Abu Ghuraib – Anderswelt. Zum Realismuskonzept der Romanserie. Argo.Anderswelt. (274).


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So daß Kumani wie das Greenhorn, das er war, ausgequetscht wurde. Ellie Hertzfelds Geheimnis behielt er aber für sich, doch nannte ihren Namen, weshalb ihm Willis, mit einem Mal heftig, über den Mund fuhr: „Na-willst du?!!“ Er mochte die hohe Prostituierte, schon immer, bewunderte sie sogar ein wenig – wie jemanden Unerreichbares; dabei hätte er für sie das Geld schon gehabt. Doch er mochte sie nicht kaufen, bzw. mieten, blieb lieber von Zeit zu Zeit ihr Fahrer. Sie rief ja immer ihn, wenn sie einen brauchte. Auch das mochte er nicht gefährden. Was er nun aber gar nicht ertragen hätte, wäre eine üble Nachrede gewesen über sie, schon gar nicht im SANGUE. Da kam ihm bereits die Nennung ihres Namens, in diesem Pfuhl, blasphemisch vor.
Aber die beiden Trinker hatten aufgemerkt, Broglier eines plötzlichen Mitleids wegen, das allerdings, sich identifizierend, ihn selber meinte, Kignčrs aber wegen des ungewöhnlichen Namens. „Wie heißt sie?“ fragte er, und sein rot Verschwiemtes, selbst sein Lallen schienen momenthaft zu schwinden, wenigstens zur Folie eingeflacht zu sein, auf dem sein Interesse flackerte. „Wie“, wiederholte er, „heißt sie?“ „Deidameia…. eigentlich ja Ellie, aber…“ „Junge!“ So abermals Willis. Kumani sah jetzt ihn an: „Aber du kennst sie doch.“ Ja eben. Erklärend, Willis, zu Kignčrs und Broglier: „Er meint das Boudoir.“ Kignčrs kannte kein Boudoir, doch Deidameia, das hatte er schon einmal gehört – nicht aber hier, nicht in Colón, nicht in Palermo, sondern früher, im Osten, zweidreimal während des Kriegs, als Oberst Skamanders Eliten gegen die Frauenstädte operierten, deren Widerstand nicht nur dem AUFBAU OST! im Weg stand, sondern es gab Indizien dafür, daß in ihnen die Myrmidonen an der Waffe ausgebildet wurden, bevor man sie als Schläfer in den Westen schickte. Da war, irgendwann, dieser mythische Name gefallen. Die Frauen hießen dort alle so griechisch, jedenfalls hochtrabend wie aus Sagen, doch Deidameia, offenbar, war in Kignčrs vielleicht haften geblieben, weil die befragten Frauen solch eine Achtung in den Stimmen gehabt hatten, nicht nur Respekt, sondern auch Liebe. – Von ‚Befragung‘ zu sprechen, ist selbstverständlich euphemistisch. In Skamanders Lagern nahm man den gefangenen Frauen die Würde. Stundenlang standen sie nackt, mußten sich, auf eine Kiste gestellt, vor den Augen der Söldner entleeren. Man ließ sie ihre Tampons kauen, schlucken, zerbrach sie in Abu Ghuraib. Dann redeten die meisten. Dort war dieser Name gefallen, Kignčrs erinnerte sich. „Deidameia?“ fragte er. Es war furchtbar gewesen, er hatte nur noch davongewollt, zurück an die furchtbare Front. – Abu Ghuraib hatte er sich nie verziehen, nicht, daß er nicht aufgestanden war. Daß er gehorcht hatte. Abu Ghuraib hatte nicht nur die Frauen gebrochen, sondern sie, die Söldner, genau so.
Willis, in dem was alarmiert war, beschwichtigte: „Ellie is ne Nette.“ „… sie nennt sich nur Deidameia“, setzte Kumani seinen Satz fort. Außerdem hatte er gemerkt, daß er vielleicht doch schon zu viel erzählt hatte, unversehens und ohne Absicht ihr Verräter würde. „Das ist sowas wie ein Traum“, sagte er, „um sich eine Bedeutung zu geben.“ Aber er saß zwischen den drei Männern wie ein Junge da, der sich verplappert hat, ausgesetzt dem zunehmend wachen Blick Kignčrs‘, einem indes, seltsam, der nicht forschte, nein, nicht ‚befragte‘, sondern aus all dem Schlamm, faulendem, getrocknetem, in den er ersäuft war, löste sich etwas, schälte sich heraus und stieg auf, das das Glimmen einer Hoffnung hatte, die wir längst nicht mehr haben; ausgerechnet in einem Moment kehrt sie zu uns zurück, der sie für immer ausgelöscht hatte. Wie wir glaubten. Da geht sie auf als ein Licht. Es war rein unnötig, es zu beschatten, um die freundliche Prostituierte zu schützen: so, wie Willis sich zwischen sie und das Licht schob, um Kignčrs‘ vermeintlich bohrenden Blicke von ihr abzuhalten. Der alte Söldner hatte vielmehr das Bedürfnis und den Willen, etwas wieder gutzumachen. Nur war er sich dessen nicht bewußt; alles lief ohne Sprache in ihm ab und formierte sich ganz am Grund des Tümpels, zu dem der Alkohol und die Verzweiflung seine Seele hatten werden lassen.
Wiederum Broglier, anders als sein Saufkumpan, fing zu verstehen an, daß Kumani einer war, der das Zeug zum nächsten Leidgenossen hatte. Noch einer, dachte er, dem sein Leben bald das ihm Liebstes nähme. Deshalb wurde er jetzt ein bißchen weniger abweisend und begann, sich ebenfalls dafür zu interessieren, was diesen schönen jungen Mann sich offenbar mißbraucht vorkommen ließ. Indessen Willis, den Dollys II wegen das schlechte Gewissen weiterquälte, die er doch nur ebenso hatte vor weiterem Leid bewahren wollen, wie den Freund von ihm erlösen, seinen kompakten Leib vor Ellie Hertzfeld gepflanzt hielt, sie, die Abwesende, im Rücken, das Gesicht dem Söldner zugewendet, so trotzig entschlossen, sie vor ihm abzuschirmen. Er breitete sogar die Arme aus.
„Du kennst sie?“ fragte ihn Broglier.
Er habe sie ein paarmal gefahren.
„Wo ist denn dieses Boudoir?“ fragte Kignčrs. Er sähe sich das gerne einmal an.

