28.3.1994
Nach Jahnns Medea im Café Silberstein: Erheblich härter als Tacheles. Skulpturen und Bilder, die an H.R. Giger erinnern. Gleichzeitig Negation und eben Schönheit. Also dieser Ort ist zu empfehlen, außerdem (…). Das Publikum s i t z t tatsächlich auf Kunst; das ist Einbindung in den sozialen Raum, der dadurch etwas Kultisches bekommt und das auch spüren läßt. Musik: RAP mit JAZZ-Elementen; an die der Eingangstür gegenüberliegende, von Bogentür über Treppe durchbrochenen Wand Dia-Kunst-Projektion. Hier auch ein völlig anderes Publikum: seltsam elegant, intellektueller, irgendwie freier. Oder ich bekomme allmählich einen Blick für die Verhältnisse hier. Was im Tacheles zur Lotter-Stimmung umgedreht-eitel stilisiert wird, findet hier zur Ästhetisierung. Dann auch noch Musikgruppe: Baß, Tamburin, Gitarre, Gesang. Gitarrenhalfterung mit rotem Strick angebunden, kein klassischer Gurt, ärmlich. So auch die Menschen. Und daß ich nun Jahnns Erläuterung zur Medea, der Gottochter, lese. Zucken des Gefühls, tatsächlich zu einer älteren Generation zu gehören, obgleich doch dieser Eindruck von Überalterung immer schon, seit Kindheit und Jugend, in mir gewesen ist. Eigenartig spät erfüllt. Und immer Orchideenvogel dabei.
Die Musikerjungs, nach drei an Rock & Afro erinnernden Songs, packen ein. So ziehen sie von Ort zu Ort, um, nachdem gesammelt worden ist, insgesamt auf ein anständiges Honorar zu kommen. Das mag sich eventuell sogar rechnen.
Zwei schöne junge blonde Damen in Gesellschaft eines blonden Mitt- oder Endzwanzigers. Bereits bei Medea gewesen. Die, auf die ich ein Auge geworfen, kat keines für mich. Oder extra nicht. Abgesehen davon, ist das ein böser Vergleich, nachdem Medea mit den Augen des Boten umherwarf, sie erst, wahr-organisch, je auf den nach oben gedrehten mittleren Fingergliedern hielt.
Die Aufführung war besser als der Baal im Berliner Ensemble – teils wegen der Sprache (natürlich der Sprache), teils wirklich wegen der Schauspielerleistung. Hinwiederum: D o c h zuviel geschrien, zuviel getobt, manchmal in die Zote abgerutscht (…), was nicht gänzlich falsch wahr.
Gang vom Gorki-Theater ins Silberstein: vorbei an Tempelhaftem und dem Rundkuppelbau des Bode-Museums, das, vor dem Kanal, mich so sehr an Venedig erinnert. Nacht. Einzelne Wolken sichtbar – und Sterne. Dazu Lichter, Gedanke an Jeckyll & Hyde und sogar die Idee, J&H einen eigenen Aphorismus in den Notaten zu widmen. Also: Gang bei Nacht. Oder: Golem. Noch eine Idee: Blicke.
Auch die Brezel-Männer verkaufen in den Kneipen. Draußen Bordsteinschwalben. Wie bitter: einsam und kein Geld. Kurzer, sozusagen vorüberfliegender Flirt. Sich angewöhnen, immer in die Gesichter zu schauen. – Jetzt hat sie ihr Haar gelöst! (Ja: mit Ausrufezeichen.) Schuhe halbhoch, dann Strümpfe grau/schwarz geringelt, schwarzer Rock, lose darüber weite Lederjacke und das blonde lange Haar. Am Kopf Neigung zum Verfetten.