Ein Nachmittag, der der Ruheposition eines Pendels entspricht, bevor es wieder Aufschwung nimmt. Man ist – außer mir – arbeiten gefahren. Draußen tut sich nichts außer gelegentlichem Nieselregen, weshalb auch keine Lust zu einem Waldspaziergang aufkommt. Wenn das Thermometer draußen die Stelle hinter dem Komma wechselt, dann tut es das in meiner Abwesenheit. Ich stelle nur noch fest, daß es das getan: 18,x. Oder waren es schon 19? Ich darf nicht vergessen, mir die Wettervorhersage für die nächsten Tage anzuschauen, wenn das Pendel wieder aus der Ruheposition ausbüchst. Helfen wird es dennoch nichts. Mehr als ich dabei habe, habe nicht dabei. Merkwürdigerweise aber ‘Die Blechtrommel’, die ich kurzerhand zum Lesen mitgenommen. Darin überraschend ein Stück Archäologie: ein sorgfältig gefaltetes DIN-A4-Blatt mit dem Briefkopf des bekannten niedersächsischen Automobilherstellers (ist hier halt allgegenwärtig), adressiert an meinen gleichnamigen Vater, was erst aus dem Briefbeginn ersichtlich wird: “Sehr geehrter Herr xxx! Wir sind bereit ihren Sohn xxx [mich] am 1. April 1971 in ein Berufsausbildungsverhältnis aufzunehmen und ihn in unserem Werk Wolfsburg als Industriekaufmann auszubilden.” Weiter unten ‘Ermahnungen’ an den Erziehungsberechtigten: “Die Ausbildung ist für Ihren Sohn ein wichtiger Lebensabschnitt. Er möchte ein tüchtiger Fachmann werden, der den beruflichen Erfordernissen unserer Zeit einmal gewachsen sein wird. […] Das ist mit der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten allein nicht getan, sondern bedingt auch eine sorgfältige Erziehungsarbeit.” Da aber mein Vater genauso hieß, habe ich mich am Ende gar selbst erzogen (der Verdacht ist wegen hier nicht zu berichtender Einzelheiten nicht von der Hand zu weisen, jedoch durch die simple Aussage natürlich nicht bewiesen, sondern deutet nur gewisse Vorstellungen vom Leben an, die noch allen Erziehungsversuchen getrotzt haben (wenngleich zumindest in einem Fall die Niederlage knapp bevorstand). In der Einschätzungen dessen, was ich wollte, hatte sich der Automobilhersteller allerdings geirrt. Also das Buch war damals über einen Buchclub in meine Hände gelangt, las jedoch seinerzeit nur den Anfang (obwohl ich beim Aufnahmegespräch im Werk Wolfsburg damit ziemlich angab und mir die Frage gefallen lassen mußte, ob das wirklich von Grass sei), um es seitdem nicht wieder anzufassen, es sei denn zum Einordnen in die verschiedenen Regale der verschiedenen Wohnungen. Jetzt liest es sich wie eine Chronik der 30er-40er Jahre mit V-Effekt, die erst dadurch möglich wird. Im Dorf selbst tut sich auch nichts, nachdem an den Schützenfesttagen mehrmals am Tag dorfauf und dorfab (ein wohlgemerkt horizontales auf und ab) die immer gleichen und deshalb – als gäbe es nichts anderes mehr – fast verloren wirkenden Rhythmen von ‘Preußens Gloria’ die jeweiligen Umzüge anführte und jedenfalls mich in die abgrundtiefe Melancholie des ‘Barry Lyndon’ nach den Klängen eines ‘Lillibulero’ stürzten. Lediglich heute morgen auf dem nahen Fußballplatz ein rasenmähender Traktor, groß genug, den ihn Fahrenden als Zwerg erscheinen zu lassen. Also morgen zum Zug. Dennoch wird sich morgen in B. zunächst Amelia behaupten: Tullia aus meiner ameriner Nachbarschaft ist dort zu Besuch bei einem, der ebenfalls mal in Amelia gelebt. Also morgen mal wieder mit Bestimmtheit nicht.