Kein Geheimnis. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 21. Januar 2011.

12.24 Uhr:
[Arbeitswohnung.]Sitze an der Abakus-Hommage. Den Ansatz habe ich jetzt; heute abend dürfte der Entwurf fertig sein. Ich muß noch mal mit den >>>> horen wegen des letztmöglichen Abgabetermins telefonieren. So einer dräut auch wegen der Fenster von Sainte Chapelle. Gestern war ein Untag, ich kam überhaupt nicht in die Arbeit hinein. Aber eben der Jungenroman dräut genauso. Dazu hat mich momentan eine Terminkonfusion im Griff, die irgendwie in den meinen zu kriegen sein muß. Es gibt das Angebot, auf der Reise eines Kreuzschiffs als, sozusagen, Dichter-an-Bord dabeizusein, was höchst reizvoll ist, mit mehreren Lesungen verbunden usw., dazu neben Anreise, Schiffspassage, Vollverpflegung und dergleichen gut honoriert; bloß kollidiert der Reisezeitraum mit bereits termininierten Lesungen, die wichtig für meine Bücher sind. Was also tun? Nein, nicht ‚was’, sondern: Wie dieses ‚was’ tun? Das läuft neben der Arbeit nun dauernd einher.
Dann kam noch die Absage eines Literaturhauses, die mich sehr geärgert hat; das riß mich gestern dann endgültig aus den Versuchen, doch noch was zuwegezukriegen. Heute, freilich, hab ich mich wieder beruhigt. Das ist Göttinseidank fast immer so, daß ich zwischen Frustration und erfrischter Konsolidierung immer nur einen Schlaf brauche; am folgenden Morgen, spätestens, bin ich aus dem Sumpf wieder raus. Auf wenig ist Verlaß, aber auf das. Ich scheine schon physiologisch für Pessimismus nicht recht ausgestattet worden zu sein.

In einer Stunde kommt mein Bub zum Mittagessen. Spaghetti gibt’s mal wieder. Und gestern hab ich >>>> in einem wunderbaren Käseladen um ein horrendes Geld noch wunderbareren Käse gekauft, von dem ich seit heute früh immer mal wieder ein Leckeres nasche. Dazu kam ein, man muß sagen, Verehrerinnenbrief, auf den ich offen geanwortet habe; vielleicht nachher, vielleicht morgen stell ich das ein: ich möchte meinen Text nur noch etwas literarisieren. Jedenfalls muß ich daß ich so schlafen kann um daß es Frauen gibt ergänzen. Zusammen mit der Musik ist alleine dies das rundweg ungeheime und ziemlich schlichte Geheimnis meiner Resistenzkraft.

Zurück zum Abakus.

15.48 Uhr:
Espresso aus der Pavoni. Ziemlich tief nach dem Mittagessen geschlafen; mein Junge brachte derweil seine Schulhefte in Ordnung und lernt jetzt Latein-Vokabeln.
Abermals Lesungstermin-Konfusionen; „abermals” heißt „weitere”, also noch welche dazu. Immerhin läuft der horen-Text jetzt gut; der Entwurf wird, bis Freund M. auf den Malt und das Abendbier herkommt, fertigsein. Eine, finde ich, schöne Passage lautet zum Beispiel so:

Nur i n ihr, im Fräulein im Turm, toben die Orkas; die Fliege da ist größer als der Kopf der Frau, und ein fliegender Aal mit dem Kopf einer Tulpe will sie, die Fliege, sich schnappen. Doch bleibt dieser Turm nichts als ein Kerker: Piranesi ohne Labyrinth. Zwei Mädchen tanzen im Ochsenjoch diszipliniertes Ballett unter den Strahlen der Freiheitsstatue. Ihr Herr sieht zu, das Laken rechts unterm Arm vor der Spinne, der denkend ein drittes Mädchen folgt, aber weit, sehr weit sehen wir in den von Booten bevölkerten Hudson hinein. Unten indes schließt das Bild mit Gebirge.

