Die Drohung des Videoverleihers im Ohr (“sehr hart”) die DVD in den Computer gelegt, Kopfhörer aufgesetzt, schon die erste Szene – enorm ruhig, enorm depressiv, enorm abgerissen – schlug auf den Magen; dann dreht der Film im Tempo auf, es dreht sich auch die Kamera, er gibt keine ruhige Minute mehr, der Regisseur p e i t s c h t die Aufgeregtheit, den Haß, die Not voran, bis das Gesicht eines Mannes, zumal des „falschen“, völlig zerschlagen ist, dann blendet der Film zurück, blendet weiter zurück, immer weiter zurück… ein Zurückgehen auch der Brutalität, der Film wird nach der Vergewaltigung (Formklammer: auch das Gesicht Belluccis völlig zerschlagen) zunehmend weicher, zunehmend verlorener, insgesamt enorm sorgfältig gebaut, vom Geständnis des gealterten inzestuösen Kinderschänders am Anfang zum Schwangerschaftstest der furchtbar ausdrucksvollen Belluci kurz vor dem und ihrem Ende, der Blick in die großen fötalen Augen des Endes seinerseits von „2001 A Space Odyssee“… selbst die Musik, die Trauermarsch wird – Beethoven -, nachdem allezeit eine Art Technobeat – ebenfalls ein Marsch imgrunde – den Rhythmus vorgab – wird w a h r ………. – ach!, eine traurige, eine sehr genaue, eine furchtbare, eine wahre Geschichte. Die ich wie „love the hard way“ nie mehr vergessen werde. Sie ist aber noch härter, fatal-unerbittlich. Ein f r a n z ö s i s c h e r Film eben. Und den Totschlag begeht a u c h der “Falsche” – weil er eben der p o e t i s c h R i c h t i g e ist.
Das sind die Knoten der aggressiven Dynamik: nicht mehr die S p u r autonom.
Stil Wann habe ich das letzte mal einen 15-zeiligen Satz gelesen? Sie schreiben allgemein so verschachtelt und kompliziert. Ist aber wohl Ihr Stil. Eben.
Verschachtelt und kompliziert. Sind zwei verschiedene Sachverhalte. Verschachtelt und k o m p l e x – d a s gehört zusammen, denke ich. Es gibt eine sehr modische Vorstellung, die besagt: alles sei auch e i n f a c h auszudrücken. Dahinter steht der Geanke, daß alles einfach i s t.
Ich halte diesen Gedanken für absichtsvoll falsch: Er soll den Leuten die Augen verkleben.
Dem Komplexen verleiht die Sprache Ausdurck. (Abgesehen davon hat es mir immer L u s t bereitet, gute Schachtelsätze zu lesen, etwa bei Kleist oder Gerd-Peter Eigner. Die sogenannten einfachen waren mir fast immer – wie in der musikalischen Faktur – schnell zu öd.)
Lesefluß Ich bin ja nur der Leser, nicht der Autor. Also die andere Seite des Schreibens und des geschriebenen Wortes. Was aus ihrem Kopf in die Hand in die Schrift aufs Papier geht, geht bei mir aus der Schrift über die Augen in den Kopf. Wenn jedoch das, was Sie zu sagen und zu schreiben haben, so verschachtelt und verkopft verkompliziert wird, mag das vielleicht aufgrund der „schönen Komposition“ den Kritiker erfreuen. Als schlichter Leser werde ich im lesen jedoch furchtbar ausgebremst, muß einzelne Sätze zu oft lesen, um einen Sinn herauszufiltern. Nun, ich bin wie gesagt, nur der kleine Leser. Das ich Ihnen hier schreibe ist für mich sehr überraschend, da ich eher dazu neige, diese Art von Literatur zu meiden und nicht zu kaufen – wegen ihrer unlesbarkeit für mich. Sie haben jedoch Ihre Gründe für Ihren Stil genannt. Danke.
