Paul war und ist ein solcher Mann. Seiner eigenen Lebensgeschichte, Andere, Fremde und Freunde, finden sie interessant, stand er, steht er bis zum heutigen Tag skeptisch gegenüber. Das was ihm geschah, und das war nicht wenig, hatte er exakt wie ein Chirurg, der ein Bein fein säuberlich vom Oberschenkel absägt, von sich abgetrennt. Ich bin ein Freund von ihm. Und Chirurg von Beruf. War Chirurg. Seit kurzem, die Klinik in der ich als Chefarzt figurierte, wurde aus Kostengründen von der Kommune geschlossen, bin ich arbeitslos. Von der Rente trennen mich noch zwei Jahre, die es auszufüllen gilt.
Pauls Wunde heilte schnell.Der Alltag ließ ihm keine Zeit die Narbe liebevoll masochistisch zu pflegen. Nur ab und zu, im November eines jeden Jahres, die Zeit hat das Tempo eines Stundenzeigers, der von der Atomuhr in Braunschweig permanent neu justiert wird, also unaufhörlich um das Zifferblatt kreist, meldete sich bei ihm der gewollte Verlust an Vergangenheit als Phantomschmerz. Heftig schoss mitunter ein flammender Stich durch die leeren Stellen seines Gedächtnisses und signalisierte, dass da etwas in seinem Leben geschehen war, dessen er sich nicht mehr erinnern wollte und wohl auch nicht konnte. Für Paul stellte sich seine Biographie wie ein Puzzle dar, dem über die Jahre einige Einzelteile abhanden gekommen waren, die nun als weiße Flecken, als Narben, genau auf jene Stellen seines Gesamtbildes hinwiesen, die er rein äußerlich, zugegeben mit Bravour, – mein Blick ist immer noch genau so scharf, wie mein erstes Skalpell, das in einen mit dunkelrotem Samt ausgeschlagenen Lederetui auf meinem Schreibtisch liegt; unvergessen, wie ich die erste Galle operierte, – aus seiner Selbstbetrachtung aussparte, ja aussparen musste, um in der Gegenwart bestehen und sich bewegen zu können. Zwei Jahre bis zur Rente liegen nun vor mir. Die müssten reichen Pauls Phantomschmerzen jenen realen Ereignissen seines Lebens zu zuordnen, an denen ich beteiligt war und, wer Paul kennt wird mich verstehen,
an ihnen Anteil nahm. Wir kannten uns von der Schule her….
Das Beruhigende an der Zukunft ist, dass sie irgendwann von der Vergangenheit eingeholt wird. Das Beunruhigende an der Vergangenheit ist, dass sie mit der Gegenwart Schritt hält.