21.11 Uhr:
Bis eben an der Abakus-Hommage durchgearbeitet; bin fast fertig. Las der Löwin am Telefon vor. „Das ist ein Gesang”, sagt sie. Da war ich glücklich. Aber ganz geschafft, freilich, ist dieser Text noch nicht, auch nicht rhythmisch. Doch morgen abend wird er ‚stehen’.
Jetzt warte ich auf M. für unseren Malt, dann ein Bier im Soupanova. Über der Frau hängt von der Decke ein Wespennest, und der Mann schwingt eine sehr lange gebogene Gerte.

10 thoughts on “Kein Geheimnis. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 21. Januar 2011.

  1. Kreuzfahrt Ich rate ab! Nicht weil ich schon einmal mitfuhr, sondern weil ich Leute kenne (flüchtig, flüchtig), die regelmäßig so eine Kreuzfahrt machen. Das ist auch der Grund meines unerbetenen Rates. Man möchte sie nicht näher kennen oder ihnen länger ausgeliefert sein (wie auf einem Schiff), diesen Leuten. Aber vielleicht lässt sich´s ja literarisch verwerten. Und immerhin: das MEER…

    1. @MelsuineB. Ich bin da voller Genuß urteils- wie vorurteilsfrei. Zumal geht die Reise einmal ums westliche Europa und gar bei Afrika vor Anker. Carthago hatte mir vorgeschwebt, aber der Reeder schätzt Paul Bowles zu sehr und außerdem Karen Duve.

    2. “Ceterum censeo Carthaginem esse delendam” Jetzt, nachdem Leila Trabelsi mit ihren Gold-Barren geflohen ist, der Leopard ihres Sohnes erlegt durch die Innenstadt geschleift und er selbst am Flughafen von Tunis erschossen wurde, lässt sich sicher auf dem Boden der ausgelassenen Swimmingpools in den Villen-Gärten von Carthago wunderbar Bridge spielen.

  2. Ich scheine schon physiologisch für Pessimismus nicht recht ausgestattet worden zu sein. Wunderbarer Satz, wunderbares Phänomen. Es wirft ein Licht auf die Basis des deutschen Pessimismus im 19. und frühen 20. Jahrunderts: das Unvermögen, sich zu erneuern durch Schlaf, durch Musik, durch Rausch, durch die anderen Menschen.

  3. Alban, da steht “horfen” meintest Du “horen”? Der Link funktioniert auch nicht.

    Das nur am Rande, denn voll bekommt man Dich ja nicht.
    Gruß
    A.

    1. Was bedeutet das ‘usw.’ in “mit mehreren Lesungen verbunden usw “?
      Tanzten Sie vielleicht desweiteren Ballett oder sängen Sie mit der Bordcombo Evergreens usw.?
      Travestie, bordeigener Escortservice, “exotisches” Bondageerotikprogramm ?
      Klingt so geheimnisvoll wie ein megateurer Käse!

    2. @Stippvisitor. Bord Escort ist kein Autoname. Vom Veranstalter ist selbstverständlich, meines bekannten Frauenliebens- und lebens halber, an vornehmes Escort gedacht; ich meinerseits gedenke, mir auf diese Weise Mäzeninnen erst gefügsam, dann hörig zu machen, indes der Samarkandin firmengebündelter Service den männlichen Passagierteil betreut, denn ihre Hintergedanken sind böser als meine. – Was nun Ballette anbelangt, so werd ich mich gegen ein Tänzchen hier und da schlecht verwehren können. Zum Ausgleich wurde mir eine Lizenz im Kartenbetrügen erteilt. Ich muß aber erst noch Bridge erlernen, solch literarischen Borden das beliebteste Spiel, bevor ich von ihr Gebrauch machen könnte.

    1. Dies beruhigt mich. Hätte ja speziellerer Weise an eine Kreuzfahrt “rund um die mecklenburgische Seenplatte” noch denken können, wäre mir dann aber nicht sicher gewesen, ob es desgleichen als Ausdruck von Regionaltreue bzw. bundesländischem Patriotismus schon gibt; des weiteren ob ein solch kommerzträchtiges Unterfangen überhaupt zu realisieren wäre und welchen Ausflugsdampfer man dahin gehend mit intimen Separees für Vergnüglichkeiten jedweder Art und geschmacklicher Ausgerichtetheit eigentlich zu modifizieren hätte….

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