Zurück in Berlin. Das Arbeits-, nochnichtwiederLaufs- und Familienjournal des Sonnabends, dem 3. September 2916.


stazione Orte scalo Gepäck 020916
Orte scalo, nach Amelia


[Arbeitswohnung, 6.05 Uhr
Erster Latte macchiato
Yuha Wang, Beethoven >>>> B-Dur op. 106]

Ist ja typisch, dachte ich eben, als ich über den Contessa-Roman und darüber nachsann, daß ich auch heute kaum Zeit für ihn finden würde, – ist ja, also!, typisch, daß ich jetzt im deutschen Hochadel gelandet bin, wo doch kaum jemand reinkommt. All die Gräfinnen und Häuser von, Edlen der usw.; ich werde da einiges hinunterbrechen müssen, um nicht unglaubhaft zu werden, also es die Contessa nicht sein zu lassen, und dennoch bestätigt sich Karl Kraus wieder und wieder: „Wie klein Fritzchen sich vorstellt, daß Politik gemacht werde, so wird sie gemacht.“ Ich komme einfach um das, was die Gegner „Verschwörungstheorie“ nennen und mit welcher Wortkeule sie uns stumm machen, das jedenfalls wollen, nicht herum. Wie ich‘s auch drehe. Der Dichter, in diesem Fall nur Schriftsteller, muß die Wirklichkeit verkleinern, damit sie für das gehalten wird, was sie ist: wahr. Die tatsächlichen Zusammenhänge dürfen nicht so scharf gezeichnet werden, wie sie sind, müssen in ein Schummerlicht getaucht werden. Ahnen, das, liebste Freundin, das freilich darf man – aber was man ahnt, darf man nicht anders als hinter vorgehaltenen Händen sagen oder als einen Scherz übern Billardtisch hinweg.
Dennoch, heute werde ich an den Text abermals nicht kommen. Es ist zuviel administrativer Kram zu erledigen, zum Beispiel ein Widerspruch einzulegen. Nämlich hat mich das Finanzamt die Pauschalen für Auslandsübernachtungen nicht anrechnen lassen. Jaja, Sie lesen richtig, der Steuerbescheid ist schon da, grad einen Monat, nachdem ich >>>> die Erklärung abgegeben habe, wie nicht nur Sie wissen, schöne Frau, sondern auch viele andere Leser:innen dieser, wie >>>> Sabine Scho einmal bei Facebook gepostet hat, „einzige(n) Sitcom eines realen Schriftstellers deutscher Sprache“. Mir hat, ernsthaft, Schos Formulierung sehr gefallen. Dabei ist‘s, mir zu schmeicheln, gar nicht so leicht. Doch wies nicht auch dies schon meiner Entwicklung zum Hochadels-Chronisten voraus? Ein Ribbentrop als literarischer Adjutant einer Contessa – joa mai, welche BUNTE wollte da nicht jubeln?
Dabei ist es recht putzig, all die hochblasenden Namen zu verkleinern. Ich meine, „Edler von Soundso“ – Sie glauben gar nicht, wie viel es davon immer noch gibt. Wär‘s nicht arg so masochistisch, ich müßte die BILD DER FRAU zu meiner Arbeits-Pflichtlektüre machen. Und Hand auf Herz unter Busen, Freundin (inkorrekt, denn der Busen ist die Bucht zwischen den Brüsten, doch sei‘s drum), also Hand auf Ihre linke herrliche Apfelbrust (ich kann das steife Pinselchen spüren): Tun die neuen Fürstenhäuser strategisch nicht sehr recht daran, ihrer Konsumenten verborgenen Sehnsüchte nach Führer>>>>häusern zu bedienen? Es wird ja kaum je der Nutzwert einer Ware verkauft, sondern mehr noch ihre Aura…
Aber mal im Ernst: Dahinter gewittert‘s gewaltig, politisch, meine ich. Wenn Sie die Augen schließen, können Sie‘s spüren. Nein, nicht in der, nun jà, „freien“ Natur, aber mitten in den Straßen. Und außerdem, die, sagen wir mal, „alte“ Namensaristokratie weiß sehr wohl, sich mit der neuen zu verbinden, der mithin des Business. Die neuen Fürstenhäuser, ich habe Ihnen ja schon davon geschrieben, schon öfter, eine Bemerkung, ja einen Ausruf des Profis verfolgend, der mir nie mehr aus dem Sinn geht. Das Haus Daimler, das Haus Nike, das Haus Boss… sogar von einem Volkswagenhaus läßt sich sprechen, als wäre die Demokratie eigentlich zu sich in i h m gekommen. Was wir, im größeren politischen Zusammenhang, zu hören bekommen, ist angesichts des >>>> Lobbyismus dagegen fast nur Schein – ob wenigstens d e r „schön“ sei, laß ich mal dahingestellt.
Aber auch hier, wie in freilich allen Sozialitäten, finden sich Tragödien. Das war ja damals, Leipzig 2002, der Skandal, als ich >>>> nach 9/11 bemerkte, ein King Lear ließe sich sehr wohl auch im fundamentalistischen Islam erzählen, Romeos Julia desgleichen. Derweilen Dieter Wellershoff in seinem, wenn man will, Geist schon mal die >>>> HK G36 zog, weil eine >>>> MP 4 zuviel verraten hätte, aus seiner Vorgeschichte, mein’ ich. Und >>>> die neudesignierte, man könnte auch designte sagen, Kulturreferentin Frankfurt am Mains erschien mit Stars ‘n Stripes an ihrem Kragenspiegel. – Unterdessen ist, wie Sie wissen, mein hierüber verlinkter Text längst in überarbeiteter Fassung >>>> als Buch erschienen:

