Paul Reichenbachs Donnerstag, der 19. Juli 2007. AN ALTER AUSFAHRT.

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AN ALTER AUSFAHRT

Da ist kein Gleis mehr
Nur ein Bett lässt sich noch ahnen
Kamille wuchert und ein gelbes Sommerblühn
versperrt am Horizont die kleine Biegung
und viel zu hohes Gras wiegt sich im Wind
wo einst die Weiche Wechsel uns versprach.

Ein alter Rammbock döst,
sein Eisen rötlich, rostzerfressen
das Holz verwittert, – Würmern ist es Heim –
ein Eichelhäher kauert frech und treibt
Mit einem Bussardruf: piüü‘ piüü‘
die Maus ins Loch. Lauter Mimikry !

Und ein Signal verkümmert steht
die Kabel längst sind sie gerissen
viel früher schon: Immer noch auf Grün.

7 thoughts on “Paul Reichenbachs Donnerstag, der 19. Juli 2007. AN ALTER AUSFAHRT.

  1. -Würmern ist es Heim… Lieber Paul, dein Gedicht berührt mich sehr. Ich stehe gerne an solchen Orten. An verwitterten. Dort ist etwas so Schönes möglich: Einst und Jetzt und das Später vielleicht auch noch, eine kurze Blende in den Gedanken, und dann verschmilzt alles zu einem intensiven Gefühl für die Ewigkeit, welches so kostbar weil tröstlich ist. Danke dafür!

  2. zuerst einmal: vielen dank für dieses wunderbare gedicht! ich war sofort davon eingenommen.
    was mich jedoch irritiert hat war zB. das „sommerblühen“. sofort hatte sich beim ersten lesen des gedichtes eine lebenszeitliche parallele bei mir eingestellt; und es näherte sich mir eher herbstlich.
    ich kann terpsichore bei dem „intensiven gefühl für die ewigkeit“ nur bedingt zustimmen: für mich transportieren die zeilen ein, der inneren ebene übergeordnetes, bewusstsein der vergänglichkeit („rostzerfressen/verwittert/würmer“), welches jedoch auf wundervolle weise auf der inneren Ebene entkräftet wird: „…ein signal verkümmert steht (…) immer noch auf grün“. diese hoffnung wird einem nicht genommen, wobei es völlig irrelevant ist, ob das signal nun funktionsuntüchtig ist.

    danke für dieses gedicht paul reichenbach

  3. Lieber Paul, freu dich über das Echo und ändere doch Einiges.
    Das etwas verbrauchte Grasbild, den abgestürzten Rhythmus in der 2.Strophe, okay – von mir aus. An Änderungen zum Ende hin, kommst Du aber nicht vorbei, da stört die Rendundanz

    montgelas

  4. es gibt poetiken, in welchen tausendfach verwendete bilder nie als abgegriffen gelten: ihre offensichtlichkeit ist ihre stärke, nicht schwäche.
    der rhythmus der 2. strophe ist (je nach betonung) gar nicht so gebrochen. nach mehrfachem lesen finde ich bereitet er sogar sehr gut die exklamation vor (in ihrer kürze eine schöne rhythmische zäsur vor der letzten strophe).
    bei der redundanz gebe ich ihnen allerdings vollkommen recht.

    grüße

  5. …ein Gefühl sollte doch gar keiner Zustimmung bedürfen. Zumal ich glaube, dass, selbst wenn wir uns über das Wort „Ewigkeit“ verständigen, jeder von uns etwas anderes dabei empfindet. Für mich ist es ohnehin ein Wunder, dass Kommunikation über Gefühle immer wieder so funktioniert. Wir nehmen an, dass wir über dasselbe reden. Aber w i s s e n wir das? Was ist die Ewigkeit des Einen verglichen mit der Endlichkeit des Anderen? Vielleicht liegen beide ja sehr nahe beieinander?

