DTs. (29. Januar 2005).

8.25 Uhr:
[Dvorak, Requie,.]

Der erste Tag ohne Grippe; die langen Ruhephasen gestern haben offenbar etwas gebracht. Hotelzimmer-Aufenthalte sind sowieso immer Fernseh-Aufenthalte. Interessant, daß ich Zwischenwartezeiten, wenn ich nicht gerade an einem Projekt arbeite (ARGO ruht weiter), damit fülle, mir eine US-amerikanische Fernswehserie nach der anderen – das dafür treffende Wort: – reinzuziehen. Zumal bei Erkältung. Aber heut morgen will ich, gleich nachdem ich mir von unten eine Kannee Kaffee heraufgeholt haben werde und dieses DTs skizziert sowie das von gestern ergänzt ist, die kommenden Musikprojekte kurz festhalten, über die RHPP und ich uns gestern abend beim Essen verständigt haben.
Außerdem ist ein Problem zu lösen: Es fährt morgen früh noch keine S-Bahn, die mich meinen 6-Uhr-Flug erreichen ließe, also daß ich um 5 Uhr am Flughafen sein kann. Werde deshalb ein Taxi nehmen müssen, hab aber nicht das Geld, um die Fahrtkosten vorzulegen. Das muß mir die Festival-Leitung vorweggeben oder aber für einen Fahrdienst sorgen. Ich muß das nachher unbedingt klären. Man kommt in die ulkigsten Situationen. “Man sollte die materielle Verzweiflung massenhaft veröffentlichen”, schreibt mir vorgestern Dorothea Dieckmann in einer Mail, „je mehr und bekanntere Namen, desto besser. Und die Politik der Preisvergabe z.B. danebenstellen. Die der Vorschüsse. Der Werbung.”






Tagesplanung.

8.35 Uhr:

DTs’e.
Projektplanungen.
DIE DSCHUNGEL: Weblog als Roman.
THETIS- UND BA-Zusammenfassung schreiben oder nach den seinerzeitigen Texten modifizieren, um sie für ARGO als Vor-Informationen mitschicken zu können.

12.15 Uhr:

LEERE MITTE: LILITH. Generalprobe.

Nachmittags:

Schlafen.
ANDERSWELT-Zusammenfassungen.

17.30 Uhr:

Konzert.
Reinhard Febel, Paganini-Variationen; Pierluigi Billone: Legno erdre V; Boris Müller, Erstes Schlagquartett.
(Sämtlichst Uraufführungen).

20 Uhr:

LEERE MITTE: LILITH. Uraufführung.






10.47 Uhr:
[Brahms, Requiem ff. Rauschhaft.]

Eben noch Gespräch beim Frühstück mit RHPP und Isherwood, deutlich meine Vorbehalte gegen die ironische Grundhaltung bei Kunst-Konzepten formuliert (und, eben, a u c h: in der Lebens-Haltung): Uneigentlichkeit, Denunziation, Rückzug ins Unangreifbare der lächelnden Selbst-Reserve. Vieles wird im Ironischen perfekt, aber ohne daß sich eingelassen würde. Letztlich ist sowas für den Papierkorb.
Dann Anruf von Do, die für die UA mitbangt. Und, wegen der Erkältung: “Hast du metavirulent gekauft.” “Geht nicht, kein Geld.“ „Ja du meine Güte, soll ich dir was schicken?” “Neinnein, geht schon irgendwie.” “’Irgendwie’ ist gut!” “Laß mal, ich meld mich, wenn es g a r nicht mehr anders geht.”
Sofort läuft in mir eine leise Gedankenkette an: Ich habe nie öffentlich über finanzielle Nöte gesprochen, man sah mich immer als den ‘reichen Autor von der Börse’; das war völlig absurd und zeigte nur, wie wenig die Leute von Realität wissen. Doch war es eine Frage der Haltung, das nicht zu revidieren, auch eine Frage des Stolzes. Andererseits: Was n i m m t es dem Stolz denn, wenn jemand zeigt, was i s t? Denn er a r b e i t e t ja, wahrscheinlich erheblich mehr als andere, und er verläßt auch seine ästhetischen Positionen nicht, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen, d.h. in den künstlerischen Belangen bleibt er entschieden und unkorrumpierbar. Weshalb soll er sich dann hinter einem ökonomischen Schein verbergen? Insofern wäre Stolz evtl. umzudefinieren, ich bin mir da noch nicht restlos einig mit mir. Lassen sich also Distanz und eine aus der Arbeit erwachsene, berechtigte Arroganz aufrechterhalten, wenn zugleich das finanzielle Desaster nicht ‘eingestanden’ – nein, eben n i c h t ! -, sondern d a r g e s t e l l t wird? Oder ist das bloß eine mehr oder minder geschickte Ausflucht? Unbewußt, bzw. parallel immer mitlaufend, beschäftigt mich das zur Zeit sehr. Imgrunde will ich einfordern und nicht etwa bettelnd vorstellig werden. Genau das wird einem indes verübelt; das war auch einer der Hauptgründe für den Bruch mit dem Berlin Verlag, also mit Conradi: daß auf das allerschärfste klar ist, daß ich keinen Ersatzvater will und niemanden als solchen akzeptiere. Ich will einen Geldgeber und auch meinen Verleger als ästhetischen Partner sehen, gerne auch kontrovers, auf keinen Fall aber als einen Versorger, dem ich für gönnerhafte Zuwendung dankbar sein muß. Denn gegen die ökonomische Zuwendung tausche ich A r be i t ein, Arbeit und ästhetische Konsequenz.

