29./30. Juli 2008. Samtene, barmherzige Nacht.

Da ist es nun wieder: das mit der Fähigkeit verkoppelte Vermögen, erotische Macht auszuüben, allein durch die Kraft der Präsenz, durch das nahezu völlige Fehlen einer moralischen Hemmung; was nicht bedeutet, gar nicht, daß ich unmoralisch wäre, eher im Gegenteil; es ist nur so, daß mir sehr normal vorkommt, was andere Menschen bereits als schwere Normübertritte empfinden; weshalb sie in ihrem Grundwasser ängstlich sind; Angst macht trübe. Klares Wasser aber ist kalt, nahezu immer, das ist die Kehrseite; sie verstärkt die Macht. Wenn ich es einmal darauf angelegt habe. Das ist der Hintergrund manches Nietzsche-Gedankens, für den man sich aber hüten muß, ihn mit Überhebung zu verbinden; Übermenschen sind furchtbar; im Gegenteil muß man ihn mit einer Art von, glaube ich und sage ich, respektvollem Mitleid füllen: einem, das den Menschen nicht die Ehre nimmt, >>>> sondern begreift, daß wir alle, letztlich, Gefangene sind und uns das keineswegs ausgesucht haben, noch hätten wir es aussuchen können. In dem, wie wir „ticken“, wirken Prägungen, derer wir uns zwar bewußt werden, die wir aber nicht loswerden können; ein „apper Arm“, sagte mal ein Freund, „ist ein apper Arm“, da können wir uns zwei Arme so bildlich vorstellen, wie immer wir wollen. Was uns bleibt, ist, einen Ausgleich zu schaffen, keine Sublimation, nein, sondern ein Auffangvermögen der Sinne, so, wie Blinde lernen, Geräusche zu sehen.

Es ist nicht eigentlich etwas passiert. Wenn man davon absieht, daß sie mit der entblößten linken, sehr schweren Brust neben mir die von Lichtfunkeln und Treibenden belebte Straßennacht durchschritt und leis vor sich hinsagte: „Was tu ich hier nur? Was tu ich hier nur?“ An der Ecke zur Allee ließ ich sie sich zu Boden setzen, ich setzte mich auch, auf einen Sims, und ließ sie zwischen den Nachtschwärmern, es waren aber nicht mehr viele, meinen linken Fuß lecken. Niemand wurde aufmerksam, niemand sah auch nur her, ich legte meine Dominanz wie eine Decke, worin sie geradezu versteckt war, über sie. Vorbeiflanierenden sah ich, sofern sie überhaupt herschauten, in die Augen, lächelnd; eine Frau lächelte zurück. Auf dem dann nur noch kurzen Weg zum Taxi sagte meine Begleiterin: „Das habe ich noch nie getan. Und dann auf offener Straße!“ „Bereuen Sie es?“ „Würde ich dann lächeln? Aber es wühlt in mir alles durcheinander.“ So stieg sie ein und winkte, als das Taxi fortfuhr.
Ich bin fair, das gebieten Selbstachtung und Spiel; meine Liebe sei ein- für allemal gebunden, sagte ich ziemlich gleich zu Anfang des langen, sich zunehmend erotisierenden Gespräches draußen in dem Straßencafé; wenn sie, die Frau, auch nur leicht spüre, daß sie sich verliebe, solle sie mich sofort fallen lassen und jede weitere Begegnung meiden. Ich sei ein passabler Vergil durch die Unterwelten der Erotischen Komödie, mehr aber nicht; man könne gut meinen Schritten folgen und käme dann heil und sehr befriedigt heraus, man dürfe sich aber nicht an mir festhalten. Nur dann kehre man nel chiaro mondo wieder,

e sanza cura aver d’alcun riposo,
salimmo sù, el primo e io secondo,
tanto ch’i’ vidi de le cose belle
che porta ‘l ciel, per un pertugio tondo.
E quindi uscimmo a riveder le stelle.