III,65 – Hautfetzen

Leider dann gestern abend doch nur eine Version von ‘Titanic’ auf Brasilianisch ohne Untertitel gefunden (also auf youtube, jedenfalls weigere ich mich immer, für einen kurzen Spleen Extraanmeldungen vorzunehmen, bei denen dann wahrscheinlich persönliche Daten einzugeben sind). Irgendwie kam ich auf Tarkowski, und so schaute ich mir ‘Nostalghia’ an: “Aus einem Tropfen und einem Tropfen entsteht ein größerer Tropfen, aber es entstehen nicht zwei.” Verflechtungen zu Orten, die sich bis auf die Abbazia San Galgano zur eigenen Geschichte gesellen. Eine doppelte Nostalgie, obwohl der Terminus für mich falsch ist. Für solche Verflechtungen ziehe ich immer den Begriff “Privatmythologie” vor, das sich aus den Knoten der Erinnerung ergebende ganz persönliche Beziehungsgeflecht, das sich jeder Verallgemeinerung verweigert und auch kein Denksystem darstellt. Also die neulich schon erwähnte ‘Madonna del parto’ von Piero della Francesca (bei dem ein ‘Hut ab!’ allerdings unangebracht wäre, denn er brilliert ja geradezu durch seine Kopfbedeckungen in anderen Bildern), Bagno Vignoni (ein in der Wirklichkeit im Gegensatz zum Film entzauberter Ort mit dem Hotel in der Nähe, vor dem Busse mit Schweizer Kennzeichen standen, entzückend indes die Kellnerinnen damals im dortigen Restaurant (und meine Frau in den Scherzreden mit ihnen)), kurz auch Civita di Bagnoregio, der aus der Erosion des Bodens – noch – herausragende Ort, und Rom halt (Campidoglio, da, wo man heiratet, und wo Domenico das Benzin ansteckt, mit dem er sich übergossen (Hemmschwelle jetzt, dies weiter auszuführen)). Wäre noch einmal anzuschauen: “Die nicht zum Ausdruck gebrachten Gefühle vergißt man nicht.” Kurz: “Ich zog Hautfetzen von meinen Lippen.” Den nochmal anschauen, auf jeden Fall. Zum Bildervorrat gehört er nun unbedingt. – Nicht aus dem Hof herausgekommen. Und bevor ich anfing zu schreiben, noch und noch die Boateng-Geschichte nachgelesen. Meine Neffen hier haben eine noch dunklere Haut als er (Vater aus dem Senegal). Wünsch’ mir nur, daß ihnen deshalb nichts Unangenehmes passiert, und zwar von ganzem Herzen. Irgendwelche Projektionen, sie auch mal in meine heimatlichen Gefilde mitzunehmen, sind in der Zwischenzeit jedenfalls reichlich verblaßt. (Dies meinem Panik-Vorschub anzulasten…). – Auf dem Platz draußen wurden türkisfarbene Planen ausgerollt. Derzeit nur Frauen, die beieinander stehen bzw. sitzen. Am späten Vormittag ‘Infiorata’ wegen Corpus Domini, also Blütenblätterbilder in der abwärts führenden Gasse, um unter Priesterschritten zerstört zu werden. Taten Priester je etwas Anderes?

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4 thoughts on “III,65 – Hautfetzen

  1. Taten sie, ja. Um nur an die >>>> Theologie der Befreiung zu denken; und in Neapel war es ein (von einer Camorrafraktion schließlich ermordeter) Priester, der die jugendlichen Desperados von der Straße holte und ihnen in einem als Selbsthilfeporjekt, das bis heute läuft, ja zunehmend stärker wird, ausgelegten Ansatz Zukunft gab, eine, die sie sich selbst gab und gibt. Sein Name war Don Antonio Loffredo, die aufgrund seiner Initiative gegründete Initiative heißt >>>> La paranza.
    Ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen Priestern-als-Personen und dem Machtkalkül der Kirchen, wobei sich diesem sicherlich sehr viele, wenn nicht die meisten Geistlichen beugen – wie in jedem anderen autoritär strukturierten Apparat. Doch die rhetorische Frage “Taten sie je etwas anderes?” ist – so pauschal – suggestiv falsch und schwächt diejenigen, die Widerstand leisten.

    1. Was ich außerhalb der fast schon zwingenden Metapher, die – wie Dir nicht entgangen ist – auf die Kirche abzielt, auf Religion ganz allgemein und deren Auswüchse, natürlich auch so sehe. Hatte ja selbst einen Priester in der damals angeheirateten Familie, der mir stets sympathisch gewesen, vielleicht weil er schwerhörig war, und die Frauen dasjenige, was ich mit meiner tiefen Stimme sagte, mit ihrer hellen Stimme ihm fast laut brüllend wiederholen mußten. Hab’ sogar ein paar Bücher aus seiner einstigen Bibliothek hier. Im Priesterheim in den Jahren vor seinem Tod hatte er eine Riesenkinderpuppe zur Gesellschaft und stets eine Grappa-Reserve. Es sollte dennoch der Satz im Zusammenhang mit dem Bild gelesen werden.

    2. @Bruno Lampe Ich glaube nur (empfinde “nur”), daß eben das “Bild” semantische Schlüsse nahelegt, die dann gleichsam suggestiv sind, ohne ihnen ein tatsächliches Recht zu geben. Bild-“Schlüsse” sind, weil naheliegend, gefährlich. Darauf bezog und bezieht sich mein Einwand.

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