Schöne Literatur muß grausam sein


Ma per tornare a ieri, der Rückflug war fein, Rom heiß, da stand ich fünf Minuten auf dem Binario der Tiburtina, schon kam der Anschlußzug. Ich war überrascht, das Vorurteilchen schmolz.
Also zwei Stunden vor Abflug in Fiumicino Terminal 1, nich’ mal ’ne Schlange an der Gepäckaufgabe. Ei, würde die Plastikflasche wohl halten, in der anderthalb Liter des ungeklärten maurischen Weins? … und der Gorgonzla, bliebe er wohl im Gefäß? – Vorm Terminal ein letztes Mal noch italische Sonne, eine SMS an die Löwin, mit der Contessa, die unsre Reise buchte, whatsapp. Aus der Ägäis ans Tyrrhenische Meer. Und ein Feuerwerk von Ideen, das dauernd in ihr, nein, nicht abbrennt, sondern zündet. Sie wies mich dabei zu Recht auf meine bürgerliche Herkunft zurecht; wenn ich aus ihrer Sphäre schreiben wolle, müsse ich mich einem gewissen Luxus schon aussetzen wollen. Fällt einem schwer wir mir, der großmütt‘lich gelernt hat, an der Butter zu sparen, um die Miete zu zahlen (dafür beim Käse aber praßt, auf daß sie g a n z gestrichen werde, also die Butter).
Pünktlich in Berlin aufgesetzt, dann aber auf dem Rollfeld stehengeblieben, weil der Fliegerparkplatz noch besetzt war. Nun, d a schon hätte ich‘s ahnen können. Jedenfalls nehm ich den X9er, will Jungernheide in die S, da is‘ der Zugang vergittert. Baumaßnahme bis zum Montag, folgen Sie den Füßen zur Ersatzverkehrstation.
Tatsächlich.
Rote Fußsohlen markieren den Weg.
Dieser Bus dann, ach dieser Bus! Erst quälte er sich durch den Freitagabendverkehr, dann konnte er natürlich nicht den Schienenwegen folgen und gab uns Berliner Sightseeing frei, dreimal durch Moabit, da noch Zwischenstationen, die die SBahn nicht kennt, irgendwie übers Wasser zum Westhafen, also wieder nach Norden, von dort abermals runter, ebenfalls seltsame Station: Humboldhain. Und endlich endlich Gesundbrunnen. Aber die S sah ich in Form zweier Schlußlichter, mußte zehn Minuten auf die Schweinwerfer der nächsten warten.
Immerhin war es warm.
Gegen halb zehn (21.30 Uhr) in der Arbeitswohnung.
Erstmal ein Bier, alkoholfrei, dann nach den Käsen geguckt, denen aus Paris, für die Zeit meine Abwesenheit im Kühlschrank verwahrt. Ja waren das nicht m e h r? – Ahnungsvoller Blick aufs Regal, wo ich die Käse hinstell, wenn ich daheim. Schon da auch die Erinnerung an diese Fliegen.
Wirklich.
Zwei Käse, vergessen. Au weia. Die Biester waren durch die Folie hindurch, hatten‘s geschafft. Ich mußte die Käse nicht mal anschneiden, um zu sehen, wie ringlig sie lebten. Tat‘s aber dennoch. Man muß dem Ungeheuerlichen ins Aug blicken können. Das Leben findet einen Weg, sagt >>>> Dr. Malcolm. Da dies zu einem meiner Daseinsmotti wurde, war ich nicht bös, aber tat die neue Lebensform besser doch in einer gut schließenden Tüte zum Müll.
Die Kühlschrankkäse waren, sagen wir, eßbar geblieben, also für einen Menschen, eßbar waren die anderen auch. Nur ist halt Myiasis keine wirklich angenehme Erkrankung, auch wenn ich nun schon wieder, auf diesem Umweg, >>>> bei Sardinien bin.
Am Schreibtisch noch eine >>>> Esportazione am Schreibtisch, Erinnerung an Sizilien, bevor ich Rucksack und Arbeitsköfferchen leere. Habt ein Gedüldchen, Gorgonzola und Wein. – Dann: Beide hatten den Flug überstanden. Ich sprach ihnen etwas später zu, unter Beigabe italienischen Brotes, das ich ebenfalls mitgebracht habe.
Nun also zurück zur Routine.
Nein, heute noch nicht. Zwar wollte ich auch gleich laufen, aber es liegt zuviel Schriftkram an, siehe u.a. Widerspruch, und ab mittags geht‘s zum großen >>>> Sommerfest des LCBs an den Wannsee: Familiengesamtausflug, Programm für die Kinder schon um drei, deshalb so früh. लक्ष्मी anrufen, bat sie, nicht vor elf. Da liefe ich grad… Und ich will unbedingt mindestens eine Arbeitseinheit auf die Contessa verwenden; schon gestern war ja, unumgänglicherweise des Reisetages wegen, geschlampt.

