Gegenüber der Praxis meines Analytikers gibt es zwischen zwei Mietshäusern eine kleine, zugewachsene Brache: Völlig verwunschen gammeln dort alte DDR-Garagen vor sich hin und werden allmählich von einer Natur zurückgeholt, die fern jeden Begrünungsplanes ihrer eigenen, erstaunlich wilden Schönheitswege geht. Jedesmal, wenn ich etwas zu früh zur Stunde kam und komme, stehe und stand ich fast benommen davor und spürte den Sog, das Metallgatter zur Seite zu drücken und einzutreten.
Seit ein paar Wochen tu ich das nun dreimal die Woche. Von morgen an wird es vorbei sein.
Die Angeln quietschen, man muß das verrostete Tor etwas anheben, um es bewegen zu können. Links, hat man sich durch das erste Gestrüpp gekämpft, eine klaffende Garage voller Müll und Kot und weggeworfenen Elektrogeräte. Die folgenden Garagen sind noch von altlackblätternden Holztüren verschlossen, die rechten sowieso. Bis auf eine, die fünfte rechts. Ich höre Gekrame, ich sehe ein Tischchen, einen Sperrmüllsessel, auf dem Tischchen ein paar Batterien. Dann Geraschel, Gekruschel von rechts. Ein ausgesprochen gepflegt wirkender junger Mann mit Stoffrucksack kommt heraus, erschrickt etwas, als er mich sieht, aber ich lächle und wünsch ihm einen guten Morgen. So kommen wir ins Gespräch und sprechen seitdem oft miteinander.
Er lebt ohne Absicherung, er w i l l keine Absicherung, sucht sich in der Stadt seiner Wahl solch einen verlassenen Ort und richtet ihn ein. „Nur für Freunde“ steht auf einem ungelenken Holzschild an seiner Garagentür. Drinnen ebenfalls Sperrmüllmöbel, selbst gepflückte Blumen auf dem Tisch, eine ausgediente Maratze, der Schlafsack, ein Camping-Kocher.
Und nun ist es kalt geworden in Berlin.
„Ich werde weggehen“, sagt er.
„Wohin? Was haben Sie vor?“
„Südfrankreich erstmal. Dann vielleicht Spanien, in Andalusien gibt es viele leere Bauernhütten. Vielleicht auch Sizilien. Wohin man mich mitnimmt.“
Gestern sagten wir einander Lebwohl. Nur kurz. Ich hätte ihm etwas mitbringen sollen zum Abschied. Vergaß es. War beschämt, als ich sah, daß er ein paar seiner Pflanzen ausgetopft und in einen Plastikbeutel getan hatte. „Die pflanze ich an einer geschützten Stelle ein“, sagt er, „damit sie den Winter überstehen.“
Wir gaben einander nicht einmal die Hand, so fremd sind unsere Welten.
war er deutscher? kommt er zurück, wenn es nächstes jahr wieder wärmer wird? oder fährt er so „durch die welt“?
Ja, ein Deutscher. Und er wollte, sagte er, wiederkommen. Aber er weiß es nicht genau.
Was gibt Ihnen übrigens die Gewißheit, daß es sich bei meinem Eintrag nicht um eine Geschichte handelt?
habe keine sekunde geglaubt es wäre eine geschichte. war erkennbar erlebtes, nicht lange danach berichtet. man erlebt selbt ähnliche dinge und erkennt sich darin wieder.
was ist der unterschied zwischen einer geschichte und diesem notat?
Nur die Zeit. Damit haben Sie recht. Ansonsten keinen. (Es sei denn, das Dingerl wird in einen anderen poetischen Zusammenhang eingebaut. Dann aber wird es sich verändern. Allerdings verändert es sich auch h i e r, über den Zusammenhang zu den anderen Notaten. Man muß nur einmal eine Verbindung zu den Fragmenten von „Judith in London“ herstellen – oder zum Zilts – oder gar zur Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens.)
Knoten. Projekte. Ein neues Projekt, das evtl Ihre Aufmerksamkeit reizt, findet sich hier – wer weiß, vielleicht landet es einst bei Ihnen…..?
Titania lässt grüßen.