Man muß nur den Rhythmus finden. Mit der Dichtung ist es wie mit der Neuen Musik, die nicht mehr auf die gewohnte Tonalität abstellt, und es ist ebenfalls mit ihr wie mit der Neuen Kunst: All das muß man (mußte auch ich) erst höre und sehen lernen. Darin ist Kunst nicht unterschieden von irgend einer Wissenschaft: auch sie bereitet erst Lust, sind die Grundlagen erarbeitet worden. Will sagen: Man muß das haben, was ich Rezeptionswille nenne (als Pendant zum Kunstwillen). Es ist keine Verpflichtung, bewahre. Aber es birgt ein Versprechen auf sehr große Lust.
Weil ein Satz kompliziert ist, ist er noch lange nicht verkopft. Aber er k a n n es selbstverständlich sein. Die Frage ist: Welche sinnliche Qualität birgt er und weiß er zu transportieren? Und selbstverständlich: Für wen? Denn was wir wahrnehmen, ist bedingt durch das, was wir vorher lernten oder geatmet haben, woran wir unsere Lüste und Ängste hatten. Die Menschen sind nicht gleich. Schon ihre (wertfrei, bitte) Bildung ist eine verschiedene, und je nach Bildung wissen sie verschiedene Phänomene anders wahr- und aufzunehmen. Mir etwa wird immer die Lust vorenthalten bleiben, die es bedeuten muß, ein Flugzeug selbst zu steuern. Mir wird die Lust vorenthalten bleiben, ein Raumschiff zu steuern. Ich werde niemals, was ich bedaure, auf den Grund der Ozeane fahren können.Und all das nur, weil sich bestimmte Weichen in meiner Jugend anders gestellt haben als die eines sagen wir Strahlenfliegers. Man kann das bedauern, aber es ist so. Und gilt auch für die Wahrnehmung und Wahrnehmungsfähigkeiten der Künste. (Daß man solche Hemmnisse mit A r b e i t oft zu überwinden vermag, ist nicht bestritten; das aber steht auf einem anderen Blatt: nämlich dem des W o l l e n s.)
Dann einen Rat Dieser Leser will schon. Durch Zufall bin ich auf Ihre Seite geraten. War bei Amazon auf der Suche nach SF-Literatur. Welches Ihrer Bücher würden Sie jemanden, der sich nicht scheut Bücher zu lesen die auch schwierig sein dürfen, empfehlen? Nur als Hinweis: „Das Sein und das Nichts“ von Jean-Paul Sartre habe ich leider nicht verstanden. Vielleicht finde ich ja den Rhythmus?
Als SF-Leser, obwohl THETIS nicht e i g en t l i c h SF ist, versuchen Sie es mit dem ersten Anderswelt-Band, also THETIS. Das Buch hat bei Lesern ganz unterschiedlicher Herkunft und Lese-Sozialisation heftige Reaktionen hervorgerufen: viele der Begeisterung, aber auch viele der Abwehr. Und das ist in der Tat kein Problem der Vorbildung gewesen. Ich habe für den Roman sowohl einen Literaturpreis bekommen, wie ich für ihn zugleich verhämt worden bin: weil ich mich – als ausgewiesener ‚E-Literat‘ – in die „Niederungen“ der SF begeben hätte.
Sie können aber auch versuchen, in >>>> die in diesem Jahr erschienenen Erzählungen „Die Niedertracht der Musik“ einzusteigen. Sie sind nicht ganz so umfangreichen und geben einen guten Überblick über meine Arbeit.
Bedankt Bis hier hin einen Leserdank. Buch ist bestellt. Wenn gelesen, versuche ich an gleicher Stelle einen ein- bis zweizeiligen Kommentar abzusondern. Was SF betrifft, kann man nicht von Niederungen sprechen, wenn man Autoren wie Dick, Priest u.a. meint. Vielleicht reiht sich jetzt noch ein Herbst hinzu?
Über Philip K. Dick habe ich ein vom WDR produziertes Hörstück geschrieben. Falls es Sie interessiert, finden Sie das Typoskript dazu >>>> als pdf-Datei h i e r.