Meine Hommage an Wolfgang Hilbig lag in der Post:

Poesiealbum Hilbig Sonderausgabe
>>>> Bestellen,
6 Euro incl. Porto

Bin da in wirklich guter Gesellschaft: Drawert, Grünbein, Haufs, Hünger, Kuhlbrodt, Kunst, Oberländer, Schinkel, Schulz, um nur einige zu nennen. Leider kam Jan Röhnert nicht mit rein, weil sein Text zu, so der Herausgeber, lang war. Schon meine fünf Variationen berührten die Grenze.
Und am 29. >>>> lese ich in Frankfurt am Main meine Hommage auf Paulus Böhmer vor, den großen alten Freund. Björn Jager, der neue Leiter des Hauses, hat das Programm ein bißchen geändert, weil leider >>>> Ricarda Junges Auftritt ausfällt.

Also.
Die Löwin sagte eben in Facetime: Dann laufen Sie halt morgen erst. Ich: Da kommt sowieso meine Putzfrau, um mich auf Kamerunisch zu vertreiben. La Lionesse: Na sehn Sie!

Das neue Ifönchen ist da, nun gut, ein aufgearbeitetes. Liegt beim Nachbarn. Auch das muß eingerichtet werden, hab‘s satt, daß mein 4S immer abstürzt. Bei einem 4S indes sollte es bleiben (hübsch: „Vier ssss indessss“, dazu das nachgezogene „esss“). Die neuen iPhones sind mir zu groß, ich hänge an dem Lederfuttel, das mir mein Sohn geschenkt hat. Außerdem funktioniert mit ihnen die Verbindung zu meinem windows xp nicht.

Am Dienstag wieder nach Düsseldorf, die Griechenland/Sardinienreise vom 20. bis 25.

Freundin, dieses Arbeitsjournal wird zu lang, hier liegt zuviel andres herum. Dennoch will ich eben noch ein DTs skizzieren.

Seien Sie angehimmelt gegrüßt

von Ihrem

unholden, doch Ihnen holden Freund

Abschiedscaffè Orte BEARB 020916

4 thoughts on “Zurück in Berlin. Das Arbeits-, nochnichtwiederLaufs- und Familienjournal des Sonnabends, dem 3. September 2916.

  1. Es gibt ein Gesetz, das Finanzamt ist immer dann schnell, wenn Steuern nachgefordert werden können, bei mir gings auch fix…Juchhu, und direkt steigt in einem der Wunsch auf, mitbestimmen zu wollen, bitte in eine bessere Radwegestruktur Berlins, danke! Mein Iphone ziert schon seit einem Jahr eine schicke Spinnenweben-App, in Brasilien scherzte man, bei Diebstahl bekäme ich eins vom Dieb geschenkt aus Mitleid. Und, simma mal ehrlich 700 Euro für ein Teil, was man eh ständig runterschmeißt, ist die Menschheit den komplett irre? Nee nee nee, moak wi nech. Ich telefonier das jetzt komplett kaputt bevor ich mir bei ebay Kleinanzeigen ein neues Gebrauchtes zulege. Mit den Dingern verbindet mich kein Prestigebegehren, so gar nicht. Fahrräder, das ist freilich was anderes!

    1. Finanzamt@Scho. In diesem meinem Falle irrst Du einmal. Allerdings ist Umsatzsteuer nachzuzahlen, aber die wurde schlichtweg verrechnet – man folgte meiner Bitte. Insofern kann ich vollkommen zufrieden sein – so, wie ich es jetzt immer war, seit ich meine Erklärungen selbst zusammenstelle und abgebe, also seit fünfsechs Jahren. Es geht hier tatsächlich nur um die mir als solche gar nicht bewußt gewesene Frage der Auslandsübernachtungspauschale, eine Frage, die für Autor:inn:en insgesamt von Bedeutung ist, die im Ausland recherchieren und arbeiten. Selbst bei privater Unterbringung, “zahlt” man die Gastgeber ja etwa mit Naturalien usw. Aus einem solchen oder ähnlichen Grund sieht der Gesetzgeber diese Pauschalen unter anderem auch vor, siehe >>>> das Bundesfinanzministerium am 19. 12. 2015 für das in meiner jetzigen Rede stehende Jahr 2015.

      Für meinen jetzigen Bescheid ist die Klärung dieser allerdings de facto ohne Bedeutung. Ich möchte nur eine Normsetzung vermeiden – für spätere Jahre, in denen die Frage Bedeutung haben könnte.

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