Arbeitsjournal. Sonntag, der 3. Mai 2009.

8.29 Uhr:
[Döllnsee. Britten, Erste Cellosuite (Kopfhörer).]Das Bild täuscht; man vertrieb mich sehr schnell, weil sich Gäste des nahegelegenen Hotels belästigt fühlten. Ich schnappte das Cello, ein Rad und fuhr um den See, um eine andere Stelle zu suchen. Momentlang dachte ich an >>>> Carinhal; viele der von den Nazis ermordeten Juden gehörten innig zur Musik; man hätte es, übte ich dort über den Trümmern, auf eine ungewisse Weise als gerecht ansehen können; andererseits ist da mein Name, kurz: das brachte ich nicht, suchte einen anderen Ort, hatte aber keinen Hocker dabei. Als ich dann „fündig“ wurde, begann der Abend, und in Scharen fielen die Mücken über mich her. So daß ich floh. Und dann nur noch ein wenig hier in dem Häuschen übte, während der Spargel garte.
Wunderschöner Abend dann. Wir spielten Skat, ich das erste Mal wieder seit über zwanzig Jahren. Der Profi restlos verwundert: „D u spielst S k a t?“ Gut, wir zeigten keine Meisterleistung, aber respaktabel war’s und machte Spaß. Der Bub bekam noch um 23 Uhr ein Eis, dann schickte ich ihn schlafen. Er poofte auf der Stelle ein; (witzig: es gibt ein Bett und ein Lager am Boden; wofür wohl entschied er sich)? Noch schläft er, es schläft überhaupt noch alles hier; ich habe die Küche, die ziemlich desolat aussah, auf Format gebracht. Dann fiel mir ein, verdammt, weshalb hatte ich gestern daran nicht gedacht?: ich habe doch meinen Dämpfer für das Cello, einen metallenen, der wirklich funktioniert. Also werd ich gleich noch mal zum Steg hinunter, Cello, Notenständer (von dem ich während der Radfahrt eine wichtige Schraube und Mutter verlor), Hocker… so hab ich dann wenigstens, vielleicht, das Gefühl, an diesem wunderschönen See zu spielen, na, sagen wir: zu üben. Das vielleicht, weil vielleicht vorher hier wachgeworden wird und man mich dann zum Frühstück daheben möchte.
Wir können heute nicht lange bleiben; U. vergaß ein wichtiges Medikament, und Du mußt, weil für den Tag mit der Mama verabredet, nach Berlin zurück; sie möchte so gern den Tag mit Dir verbringen. „Warum können wir morgen denn nicht noch bleiben?“ fragtest Du. „Weil du verabredet bist, und die Mama dich so gerne auch mal wieder bei sich haben möchte.“ „Ach ja,“ ganz erwachsen, „stimmt.“
Mit dem Gedicht angefangen, von dem ich gestern schrieb. Und aufgrund >>>> meines Eintrags wegen künftiger Publikationen als pdf kam von einem kleinen Verlag, der ich schätze, eine Art Angebot. Ich habe noch nicht geantwortet, muß mal in mich gehen. Was will ich?

Samtenes Wetter, leuchtend blau, hell- bis tiefgrün, auch gelb schon; freilich, tritt man vors Häuserl, war’s noch etwas kühl. Angenehm kühl. Eine solche Morgenkühle kenne ich von Sizilien, der Tag holt Luft, die Kühle ist das Einatmen; dann bläst er kraftvoll Hitze aus.

18.14 Uhr:
[Arbeitswohnung. >>>> Talisker (der von Prunier). Mineralwasser. Pfeife.]So kam ich dann doch noch am See zum Üben, auf dem Steg. Zum ersten Mal hat sich dieser vergleichsweise teure Metalldämpfer gelohnt. Anderthalb Stunden, versunken, probierte ich überm Wasser vor mich hin. Menschen waren nicht zu hören, auch noch kein Verkehr. Aber der Kuckuck, unentwegt.
Als ich ans Häuschen zurückkam, saßen der Profi und Du einträchtig plaudernd in der Küche. Gut. Hausaufgaben. Erledigt. Und zum Badesteig. Es brauchte lange, bis Du drinnen warst im Wasser, Du fandest es fies kalt: 14 Grad, behaupteten Hotelgäste, daß das Wasser habe; ich denke mal, es sind 17 gewesen. Schließlich sprangst Du vom Dreier aber doch. Dann Sauna, mehrere Gänge; ich bin es nicht mehr gewöhnt, schwitzte vier Gänge lang gar nicht, dann hatten sich endlich die Poren wieder geöffnet, und es f l o ß. Ich glaube, es ist zwei Jahre her, daß ich zuletzt in der Sauna war, das Ende meiner Sportlerzeit. Vorübergehendes Ende, hoff ich. Man merkt, wie die Muskeln sich wieder mit Blut füllen, wie sie merken: es ist wieder soweit. In langen Zügen zum Pladond in der Mitte des Sees, zurück, schon wird’s einem warm. Warten, bis die Kühle wieder einsteigt. Dann abermals Sauna.
Du hattest die Mama angerufen, ob Du noch bleiben dürfest. So fuhren wir dann erst nach halb fünf davon. Jetzt bist Du fort, ich hab ein seltsames, etwas klagendes Gefühl – immer, nach so langem Beisammensein; obwohl es ja Unsinn ist: Du bist jetzt viel häufiger bei mir als zuvor.
Ich will die Sachen auspacken und aufhängen, was zu trocknen ist. Dann an die Steuer, letzte Handgriffe, weil ich morgen früh zum Finanzamt radeln werde, um die Sache endlich hinter mich zu bringen, sie wirklich abzuschließen. Und um 22 Uhr treff ich den Profi dann >>>> in der Bar für den „sundowner“ sozusagen: um den Tag gemeinsam auszusingen. Mein ganzer Körper pulst, morgen werd ich Muskelkater haben: Hängedips gemacht, Liegestütze gemacht, Bauchmuskeltraining gemacht. Der Fünftagebart ist jetzt so dicht, daß ich feststellen muß, stellenweise weißes Haar bekommen zu haben. Halbfremdes Antlitz im Spiegel, irgendwie ver//rückt.
Rauschen im Ohr. Ich will es lassen, nicht betäuben. Also erstmal keine Musik jetzt. Aber Blicke in den zweiten Hinterhof: Flieder. Das ist Berlin. Flieder.

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