[Schreker, Die Gezeichneten.]
5.55 Uhr:
Vor sechssieben Minuten auf, gleich die Pavoni angeworfen, sie zischt schon. Eben den latte macchiato bereiten.
Sò.
Langen Brief der Mama meines Jungen geträumt, in dem sie mir die Komplexität meiner Literatur vorwirft. Ich lese noch deutlich: „Deine Literatur ist über die Jahre immer komplizierter geworden.“ Imgrunde die ‚menschliche’, letztlich banal-monotheistische Haltung, die Haltung der bigott-sentimentalen Härtlings und im Ästhetischen sozialdemokratischen Steinfelds, Wahrheit an ein Einfaches zu binden, an den einen Gott, das Wesen, den bewertenden Unterschied von Substanz und Akzidenz, den meine Arbeit ja gerade bestreitet. Bis in meine Träume langt die Auseinandersetzung jetzt und vermengt sich mit dem rein Privaten, was selbstverständlich seine dynamische Wahrheit h a t. Also ran.
Tagesplanung
6.20 Uhr:
ARGO
10.15 Uhr:
Den Jungen aus der Kita holen und zur Kinder-Zahnärztin radeln. Erste Zahnextraktion seines Lebens. Wie lange das dauert, ist offen, da evtl. eine Vollnarkose vorgenommen wird.
ca. 13 Uhr (?):
(Beim Mittagsschlaf des Jungen:)
DIE DSCHUNGEL.
Post.
15 Uhr:
Den Jungen zurück in die Kita bringen, so daß seine Mama ihn abholen kann.
15.30 Uhr
DIE DSCHUNGEL.
ARGO.
19 Uhr:
Komische Oper: Don Giovanni
16.38 UHr:
Das war dann doch eine arge Tortur für den Jungen. Der extrahierte Zahn ist riesig, sieht wie eine Waffe aus, selbst die Zahnärztin wirkte erschrocken. Bis 16 Uhr war der Kleine dann hier, hörte erst zum Einschlafen Prokofjefs „Peter und der Wolf“ auf der großen Anlage, schlief noch immer nicht, als das Stück zuende war, aber schließlich, derweil ich leise tippte, übermannte es ihn doch. Nun ist er bei der Mama; ich mochte ihn in seinem Erschöpfungszustand nicht in die Kita bringen, traf einen Freund Schönhauser/Stargarder, dort übergab ich den Burschen, der sofort stolz seinen Zahn aus dem Schatzkästlein nahm. Nun ist er bei der Mama zurück, und ich muß mich erst einmal sammeln. Einen einfachen Whisky gekauft, daran nippe ich nun, denke an ARGO und daran, daß der Phantastik-Aufsatz geschrieben sein will. Die Oper fällt aus, weil die Sängerin der Donna Anna erkrankt ist. Es ist mir ganz recht; eigentlich könnte ich selbst nun eine Stunde Schlaf gebrauchen. Für ARGO ist das Tagwerk heute bereits übererfüllt.
0.55 Uhr:
Mit dem Freund und seiner Freundin noch essen gewesen, diskutiert, ich bekam auf der Radfahrt zur Kanzlei eine der wahrscheinlich tragenden ARGO-Ideen. Diskussionen über Wahrscheinlichkeiten dann beim Thai. Der Satz einer Leserin, die das verbotene Biuch irgendwo aufgetrieben hatte: „Das darf nicht verboten sein. Diesen Text darf man Lesern nicht vorenthalten.“ Mein leichter Stolz deshalb, und doch ist das schon Vergangenheit, weil das neue Buch drängt. ARGO wird mein politischstes, das ist schon jetzt heraus.
Aushalten lernen, daß, wer w a h r bleiben will, sich auf k e i n e Seite schlagen kann, nicht auf die „christlich“-westliche, nicht auf die islamische. Doch sind es mehr als zwei. Alle haben ihre Tücken,und alle sind sie mörderisch. Wenn es mir gelingt, das in ARGO zu zeigen, zu gestalten, es fühlbar zu machen, dann wird etwas gelungen sein. Mir kam deshalb die Idee, das „wir“ aus der Nullgrund-Erzählung mittendrin wieder aufzunehmen: also Spiegelungen der Protagonisten ineinander (der Ichs) sowie ein chorisches Wir.
Arbeitsfortschritt:
ARGO, bis TS 71. Notizen.