In der deutschsprachigen Hochliteratur hat es sich eingebürgert – etwa seit der Strukturalismus aus Frankreich herübergriff -, psychologische Erklärungsmuster für unangemessen, ja für sogar ein wenig indiskret (sic!) zu halten. Die handelnden Personen müssen zwar glaubwürdig sein, doch ihre Psyche darf nicht zur Disposition stehen. Reine Evidenz ist gefragt, die A n s i c h t der Existenz; nichts nämlich soll darauf hinweisen, daß sie begründet sei. Sie soll w i r k e n, punktum, wie eine Oberfläche.
Dahinter steht einerseits eine Vorstellung individueller Autonomie, der physikalisch überhaupt nichts entspricht. Dennoch, man m ö c h t e unbegründet sein. Doch gerade weil dieser Widerspruch sehr genau gewußt ist, soll er weggeleugnet werden. Wir seien weder tief noch gepixelt, sondern stetig: D a s will sich festschreiben. Denn andererseits geht es nur s o mit Markt und Pop überein.
Nun hat die Bewegung auch auf den Spielfilm übergegriffen. Fast durchweg jetzt die Klage, die neue Peter-Pan-Verfilmung i n t e r p r e t i e r e, anstatt das Märchen Märchen s e i n zu lassen. Zumal gilt es als obszön (nämlich weil es so wahr ist), eine erotische Initiationsgeschichte aus dem Buch “zu machen”. Was am Beispiel von Neil Jordans “Zeit der Wölfe” in den Achtzigern begrüßt wurde, soll nun unterm Teppich kuschen. Wie Peter Pan, der es aber b l i e b, möchten die Kritiker wieder Kind w e r d e n. Wovon Wendy sich abwendet, dahin gerade streben sie; deshalb gefällt ihnen Harry Potter auch so viel besser. “Nehmt uns doch bitte”, rufen sie allesamt aus, “unsere Kindheit nicht weg, in die wir uns gerade zurückgelegt haben…”
Je mehrdeutiger die Welt, um so deutlicher ausgeprägt der Regreß: Mag sein, er ist eine Art intellektueller Rentenneurose. Wer als Erwachsener versagte, dem bleibt nur ein radikales VORAN IN DIE VERGANGENHEIT DER ADOLESZENZ!
(Enzo). sehr geehrter etwas gestelzt daherkommender literat.
wieso muss ich, als durchschnittlich gebildete, erwachsene person, jeden satz von ihnen dreimal lesen um ansatzweise (und oft nicht mal das) zu verstehen?
was ist „deutschsprachige Hochliteratur“ ? etwa das, das sie produzieren?
was bedeutet „sic!“? heisst es „mann bin ich besoffen und schreibe „hicks“ auf lateinisch? oder bedeutet es nur *lol* auf altdeutsch?
was ist „Strukturalismus“ ?
wieso soll die Psyche einer handelnden Personen zur Disposition stehen?
was ist „reine Evidenz“?
wie kann individueller autonomie physikalisch überhaupt nichts entsprechen? Sprechen Sie von Geistwesen? Sind Sie Esoteriker? Sehen Sie Engel?
lesen sie gerne erotische Initiationsgeschichten aus märchen heraus?
deutlich ausgeprägter Regreß,Rentenneurose, „VORAN IN DIE VERGANGENHEIT DER ADOLESZENZ!“
Hilfe!
hatte zuletzt john irving gelesen, davor burgess, davor weiss ich nimmer… zum glück erinnere ich mich daran, denn bei ihren zeilen, geschätzter hochliterat, käme ich mir bescheuert vor… was ich vielleicht auch bin, aber aufgrund fortgeschrittener Adolenzenz nicht wahrhaben möchte?
ein freund
Lieber selbsternannter Freund. Ihre Selbst-Analyse scheint mir so abwegig nicht zu sein. *Lacht auf.* Und: Etwas nachzudenken schadet im allgemeinen auch nicht. Außerdem gibt es die ziemlich hilfreiche Erfindung von Wörterbüchern und Lexika.
