Arbeitsjournal. Montag, der 15. Dezember 2008.

6.07 Uhr:
[Arbeitswohnung. Händel, Cembalosonaten (für Klavier gesetzt), Jarrett.]
Ich weiß keinen Arbeitsanfang. Es kommt mir vor, wie wenn auch er müßte ein Neu-Anfang sein, was Unfug ist, das weiß ich selbst. Immerhin hab ich es hinbekommen, mich heute nicht mehr ausschlafen zu lassen, sondern bin um zehn vor sechs hoch; darauf hatte ich gestern nacht den Wecker gestellt. Es war abermals zwei Uhr geworden, ich hatte abermals getrunken. Einen sehr knappen Liter Wein, in der Flasche ist noch eine Neige; ich scheine also „aufgegeben“ zu haben. Bis zwölf war ich über Skype im Gespräch mit nahen Freundinnen; einiges davon sollte ich umarbeiten und anonymisieren und dann zur Grundlage theoretischer Überlegungen machen, so klug sind die Einwände, deren, aber teils auch meine Repliken. Was aber nutzt uns Klugheit? Doch es hilft, das >>>> Gespräch von Ricard und Singer zu lesen und, bei aller spontanen Abwehr, sich erst einmal auf Ricards buddhistisches Konstrukt eines reinen Geistes einzulassen, über das sich die eigenen Emotionen beobachten und, sagt er, filtern ließen: es gehe nicht darum, sie nicht zu haben, sondern darum, sie keine verheerenden Schneisen, die man nicht mehr mitbestimmen könne, schlagen zu lassen. Ich habe einiges einzuwenden, vielleicht werde ich das später, wenn das kleine Buch gelesen ist, auch noch formulieren; aber hier, in meiner Situation, hat es eine enorme Klarheit und Ruhe. Ich wußte nicht genau, was drinnensteht, ich griff instinktiv nach dem Buch, das ich bereits fast einem Jahr hier herumliegen habe; Bernd Leukert schenkte es mir mit den Worten, er habe viel daraus gelernt…

Um acht will ich ans Cello, kurz vor zehn radle ich zur Schule meines Jungen, wo das Gespräch mit der Klassenlehrerin stattfinden soll. Und muß. Ich habe Angst. Aber Ano schrieb: „In meinen Augen bist Du ein Katholik. Das macht Dich für mich auch so fremd. Katholizismus ist unheimlich.“ Da war ich verdattert. Es ist etwas dran, ich weiß aber nicht, was. Ich glaube nicht an Gott. Er ist für mich nicht einmal eine reizvolle Konstruktion, ganz anders als Maria, die etwas Magisches ausstrahlt.

Der ganze Nachmittag wird im Zeichen meines Jungen stehen: Musikschule, dann Judo, wo man die Weihnachtsfeier hat und die Eltern dabeisein sollen. An Arbeit ist also eh nicht wirklich zu denken.

8.10 Uhr:
[Bach, Sonaten & Partiten für Violine solo.]
Nun ja, ich lerne es allmählich, mit Enttäuschungen gleichmütig umzugehen: es waren n i c h t die Gedichtbände, sondern es war eine Sendung von dtv, darinnen zwei meiner anderswo erschienenen Bücher und die fotokopierte >>>> VERWIRRUNG DES GEMÜTS, von denen in der gescheiterten Verhandlung gewesen war, daß auch sie von dtv als Taschenbuch herausgebracht würden. Nettes Notizchen von der Lektorin Schedl-Jokl dabei: „Vielleicht sieht man sich ja einmal wieder.“ Nun ja. Dann kommen die ENGEL halt heute oder morgen oder in einer Woche. Ich habe mein Cello.

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 15. Dezember 2008.

