, du schläfst noch ein wenig oder versuchst es zumindest. Für eine nächste halbe Stunde gelang es mir auch, dann weckte mich öhöÖhöÖhö!, aber trotzig blieb ich eine weitere Viertelstunde lang liegen, wälzte mich hierhin und wälzte mich dahin, nee, so funktioniert das nicht. Also aufstehen. Abermals sprach die Klugheit: „Nun setz dir einen Bronchialtee auf.“ Den hab ich in der Küche noch. Doch aber auf den Latte macchiato verzichten? Ganz sicher nicht. Das würde Kapitulation bedeuten, da hätte der Husten gewonnen. Was man nun a u c h nicht will als Herr: Es wäre ein glatter Verstoß gegen die eigne – ihm eigene – Dominanz. Weshalb ich diplomatisch wurde. Ich! Und bilateral verfuhr und verfahre: neben dem Latte macchiato, der immerhin noch schmeckt, steht nun mit Honig gesüßter Anti-Katarrh. Das sind nur zwei Seiten, ich weiß. Für die dritte stehe die Pfeife. So lange ich rauche, bin ich gesund PUNKT UND ÜBERLEITUNG IN (atmen Sie auf, es ist so weit:)

KLEINE BEFREIUNGEN:

Seit ich dieses Ding dort habe, da, hierüber gleich rechts, bin ich wie ein bißchen erlöst. Ich hab ja immer gesagt, mir mache das nichts aus, schief angesehen zu werden, wenn ich rauche, ja überhaupt, daß man aus Gesprächen, etwa in Bars, ausbrechen muß, um sich mal eben den Nikotinschub zu geben, daß man charmante Damen sitzen läßt für ein paar Minuten, diese Unhöflichkeit, in die man sich genötigt sieht, zum Beispiel, und daß man dann, auch wenn man Zigaretten gar nicht mag, zur Zigarette greift, weil eine Pfeife zu rauchen einfach zu lange dauert, auch nicht wirklich angenehm ist, wenn’s draußen pieselt und man sich dann feste gegen eine Wand drückt, um wenigstens ein bißchen trocken zu bleiben, diese Lächerlichkeiten, in die man gehüllt ist, Bizarrerien, daß aber, dann eben n i c h t zu rauchen, bedeuten würde, sich auf andere Weise nötigen, nämlich lenken zu lassen, als wär man nicht selber entscheidungsbefugt, ja nicht entscheidungsbefähigt; dann das dauernde Argumentieren, wenn mir mal wieder jemand sagte, ich schädigte, wenn ich rauchte, meine Mitmenschen, unerachtet des Umstands, daß diese Menschen, sofern sie Auto fahren, mich und vor allem meinen Sohn sehr viel mehr schädigen, viel tiefergehend, prinzipiell, man kann von Totschlagversuchen sprechen, so giftig sind die Abgase und dagegen so lächerlich gering die Gefährdungen durch Tabakrauch; allein, das immer und immer wieder wiederholen zu müssen und dennoch für einen Kleinkriminellen zu gelten, indes in Wirklichkeit die Autofahrer kriminell sind; diese Herabwürdigung, der man als Raucher ausgesetzt ist, permanent, diese Konfronation mit dem cleanen Zeitgeist, der andrerseits zu foltern ganz in Ordnung findet, jedenfalls nicht hinsieht, sondern immer noch begeistert von Obama schwärmt – das Leben als Raucher ist schwer geworden, aber w i e schwer, das wußte ich nicht, ich ließ es einfach nicht an mich heran. Erst jetzt, seit ich in der Öffentlichkeit nicht mehr rauche, sondern „dampfe“, wird es vollen Umfangs spürbar. Es ist ein Riesenumfang. Ich spüre jetzt die unentwegte Folge kleiner Erniedrigungen, mit denen ich täglich umgehen mußte; darum spreche ich hier von Kleinen Befreiungen nun. Steter Tropfen, Sie wissen schon. Is’ ja auch Ziel der Übung: Aushöhlen des Widerstands, indem man ihn ermüdet. Er mag so fest wie Stein sein, irgendwann kann sich das trübe Wasser der frommen Denkungsart drin sammeln, die der Allgemeinheit ist, Quote nämlich. Wie oft mochte ich in den letzten Jahren mich nicht mit Freunden treffen, weil die Kneipe, die sie vorschlugen, zu rauchen nicht erlaubt. Ich sah das immer ein, daß man in Restaurants, wenn andre Leute essen, auch wenn man selber ißt, nicht rauchen soll: ein reines Gebot, na sowieso, der Höflichkeit und Empathie. Aber daß es nicht einmal mehr eigene Räume dafür geben sollte, daß Raucherkneipen, die sich so auswiesen, verboten wurden usw. usf. ging gegen jede Verträglichkeit. Und geht es noch. Dabei brauche ich gar nicht mehr als den Dampf. Ich habe es jetzt ausprobiert, nehme unterdessen Flüssigkeiten, in denen gar kein Nikotin mehr drin ist; davon schrieb ich Ihnen schon gestern: wie interessant ich das