Übrigens: Ist Ihnen schon aufgefallen, daß mit „ein Freund“ besonders gerne Denunzianten unterschreiben? (Da ich diese Charakterdisposition bei Ihnen nicht annehmen möchte, bleibe ich – jedenfalls vorübergehend – Ihnen unbekannterweise gewogen.)
Lächelnd: ANH
Das freud mich wieder: „alle meine Bücher sollten den Stempel „Zutritt für Freudianer verboten“ tragen“ (NABOBOV, Vorwort zu „Das Bastardzeichen“)… freudigst: p.
So sehr ich Nabokov schätze. Er hatte sicher seine Gründe. Was den Texten selbstverständlich nichts nimmt, insbesondere nicht „Ada or Ardor“. Das sich psychoanalytisch wie ein so wundervolles Lehrbuch liest, daß es gar nicht existieren könnte. A u c h. Und eigentlich.
Völlig einverstanden: „Der Eindringling ist nicht der Wiener Quacksalber [hier die zuvor zitierte Parenthese], sondern eine anthropomorphe Gottheit, die ich spiele.“ (ebd.) Überhaupt bin ich der Meinung, daß es sich bei NABOKOV um „freie“ Texte handelt. Er war insofern sein eigener Freud. Und es scheint immer zu gelten: „Du sollst keine anderen Götter haben“.
Eine wunderbare Deutung. Auch wenn Freud – also ein Teil seiner Theorie – eher M o d e l l als ein Gott ist: Arbeitshypothese nämlich, aus der selbst von ihm gar nicht Gewolltes herausspringen kann und oft schon herausgesprungen i s t. Das zeichnet die Nähe zur Kunst speziell dieser Theorie. Sie teilt sie mit (eine unterdessen historisch gewordene Zeit lang) dem Marxismus, mit sämtlichen Religionen und mit – für mich und nicht sehr viele andere – der Kybernetik.
Ich würde ja gerne mitdiskutieren … aber ich kann dieses Blog nicht mehr lesen. Kann ich wirklich nicht. Der Literat muss über einen 19-Zöller verfügen, mein Laptop aber schafft nur 12 Zoll, mein Heimbildschirm nur 15 Zoll (TFT). Wie man daraus unschwer erkennt, muss man nicht jeden Satz dreifach lesen, um ihn zu verstehen. Mann muss ihn vielmehr erst einmal überhaupt einmal sehen, um ihn überhaupt lesen zu können.
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Erklärungsmuster „…psychologische Erklärungsmuster für unangemessen, ja für sogar ein wenig indiskret (sic!) zu halten. Die handelnden Personen müssen zwar glaubwürdig sein, doch ihre Psyche darf nicht zur Disposition stehen…“
Vielleicht, weil das unvereinbar ist. Die Psyche steht zur Disposition – und wie. Nur die psychologischen Erklärungsmuster – sind mehr noch als indiskret: unverschämt.
Sie haben Recht: nach dem Aus für die Seminaristensentenzen, die Literatur als Hilfstruppe des Populärwissenschaftsjournalismus, bleibt nun eine gewisse Leere. Lebendigere Charaktere, samt Gründen, in einem ästhetischen Zusammenhang, sind noch zu schaffen. Wieder. Ich finde das gut.
„N u r die“ stimmt. Das wurde aber auch nicht geschrieben. Ein gutes Beispiel ist eben Nabokov. Seine Figuren sind sämtlichst psychologisch begründet (sie „stimmen“); aber kaum ein anderer Autor hat zugleich so wie er gegen die Psychoanalyse gewettert. Weil er die Gründe seiner Arbeit nicht zeigen, weil er nicht wollte, daß jemand den Mörtel aus den Mauerfugen kratzt.
Das aber ist, um Richard Wagner zu zitieren, „ein andres“.