  1. als ich damals begann… …. mich mit dem buddhismus aus:einander zu setzen, waren die auslöser dafür die situation, in der ich damals war, und mein freund u.. „beobachte dich“, sagte er zu mir. „tu erst einmal nichts anderes, als dich in deinem handeln, und in deinem denken selbst zu beobachten.“ ich schaffte es nicht, wußte nicht, wie ich das tun sollte, mich selbst einfach nur zu beobachten, so sehr war ich meinen emotionen verhaftet. „wenn es garnicht anders geht, stell dich einfach in gedanken neben dich selbst, beobachte dich, nur beobachten, nicht mehr.“ „nicht mehr?“ „ja, nicht mehr und nicht weniger.“ es war sauschwer, mich einfach nur neben mich zu stellen, zu beobachten, was ich dachte, was ich tat. nach einem halben jahr sagte ich: „ich geb’s auf, ich kann das nicht.“ „das, ich kann das nicht, ist schon wieder eine bewertung, du sollst nichts können, niemand erwartet was, schau einfach nur hin, sieh dich an, in allem, was du den ganzen tag, in jedem augenblick tust.“ es war wirklich unglaublich schwer für mich, mir vorzustellen, immer direkt neben mir zu stehen, mich dieser beobachter werden zu lassen, die sehende (also mich) und das von ihr gesehene beobachten zu lassen. was ich nach einem jahr feststellte, war, daß ich mich auf diese art und weise aus dem jeweiligen prozess rausziehen konnte, womit ich meinen emotionen einen anteil ihres gewichtes nahm. dieses beobachten wurde bestandteil meines täglichen lebens. ich sah mir beim einkaufen zu, beim zähne putzen, beim duschen, beim essen, beim autofahren, bei der arbeit… in den gesprächen oder auseinandsetzungen mit freunden, bemerkte selbst dabei, daß ich irgendwie ruhiger wurde, aber auch, daß ich, wenn meine emotionen mal wieder richtig zuschlugen, auf eine andere art und weise beteiligt im geschehen war. als ich das schaffte, lehrte mein freund mich das meditieren, auf seine art und weise. er lebte fast zwanzig jahre in einem kloster, kein buddhistisches. anfangs brachten die mediationen garnichts, außer verwirrung, ich konnte mit diesem gefühl nichts anfangen, was sich später änderte. ich registrierte zum beispiel, daß ich nach einer wirklich konzentrierten meditation, die übrigens zu anfang harte arbeit, also kein wegtreten, oder einfaches entspannen oder versinken ist, die halbe nacht, oder gar manchmal die ganze nacht nicht schlafen konnte, so wach, klar und putzmunter war ich, mir stand für mich eine neue art von energie zur verfügung, aber es irritierte mich. „mach einfach so weiter, laß alles, was entsteht, kommt… wieder gehen, bewerte nicht, beobachte, und versuch herauszufinden, wie du deine gedanken wahrnimmst, auf welche art und weise sie sich dir mitteilen, sieht du sie, hörst du sie, teilen sie sich dir anders mit.“ er ließ einfach nicht locker. nach fünf jahren war ich so weit, daß ich mir meinen eigenen schmerz ansehen, ihn aushalten konnte. „du hast die wahl, entweder frißt du dich weiterhin durch den kühlschrank, sitzt jeden abend stundenlang vor der glotze, triffst dich hier mit freundinnen, verabredest dich da… tust dies, tust jenes, nimmst drogen, trinkst alkohol… oder du siehst einfach nur hin, tust einfach nichts anderes, als hinzusehen.“
    ich entschied mich damals für den buddhismus, verschlang lektüre ohne ende, las diskussionen, auch die von ihnen beschriebene, von ricard und singer geführte, bekam die erklärung dafür, warum ich immer so seltsam wach und klar nach den meditationen war, aus diesem grund meditierte ich immer nur ganz in der früh, meistens so um 04.00 uhr, um diese uhrzeit empfinde ich eine selten ruhig eigene stille in den schwingungen der erde, danach war ich für den tag bereit. ich studierte buddhismus dann sechs jahre in einem kloster, ging regelmäßig zu den unterweisungen. nie in meinem leben lernte ich mehr über mich selbst in meinen emotionen, auch begann ich die menschen in meinem umfeld anders wahrzunehmen, meine eigene bewertung fing ich an, zurückzunehmen, konnte dadurch den menschen anders sehen, aber eben einfach nur sehen. heute werde ich oft gefragt, wie ich es aushielt, diese ganzen jahre am alten standort mit diesem choleriker zu arbeiten, ich sage dann immer ganz ruhig: „er ist ein mensch, der seine lektionen selbst lernen muß, dafür bin ich nicht zuständig.“
    mein freund hatte recht, ich lernte es auf diese art und weise, mich aus meinen prozessen rauszuziehen, ich war immer noch beteiligt, aber auf eine andere, ruhigere und sehende art und weise, was damals nach diesen geschehen für mich überlebensnotwendig war. ich erkannte das zu diesem zeitpunkt nicht, aber mein freund.
    heute ist es so, daß ich mich auf meine emotionen wieder richtig einlasse, was wichtig für mich ist, aber eben anders wichtig. dieses einlassen hat heute einen anderen blickwinkel, ich liefere mich mir selbst aus, ich sehe was ich tue, weiß, warum ich das tue, lasse genau den grund zu, und sehe es mir an, will das auch ganz intensiv, also lebend, mit geöffneten augen, mit dem wissen, daß alles eben nicht mehr, aber auch nicht weniger ist, tun. so fand ich übrigens meine eigene position in meinem eigenen vor mir selbst erschaffenen universum. ich weiß um die wirkung meiner eigenen muster, erkenne sehr früh den augenblick, in dem sie zuschlagen wollen, was ich definitiv zulasse, aber differenzierend zulassen kann. „augen auf, und durch“, sagte mein freund immer. eine dozentin von der eso sagte mir vor drei jahren: „an ihnen ist etwas anders als an anderen menschen, sie sehen anders.“ lächeln mußte ich, die lehre meines freundes wirkt bis heute, ich habe ihm viel zu verdanken. er ist vor einem vierteljahr hier in deutschland wieder in ein kloster eingetreten.
    das, was ich jetzt beschrieb, betrifft einen zeitraum von fast zwölf jahren… eine lange zeit, dieses erkennen wollens. es war sehr schmerzhaft, und intensiv… heute tut es nicht mehr s o weh, ist aber umso intensiv schöner, auch das ist wieder eine emotion, eine bewertung… aber eine die ich s o will. das mein schmerzkörper teilweise ein völlig autarkes leben führen will, mir dies auch ab und zu sehr deutlich sagt, kann ich heute aushalten, gebe ihm dann die chance nicht auf den ganzen, sondern nur auf den halben sieg. d a s kann ich bis heute nicht wirklich verhindern… ist aber auch kein wunder, manch einer hätte mein leben nicht überlebt. ich bin froh und glücklich darüber, daß ich mich heute genauso fühle und empfinde. nach jeder meditation ist eine ungewöhnliche klarheit in meinem schädel, eine ruhe, die platz macht, raum schafft und neue energie gibt. vor jeder klausur meditierte ich damals, als ich meinen abschluß machte, ich war immer diejenige, die als erste fertig war.
    buddhismus ist für mich nicht nur eine religion, er ist auch wissenschaft, und lebensphilosophie, eine, aus der ich für mich sehr viel verwerten konnte, antworten auf meine fragen fand, die die kirche mir nicht geben konnte. buddhisten machen sich selbst in erster linie für das verantwortlich, was ihnen in ihrem leben geschieht, sie treten diese verantwortung nicht an gott, oder jemand anderen ab, sie stellen diesen hohen anspruch an sich selbst. ich lebe den buddhismus nicht als religion, aber er lehrte mich die möglichkeit, mich mit mir selbst aus:einander zu setzen, was mir bis heute sehr hilft. ich bin ruhiger heute, meine emotionen dürfen ruhig schneisen schlagen wollen, auch ist es vor dem hintergrund meiner muster nicht meine entscheidung, auf welche art und weise ich die schritte in dieser schneise gehen will, ich gehe und sehe… was definitiv k e i n ausweichen bedeutet, sondern einfach nur ein anderes wahrnehmen meiner schritte, ein differenzieren. die eigenen schritte werden nicht mehr mit jedem schritt schwerer, sondern gehbarer.

