Arbeitsjournal. Mittwoch, der 11. November 2009. Aus der Serengeti. Nach Heidelberg.

7.15 Uhr:
[Serengeti. Bloch, Cello-Suiten; Méditation hebraïque; Jüdisches Lied, Nirvana, Nigun.]
Noch fünfzig Tage bis Jahresende, sagt >>>> der Gregorianische Kalender. Waffenstillstand von Compiègne, 1918. Seit siebzehn Jahren läßt die anglikanische Kirche Frauen fürs Priesteramt zu. Heute wird Hans Magns Enzensberger achtzig Jahre alt. Die deutsche Intelligenz nach dem Zweiten Weltkrieg ist ohne ihn, mit Recht, nicht denkbar. Manuela Reichart meldete sich kurz, damit ich an meiner Mersbergen-Rezension noch einzwei Änderungen vornehme; sie habe doch das Thema “Freundschaft” im Focus, darauf sei ich bei dem Pamplona-Buch nicht eingegangen. Stimmt, hatte ich vergessen. Also werde ich meinen Text um ein Weniges umschreiben.
Im übrigen hab ich gestern, bei allem dabei, ganz gut gearbeitet; Exposés, die zu schreiben waren, geschrieben, die Frankfurter Lesungen festterminiert: 25. Febuar AEOLIA im >>>> Literaturforum, direkt danach ein zweieinhalbtägiges Seminar zur Dichtung im Internet; BAMBERGER ELEGIEN am 28. September in der >>>> Romanfabrik. Hannover, wegen der Lesung morgen abend, rief an, ungewohnt begeistert, also für mich, wegen THETIS, bzw. der ARGO-Auszüge im >>>> horen-Band. Dann war ich bei BL, der mir die >>>> Danz-Aufnahme überspielte. Ich fand dann abends noch den Titel des Hörstücks, fand ihn, wie ich es mir auch vorgenommen hatte, aus einer Danz-Zeile: „im land da wo wir blutrot sind“. Das paßt zu uns beiden, zu ihr wie zu mir. Mit der Lektüre, also, begonnen.

Einen scharfen Angriff gab es gestern auf Die Dschungel, >>>> ich schrieb‘s ja schon. Wenn man mich nicht treffen, mich nicht verletzen kann, versucht man es bei Menschen, die mir nahestehen. Woraufhin ich die allgemeine (anonyme) Kommentarfunktion deaktivierte; nachts noch rief mein Anwalt an: hier müsse man wohl jemandem nachdrücklich vors Schienbein treten, „lassen Sie bitte die Kommentarfunktion, bei der man sich registrieren muß, a n; von dort aus läßt sich der Urheber in jedem Fall zurückverfolgen; es würde mir große Freude bereiten, ein hohes Strafgeld durchzusetzen; das war eine eklatante Verletzung des Persönlichkeitsrechts“. Er war fast wütender als ich. Ich war lediglich, obwohl ich‘s ja nun schon kenne, getroffen. Die Miesheit mancher Menschen macht einfach baff. Ein Verleger dazu, mit dem ich ebenfalls telefonierte: „Man will Sie zwingen, Ihren Dschungel zu schließen.“ Wiederum die Löwin: „Du provozierst die Leute, das ist man in der Literatur nicht mehr gewöhnt. Im Theater, ja im Theater, da ist das noch erlaubt. Aber alle Schriftsteller, die ich kenne, sind im Innersten bürgerlich und wollen das auch sein. Die bildenden Künstler mittlerweile auch, jedenfalls die bekannten, und ich kenne einige. Du fällst aus diesem Glattsein völlig raus.“ Schon Enzensberger, stimmt, sang ein Lied des Mittelmaßes – wobei er damit recht hat, daß es, im Bezugssystem der westlichen Gesellschaft, Ruhe garantiert; denkt man Extreme politisch, dann sind sie in der Tat mehr als nur heikel. Deshalb haben Künstler in der exekutiven Machtpolitik tatsächlich nichts verloren, und für die demokratisch-korrekte Cleanness sind sie wie Farbeier, die an die hübsch geputzten Mauern von Einfamilienhäuschen geschmissen werden.
Es kann nicht darum gehen, daß „wir“ unseren Platz in einer glatt funktionierenden Gesellschaft, auch nicht, daß „wir“ einen im Tages„geschäft“ finden, sondern ganz im Gegenteil gilt es, die Außenpositionen zu halten, die an den Rändern: antimoralische Vorposten, unkorrekte Inseln, obsessive Grenzgebiete.

Der Vormittag gehört noch شجرة حبة. Mittags geht es gemeinsam, in der Löwin knallerotem Peugeot 504, gen Heidelberg; es sieht grad so aus, als möchte uns das Wetter gestatten, offen zu fahren. Wunderschön, dieses Cabriolet. „Du brauchst aber einen Automechaniker im Freundeskreis, sonst ist man geliefert.“ Abends Seminar, danach gemeinsames Essen mit den Studenten, wiederum danach das „traditionelle“ Nachtgespräch bei und mit Kühlmann. Ich möchte ihm da gern aus den Elegien letzter Hand vorlesen, er war ja nicht ganz unbeteiligt an ihrem Entstehen. Aber jetzt erst mal ran an die Überarbeitung der Rezension.

Mailwechsel mit >>>> weissbooks. Das Problem ist, daß Verlage, die meine Arbeit wollen, immer gleich auch ans Gesamtwerk denken; das aber läßt sich nur bei riesiger Kapitalkraft vertreten. Also zögert man. Das ist völlig nachvollziehbar.

Mein Junge rief an, nachmittags. Ich rief ihn an, abends. Maroni gebacken, mit شجرة gegessen, Rotwein dazu und sehr grobes Salz. Dann das Salz der Leiber. Aufzuwachen schließlich, viel zu spät natürlich, und der warme Frauenleib liegt an dir. Was ich so vermißte. Was wie Atmen ist. Worüber wir sprachen? Wir sprachen viel. Das Verhältnis von Erotik und langjähriger Bindung. Es ist ein tragisches, notwendigerweise, ecco. So ist aller Leidenschaft immer ein Gran Trauer beigemischt. Denn die Liebe, sie bleibt ja.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 11. November 2009. Aus der Serengeti. Nach Heidelberg.

  1. ich war’s ja nicht… aber sehr lustig finde ich die Mischung aus simulatorischer Antibürgerlicherkeit und “mein Anwalt” – dabei ist gerade “mein Anwalt” in Sprache, Habitus und Formulierung zutiefst – wirklich geradezu bürgerlich mitteltemperiert. Dafür also ein ausdrückliches Lob und Anerkennung letztlich für so viel guten Ordnungssinn.

    1. “Mein Anwalt”. Ist weder mittel- noch hochtemperiert oder gar “cool”, sondern schlichtweg – Fakt. Ich konnte ja schlecht schreiben “Tim Bosons Anwalt”, schon weil der Condor sich klüglich niemals in “antibürgerliche” Probleme bringen wird. Deshalb kommt ihm dergleichen auch simulatorisch vor – er kennt es nicht.

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