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12 thoughts on “Abu Ghuraib – Anderswelt. Zum Realismuskonzept der Romanserie. Argo.Anderswelt. (274).

    1. @Betrachter zur ‘ehernen’ Mittelmäßigkeit. Gibt es auch einen Grund für Ihren Eindruck, einen, den Sie nennen möchten? Dann ließe sich das vielleicht besprechen.

      Habe die Passage eben noch einmal selbst gesprochen und finde einiges daran, Mittelmäßigkeit aber nicht. – Vielleicht äußert auch noch jemand anderes eine Meinung, Derzeit möc hte ich an dem Text wenig ändern – abgesehen von ein paar weiteren Ergänzungen, die ich gestern noch ins Typoskripr schrieb, die aber für eine Dschungelpassage nicht bedeutsam sind.

    2. Ohne Kontext ist “mittelmäßig” nur ein aus dem Off hingeworfenes Reizwort, nicht mehr als ein Pfiff während einer Lesung. Wer mit Ihnen über Literatur diskutieren will, wird sich anders zu Wort melden als der obige Kommentator. Abwinken und Weitermachen!

    3. von Puschkin Puschkin

      An den Dichter

      Scher dich nicht drum, Poet, ob man dir Beifall spende;
      Des Volkes Lobgesang verhallt bis morgen schon;
      Des Toren Richtspruch und der kalten Menge Hohn
      Hör selbsbewußt dir an, gelassen, bis ans Ende.

      Du bist ein König: Leb allein auf deinem Thron.
      Geh freien Geists, wohin dein freier Geist sich wende,
      Geliebter Träume Frucht mit stillem Geist vollende,
      Und für dein edles Tun verlange keinen Lohn.

      Du hast ihn in dir, du bist selbst dein höchster Richter;
      Am schärfsten kannst dein Werk du selber prüfen, Dichter.
      Befriedigt es dich selbst in deiner Künstlerstrenge?

      Bist du zufrieden? Nun, so laß sie schmähn, die Menge,
      Und den Altar dir, wo dein Feuer brennt, begeifern.
      Mag sie, am Dreifuß rüttelnd, kindisch sich ereifern.

      Gruß vom Cellofreund

    4. Der Eindruck der Mittelmäßigkeit wird wohl von gewissen Reizworten ausgelöst: Abu Graib ist ein nicht mehr ganz so frischer Aufreger aus der Allgemeinpolitik und mit Gerede über den “Aufbau Ost” kann man nur noch Stammtische glücklich machen.