finde, daß offenbar die Suchtsubstanz nicht das Eigentliche am Tabakrauchen ist, sondern das aufsteigende Gekräusel des Rauchs. Ich hätte das auch vorher wissen können, denn nie, wenn ich nichts sehen konnte, habe ich geraucht, niemals, obwohl ich ja nun viel geraucht habe und rauche. Zu rauchen braucht Licht und daß man die schwebenden Formen sieht. Mein überdies noch elegantes Dampfgerätchen erfüllt mir das. Also stecke ich unterdessen gar keine Pfeifen mehr ein, wenn ich hinausgeh, allenfalls noch die Cigarillos und aber auch die nur, weil das Etui, in die ich sie hineintu und das mir mein Lieblingslektor geschenkt hat, so wirklich überaus schön ist. Sondern ich hab meinen eCigarillo dabei. (Ich spreche nicht von eCigarette, was der Fachausdruck ist, weil, wie Sie sehen können, mein Gerät einem Cigarillo sehr viel mehr ähnelt, oder einer vorgesetzten Cigarillo-Spitze; eCigaretten, die vermittels LED das Glimmen der Glut simulieren, finde ich kindisch). Dann schau ich in der Kneipe umher, frage meine Nachbarn, ob sie mein Dampfen störe, es sei tatsächlich nur aromatisierter Wasserdampf; bisher hat noch niemand ja gesagt. Ich kann wieder im Zugabteil rauchen, während ich arbeite – der Rauch, bzw. Dampf kitzelt die Fantasie, inspiriert und macht locker; ich kann sogar im Klassenzimmer rauchen, es bleibt kein für irgendjemanden unangenehmer Geruch zurück, auch nicht in der eigenen Kleidung; wer weiter als fünfzig Zentimeter entfernt von mir sitzt, merkt nicht mal das Aroma. Man muß sich nicht dauernd entschuldigen. Man muß nicht mehr irgendwie d o c h mit ständig schlechtem Gewissen umhergehn, also sich permanent ducken. – Wie oft in den vergangenen Jahren hab ich nach heimlichen Möglichkeiten gespickt, mal schnell ein paar unbemerkte Züge zu nehmen – allein schon dieses „heimlichen“: ich!, der ich offen leben will; es war mir völlig zuwider. W i e sehr, aber, das merke ich
erst jetzt, da all das von mir abfällt. Sogar auf meinen Lesungen werde ich wieder rauchen können und wenn ich unterrichte. Und wenn ich auf der Buchmesse mit Freunden und Kollegen beisammensitze, weil wir uns austauschen möchten. Ich werde mich nicht mehr mit dem Kleinkapogeist angestellter Ordner und Ordnerinnen anlegen müssen, dieser bräsigen Hausmeistermentalität, die geradezu scharf darauf ist, Macht auszuüben, indem man zurechtweist und sogar bestimmt. Wobei ich mich als Raucher auch in einer Tradition stehen fühle, Laurence Sterne, Gustav Mahler, Sigmund Freud, Marlene Dietrich, Ernst Bloch, Jean Paul Sartre, durch alle die die Cleanness einen Strich machen will und ihn macht: Wir werden das erleben, daß man die Rauchwerkzeuge aus ihren Bildern wegretuschiert… und allein der Gedanke, daß irgend ein nach den Ordnern nächster Hansel, der nicht Metaphysik von Gastrononomie unterscheidet, und auch die zu begreifen fällt ihm schon schwer, seiner Zunge schwer – daß so ein Fünfeinachtzigstelgeist sich über solche wie die Genannten erhebt als von „besserem“, weil gesünderem Bewußtsein! Schon das ist ein Grund weiterzurauchen: um dem zu wehren. Aber es bedeutete, bislang, einen unentwegten zähen, wenn auch kleinen Dauerkampf, aus dem ich, wie ich nun merke, durchaus nicht unverwundet herauskam. Das alles, jetzt mit dem eCigarillo, fällt von mir ab, und das, liebe Leser:inne:n, ist ein großes kleines Gefühl von beglückender Erleichterung.
Guten Morgen.

(Eine Anmerkung zu „meinem“ Metavirulent wird noch folgen, bzw. können Sie bereits >>>> dort eine finden.)

8.40 Uhr:

15.30 Uhr:
Nun auch der Schnupfen, aber alles nur leicht; das Husten hat sich etwas beruhigt. Dennoch, ich widerstand der bei dem herrlichen Wetter mich anfallenden Versuchung, nun wenigstens im Park mein Krafttraining zu absolvieren. Ärgerlich, schade, aber so kann ich mit der Vorbereitung der Neapel-Clips weitermachen, eine – aber notwendige – Arbeit für Blöde:

Über Mittag anderthalb Sunden lang extrem tief geschlafen. Als ich aufwachte, lag im Briefkasten der Vertrag für das Traumschiff. Gegenzeichnen und ab in die Post zurück. Man nennt sowas trockene Tücher, in die nunmehr er eingeschlagen ist.

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