Nachtrag:

Noch im Empfang nach der Uraufführung plötzlich Blicke einer ausgesprochen schönen blonden Frau; wir begegnen einander zweidreimal, schließlich geh ich zu ihr hin. Sie sitzt neben Hans Zischler im Gespräch. “Ich glaube, ich stelle mich einmal vor”, sage ich. Zischler zieht die Augenbrauen zusammen. Die Frau wird rot, ich habe das selten so direkt gesehen. “Es ist einfach schön, Sie anzusehen”, sag ich, und sie erwidert: “Ja, es ist auch schön, S i e anzusehen.” Lächelnd geh ich wieder zu RHPP hinüber, der darauf drängt, daß wir ins Restaurant nach nebenan gehen, denn er hat einen Tisch reserviert. Also begeb ich mich erneut zu der Frau, frage, ob sie nachher nachkommen möge. “Ich komme hier jetzt noch nicht weg”, antwortet sie, “aber ja, ich versuche es”. Schließlich warte ich drüben vergeblich. Ich habe einfach falsch reagiert. Ich hätte g l e i c h sagen sollen: “Lassen Sie uns gehen.” Ich bin mir sicher, sie wäre gefolgt. Aber ich bin ambivalent, zumal mein Flieger am nächsten morgen so früh geht. Ich hätte ihn auch sausen lassen, aber nicht, wenn mein Junge daranhängt. Der hat Vorrang, absolut. So bleibt das leichte Gefühl einer traurigen Vergeblichkeit.

Und natürlich die Bitterkeit wegen der danebengegangenen Uraufführung. Imgrunde war die Publikumsreaktion vorauszusehen: Gegen die glatte Fläche, die im Falle der Beil-Produktion wirklich perfekt ist, hat der Versuch von Tiefe wenig Chancen. Der zu der Performance gesprochene Céline-Text erhöht zudem die Ironie mit einer leichten, ebenfalls glatten Gehässigkeit, in der es sich die Intellektuellen mit dem Bewußtsein gemütlich machen können, sich auf keinen Fall unter Niveau zu amüsieren. Von künstlerischer Valenz ist das letztendlich nicht, sondern der Ausdruck einer unverbindlich kritischen Konformität. Ich werde das Leukert auch noch einmal so schreiben. Das Problem ist also nicht die s c h l e c h t e Oberfläche, von der einiges zu sehen und zu hören war an diesem Abend, sondern gerade dasjenige, was aufführungstechnisch perfekt inszeniert ist. D a, nicht im Mißlungenen, versteckt sich das eigentliche künstlerische Problem. Später formuliere ich gegenüber dem Ricordi-Verleger, ein Kritiker müsse die Potentialität eines uraufgeführten Stücks hören und von technischen Mängeln abstrahieren können. Sofern er einem Werk denn nahkommen w i l l. Daß jemand das noch wollte, davon kann an diesem Abend nicht im entferntesten die Rede sein.

Zu lernen ist aus alledem, daß ich meine Vorbehalte gegen die gemütliche Ironie noch festigen, daß ich scharfe Position dagegen beziehen muß; schärfer als bisher jedenfalls.Um Gehör zu erlangen.