    1. Ein „Gefühl“ wird von diesem so, von einer anderen anders empfunden. Und auch von ganz verschiedenen „Dingen“ ganz verschieden ausgelöst – nach Maßgabe von Prägung, möglicherweise sogar nach genetischer Disposition, und von Bildung – darum kann das Gefühl nicht zur Bestimmung taugen, ob etwas ein Kunstwerk sei oder nicht. Da betrifft auch den „In halt“; auch Inhalt, Aussage usw. eines Textes, einer Musik, eines Bildes k ö n n e n nicht das sein, was Kunst als Kunst formt; wäre dem anders, Kunst wäre ein reiner Wert-Begriff des Relativen, und es könnte ebenso Kunst sein, einen besonders „kunstvollen“ Haufen zu kacken, wie eine Neunte Sinfonie zu schreiben; es gäbe dem Wert nach rein gar keine Differenz. Da hilft erst recht nicht, wenn es einem medialen Erzeugnis gelingt, bei sehr vielen Gefühle, meinethalben gleiche oder doch ähnliche, hervorzurufen. Das läßt sich billiger erreichen, wie etwa Techno tut, dessen Beat nahe am Herzschlag, und das sehr laut, liegt: man kann die physiologische Wirkung messen, ohne daß das auch nur ungefähr etwas mit Kunst zu tun hätte (so auch die Obertongesänge manch religiöser Exerzitien, so auch das Ge-Om-me mancher meditativen Versenkung – alles Erzeugnisse manipulativer, sinnesmanipulativer Art – die mehr in den psychologischen Experimentier- und Bastelkasten gehören als gerade zur Kunst.
      Was Kunst s e i, muß deshalb ganz außerhalb ihrer Inhalte und Wirkungen gesucht werden. Wenn sie Wirkungen h a t, um so besser (oder auch schlechter); aber das sind Bewertungen, nicht Erkenntnisse der Kunst-Ontologie, wie sie eine Ästhetik ist oder sein sollte. Ich tendiere zur formalen Bestimmung: Es müssen sich objektivierbare Momente an einem Kunstwerk finden lassen – in der Dichtung etwa der Rhythmus -, die es zu einem Kunstwerk machen. Sich rein auf seine „Ausstrahlung“ zu verlassen, scheitert deshalb, weil Menschen, die ja verschieden sind, auf Ausstrahlungen ganz verschieden reagieren… manche ziehen Utta Danella vor und geraten bei d e r in Verzückung, andere finden Utta Danella eher misfits und sind angeödet. Hingegen weiß man bei einem Kunstwerk – nach angemessenem zeitlichen Abstand – fast immer, ob und daß es eines ist, und zwar egal, ob man es mag oder nicht. Dieser Effekt ist von etwas bewirkt, von etwas rein Formalem am Kunstwerk. Die Kraft eines Kunstwerks besteht sicher nicht darin, daß das Kunstwerk Gefühle auslöst – wie es ganz offenbar Reichenbachs Gedicht getan hat -, sondern daß diese Gefühle von etwas ausgelöst werden, das nicht aus dem Gefühl s t a m m t, ja woher etwas stammt, ist oft sogar hinderlich… also ein Anliegen etwas – es sei denn, das Anliegen wird quasi versachlicht und als Material mit anderem Material formal gebunden. Diese Formlösung kann dann, in einem guten Fall, Gefühle auslösen, hat aber mit Gefühlen erst einmal gar nichts zu tun, sondern ist wahrscheinlich sogar der Versachlichung des Gefühls zu verdanken und seiner Überführung in Form.

      [Poetologie.]

      (So bitter es klingt und ist, aber aus dem Vorstehenden erhellt sich, weshalb ein faschistisches Kunstwerk ein Kunstwerk s e i n kann; es kann das aber auch nicht sein, ebenso wie ein demokratisches und/oder humanistisches Kunstwerk Kunstwerk sein oder nicht sein kann oder ein fundamentalislamisches, überhaupt ein religiöses… all das, wozu ein Kunstwerk ideologisch gehört, spielt für das Kunstwerk-a l s-Kunstwerk überhaupt keine Rolle.)

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