III, 295 – Ich wünsche mir zuweilen Gewitter

Wahrscheinlich war es am Sonntagabend, als mich die Sehnsucht packte, zur Porta della Valle zu pilgern, schließlich sitze ich derzeit meine mindestens zehn Stunden hier am Schreibtisch ab, um den Leuten Humbug zu verklickern, etwa über die Inanspruchnahme einer Bürgschaft. Und das über geschätzte 140 Seiten (rechnet man die hiesige Standardseite mit 200 Wörtern oder 1500 Anschlägen). Eine Verlängerung lediglich fürs Wochenende. Unvorhergesehenes kam auch dazwischen.
Auch war der Weg zum westlichen Tor nunmehr frei. Es wehte ein Wind durch Haar und Klamotten. Mir entgegen. Denn ich mußte an der entweihten Kirche vorbei, in und vor der sich bis zum Tag davor die Tänzer ausgetobt hatten. Dahinter steckte aber auch die schlecht verhehlte Sehnsucht, sie dann doch tanzen zu sehen und im Zuschauen mich selber. Also saß ich nur auf dem Mäuerchen vor dem Tor. Der Abendhimmel hatte sich schon dunkel gefärbt, aber noch nicht ganz. Lediglich der Halbmond mit seinem Luzifer als Sternbegleitung schon, davor hoch oben die Schreie winziger Mauersegler. Comme il faut. Nichtzeit mit Zigarette und Wind. Ich hätte mir ein Gewitter gewünscht. Und mich als Comme-il-faut-Abendstern. Zigaretten sind keine Lichtbringer.
Und so ist es wieder ziemlich still geworden, aber nicht so wie auf dem Land. Wohin ich mich auch gar nicht zurücksehne. Die Stimmen vom Platz. Dachte ich, während ich im Grunde auch darauf warte, daß der knallorangene BMW wieder auftaucht, der seit einigen Tagen mit seiner Farbe alles durcheinander bringt, um vielleicht den Moment zu erwischen, in dem der BMWler oder die BMWlerin das Auto verläßt. Was ansonsten das Landleben betrifft, mag gelten: Alle diese Beispiele von Leuten, die aus der Großstadt auf das Land gegangen sind, um dort besser und länger zu leben, sind nur fürchterliche Beispiele, dachte ich. Bernhard, Der Untergeher.
Rom als Großstadt zu bezeichnen, dürfte wohl seine Berechtigung haben, noch sinnhafter (warum eigentlich nicht ‘sinnlich’ hierfür?) aber ist das Adjektiv vor dem Wort Exemplum.
Ebenso fürchterlich ist auch immer die Kombination malerischer Dörfer mit guter Küche. Was gleich im Untertitel eine Journalistin “naturgemäß” (Bernhard) zustandebringt, die in der >> Süddeutschen in einem Artikel über Amelia keinen besseren Aufhänger findet, als daß nach dem Erdstoß vom Oktober letzten Jahres (sic!) in aller Herrgottsfrühe die Konditorin Russo nach einem dramatischen Tagesbeginn (“Ihr Bett tanzt.” – schon wieder dieses Wort “tanzen”) ihre Konditorei voller Menschen vorfand.
D.h., wenn die Erde wackelt, geht man in die Konditorei. Aha.
Fürchterlich, daß in dem Artikel auch noch der aalglatte Betreiber des Ostello zitiert wird. Wer weiß, wann sie den Artikel geschrieben hat. Der aalglatte Betreiber des Ostello hatte die ganze letzte Woche hindurch immerhin 95 Gäste (im Artikel beklagt er sich)! Ich gebe ihm dieses Beiwort, weil er auf eine Beschwerde von mir (wegen einer mehrstündigen Totalbeschallung des Platzes an einem Sonntagnachmittag) mal antwortete: “Sollen sich die jungen Leute etwa nicht mal vergnügen?” Seitdem grüße ich ihn nur noch auf eine sehr zugeknöpfte Weise.
Ich wünsche mir zuweilen Gewitter.

ein blitzstrahl
zuckte und meine
augen zehrten sich
in unruhiger
schlaflosigkeit

die ganze nacht
mit ihrem leuchten
zog aus scheiden
klingen heraus
vom abend- bis zum
morgenland

und pfeilen gleich
die flammend das kleid
der finsternis zerreißen

brandschatzend

abû al-qâsim ‘abd al-rahmân

(Poeti arabi di Sicilia)

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