    5. @Vieldenker. Der AUFBAU OST! ist eines der Hauptmotive aus >>>>Thetis und erzählt dort die auch militärische Umgestaltung des Neuen Europas, das nach der sogenannten Großen Geologischen Revision, einer globalen Naturkatastrophe, in ein West- und ein Osteuropa zerfallen ist, in dem sich das heutige, globale, Nord-Süd-Gefälle sozusagen seitenspiegelt. Was auf Sie in diesem Auszug offenbar wie ein abgelegtes Klischee wirkt, ist im Roman längst ein eigendynamisches poetisches Feld. In ihm saugen sich Geschehen wie Abu Ghuraib ein als einem von zahllosenm Anderen. Abgesehen davon, empfinde ich es als ebenso skandalös, von Abu Ghuraib als einem “nicht mehr ganz so frischen Ableger aus der Allgemeinpolitik” zu sprechen; es handelt sich vielmehr um ein Kriegsverbrechen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie die Morde von My Lai genau so bezeichnen würden. Auch Hitlers Vernichtungslager sind keine “Ableger aus der Allgemeinpolitik”, auch wenn auch sie nicht mehr “frisch” sind. Dafür haben wir nämlich unser Gedächtnis, daß für Verbrechen nicht wichtig ist, ob sie frisch seien oder nicht. Dichtung, unter anderem, bewahrt die Erinnerung. Die Anderswelt-Romane, indem sie ihre unmittelbare Gegenwart mitschreiben, die selbstverständlicherweise Vergangenheit werden, während das Projekt voranschreitet, sind so gesehen historische Romane, auch wenn sie in der Zukunft, bzw. in einer Zukunft spielen.
      Aber unabhängig davon sagt, was Sie jetzt erklären, nichts über den Grund der von Ihnen monierten Mittelmäßgkeit. Themen, wie abgegriffen auch immer, können nicht Gegenstand ästhetischer Urteile, allenfalls eines für das Interesse oder Desinteresse sein; vielmehr können ästhetische Urteile allein auf die Gestaltung von Themen bezogen sein, also auf die künstlerische Form, zu denen etwa Sprachniveau, Ausdruck und dergleichen gehören. Um Ihrem Seufzer (“eher mittelmäßig”) ein Recht zu geben, müssen Sie also schreiben: “Interessiert mich nicht so.” D agegen wäre dann wenig zu sagen.

    6. Hat mich mein Eindruck also nicht getäuscht, dass da Ost-West-Gegensatz mit Nord-Süd-Konflikt munter verquickt werden, in dieser durchaus druckvollen Erzählweise, die den Leser als einen Info-Staubsauger ansieht, der die Staubmäuse längst vergangener Tagespolitik aus den letzten Ritzen des Autorenbewußtseins saugen soll …

    7. Amazonen-Irrläufer Wo Sie in Ihrem letzten Kommentar auf Thetis verweisen, nur ein kurzer Hinweis, den ich auch schon an die “Amazonen” schrieb, aber ohne Reaktion. Die sieben Kundenrezensionen dort verweisen irrtümlich auf ein “Knast-Tagebuch”. Vielleicht haben Sie als urheberrechtlicher Autor mehr Durchschlagskraft, diese wohl als Irrläufer zu bezeichnenden Einträge zu ändern? Selbst Amazon müsste einsehen, dass so etwas dem Verkauf nicht zuträglich sein kann.

    8. @Bücherblogger. Falls ich Ihren Hinweis bereits einmal übersehen haben sollte, bitte ich dafür um Entschuldigung.
      Die Angelegenheit selbst ist mir schon lange bekannt, und ich habe auch versucht, sie zu ändern. Vergeblich. So sind selbst die Elegien, die bei Elfenbein erschienen sind, bei Amazon zusätzlich von Axel Dielmann annonciert, der sie dort hineinsetzen ließ, ohne daß überhaupt ein Vertrag vorlag. Auch er hat meine Aufforderung, sein Annoncement dort sofort herauszunehmen, nicht umsetzen können. Was dort einmal im System steht, scheint nicht mehr angreifbar zu sein, es sei denn, wahrscheinlich, man würde zu einem Rechtsmittel greifen, etwa einer Einstweiligen Verfügung. Dann hat man aber auf jeden Fall eine Prozeßdrohung am Hals. Das Ganze ist ein ziemliches Problem.

    9. Ich habe mir schon gedacht, dass Sie es kaum übersehen haben können. Ich finde die Sache ziemlich traurig und fand nur ein Formular für eine Mitteilung an Amazon.de über die Verletzung gewerblicher Schutzrechte, das man als PDF an benachrichtigung@amazon.de schicken soll, was aber nur der Rechteinhaber kann. Das sind Sie doch als Autor und verletzt auch.

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