    1. cellini, nehmen sie mir es nicht übel, aber, wie soll ich sagen, sie haben alles im griff, gut, aber, fucking hell, wer hat schon irgendwas im griff. gut, dass es buddhisten und therapeuten und die joggingstrecke gibt, das ist alles super, aber bad news bleiben bad news. daneben gibt es strategien, welche, ist nahezu wurscht, hauptsache, sie funktionieren. sich selbst beobachten, sorry, aber ich mag mir nicht ständig beim scheitern zuschauen, so lange hollywood nicht mitfilmen mag, ist es weder egostärkend noch kontofüllend.
      es ist so, man möchte ja doch irgendwie begreifen, was einen da angreift, und wenn auch alle welt meint, weil man sich selbst der nächste ist, reichts schon, wenn man seine seele neu lackiert, dann denke ich, nö, ich lass mich nicht so bereitwillig überfordern. da geb ich in dramatischen momenten lieber den joseph k und denke, gut, zustechen müsst ihr, das nehme ich euch nicht auch noch ab, denn ihr habt mir die scheisse eingebrockt. das war doch gar nicht ich. und schon gar nicht ich allein. so.
      als mich meine erste große liebe verließ, dachte ich, hey, wieso denn, es gab nicht mal ne andere frau. kann doch nicht sein mr high fidelity. gut, ich bin anstrengend, gut, es gibt schönere. aber ist das ein grund? du liebst mich, du depp. wir hocken ständig zusammen, du fährst nicht eher nach haus, als du musst, nur weil du jetzt denkst, du bist noch jung, du willst noch mehr erleben. deine punkfreunde finde ich auch nicht so spannend, wenn ich ehrlich bin, und deine musik ist kaum auszuhalten.
      hab ich natürlich damals alles nicht gedacht, und für den buddhismus war ich wohl zu jung. ich hab mich einfach wieder verliebt. war gar nicht so schwer und ebenso heftig. und dann steht man bei irgendeinem überflüssigen abitreffen nach 15 jahren wieder voreinander und denkt, jo, hat gepasst, würd wieder passen, doch die verhältnisse, sie sind nicht so, und recht eigentlich mag man sein heutiges leben und lieben doch auch sehre. ist irgendwie tragisch, ist irgendwie normal. und heute fällt mir ein, dass er morgen geburtstag hat, vierzig, und dass er nach berlin gepasst hätte, damals. ja, man war so jung, später ist das alles anders. ist es? kommt mir gar nicht so vor.

