III, 160 – sed florens

… denn ich hatte ja noch den Aufstieg zur Kuppel zu machen. Bezahlte ich also meine 1000 Lire und schritt frohgemut hinan, aber das währte nicht lang. Bald begann ich arg zu keuchen (und die Lust (hoch oben überm Kirchenraum) runterzuspringen, brachte Magenkribbeln mit sich). Erbarmungslos ging es weiter (4-500 Stufen). Naßgeschwitzt kam ich oben an: da lag Florenz im Dunst: die Leuchtanzeige an der Piazza della Repubblica sprang, als ich hinsah, von 19° auf 20°. 19.9.81.
Plötzliche Lust, in den drei Spiralblöckchen zu blättern, die ich vor 35 Jahren (eine Art mezzo del cammin, aber nicht in der Mitte des Lebens, die mußte erst noch kommen (dies annorum nostrorum septuaginta anni, zitiert die Anmerkung zum Inferno-Incipit aus der Bibel)) in Florenz vollschrieb. Sie, durch die ich hierherkam (wegen der ich hier bin, wie ich zunächst schrieb: ist mittlerweile falsch), lernte ich erst am darauffolgenden Tag kennen.
Immer wieder bemerkenswert, wie sich Vergangenes in einem verklärt. Es sind aber immer nur einzelne Episoden, nie das Ganze. Das Ganze ist die flache Ebene. So läßt sich besser herankommen an die mental stets ausgeklammerte Zeit des Zusammenlebens mit ihr. Ich muß nur sie ausklammern, dann weiß ich schon. Nicht Beatrice, eher schon: Sensui ignoto, cuius taedium, cuius suavitas me capiunt, tristitiae nomen, tristitiae pulchrum nomen et grave induere sane haesito, Francisca Sagana, Tristitia salve (vel j’hésite à apposer le nom, le beau nom grave de tristesse). Auf diese Weise verselbständigt sich alles und wird etwas Anderes.
Und am Nachmittag noch ein langes Kapitel bei Montaigne über den Tod, der im Grunde nüscht ist. Und so geht’s weiter wie beim Flippern: Jean Pauls Todestraum, mein eigener, als ich so alt gewesen wie der junge Mensch, mit dem ich vorgestern abend noch ein Bier getrunken, und zum ersten Mal bei einem Psychologen landete. Das war ein Jahr vor den oben erwähnten Spiralblöckchen. Schluckte Betablocker. Belastungs-EKG: “na, Leistungssport werden Se wohl nich treiben könn’”. Nichtrauchen vor lauter Hypochondrie. Schlag eine Krankheit nach, und du hast sie. – Nachdem ich dann damals eines Abends noch in Florenz mir im Kino den Don Giovanni (Losey) angeschaut und danach auf sie gewartet hatte, fing ich wieder an zu rauchen, und auch die Betablocker waren bald vergessen.
Die Gottesanbeterin hat sich weiterbewegt. Nach unten. Kopfabwärts nunmehr fast senkrecht. Erdwärts. Was sonst. È ovvio. (Stendhal, Diario, der mit dieser zitierten Aussage einen geistlosen Menschen charakterisiert, der ihn in Mailand durch die Brera-Galerie begleitet (auf dem Lande gab es einen benachbarten Bauern, der stattdessen immer Logico! sagte)).
Troppo Ovvio.

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