    2. “alles anders” Das klingt alles sehr klug, ob es auch tröstet – wer weiß. Und wer weiß, ob es das soll.

      Aber was ich doch einmal loswerden möchte: Sie schreiben häufig, Ihre Freundin und diverse weitere Personen, denen Sie begegnen, sagten zu Ihnen, an Ihnen sei “alles anders”. Das ist sicher angenehm, das gesagt zu bekommen. Allerdings ist an den meisten Menschen alles oder doch vieles anders als an den meisten anderen, und vor allem viel mehr, als die anderen gern glauben. Und vor allem möchten das die meisten auch sehr gern glauben, daß an ihnen selbst alles anders ist. Deshalb sagen das auch sehr viele von sich, daß sie dies oder das oder das meiste oder alles anders machen als alle oder die meisten anderen.
      Doch je öfter ich diesen Satz höre und lese, von einer Person, die ihn über sich selbst äußert, um so stärker gewinne ich dabei den Eindruck, er soll vor allem eines transportieren: daß diese Person recht hat. Und im Hintergrund winkt noch der Satz: I am better than you. Sicher meinten Sie das nicht oder jedenfalls nicht diesmal. Nuju

      Freundlich aufmerksamer Gruß
      Lupus

    3. steht da nicht “später ist alles anders”? im sinne von, später ist alles viel komplizierter, weil man x leben und lieben schon hinter sich hat und familie und und und.
      ja, an den meisten menschen ist vieles anders als an anderen, wie fremd der fremde nur in der fremde ist und sowieso. wegen mir bin ich auch gern gar nicht anders, aber mitspielen lässt man mich ja auch nicht wirklich, also darf ich doch wohl sagen, bei mir lief es etwas anders als bei anderen mit lustspielpreisen zb. da denkt man nämlich erst, jetzt gehts los, und dann geht gar nix los, oder doch zumindest deutlich weniger als bei sowieso und bei sowieso. so denkt man dann, und dann denkt man, irgendwas muss an dir anders sein, muss es doch, sonst würdest du doch auch wie der und die jetzt dies und das. was ist es nur. und ich finde das überhaupt nicht angenehm, gesagt zu bekommen, du bist anders. wollte ich nie sein, hab ich mir auch nur zum teil ausgesucht, würde ich mal behaupten. man hat sich damit arrangiert. und jetzt wird einem noch ins arrangement gespuckt, auch nicht nett. irgendwo muss man doch bleiben dürfen und sich auch mal, wenn schon nicht besser, aber mal ok fühlen dürfen, oder?

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