Alles nur Augenblicke.

Stare, g r ü n metallic
Die rote Tartanbahn Der
Grasduft Das Glas Wasser dann
Der Inhaber des Möbelgeschäfts ganz leptosom
So hochgewachsen jung
Und in der Rechten
Den Kumb Kaffee
Darüber liebevoll gebeugt
So Blinzelt er
Aus seinem Laden tretend
in die Sonne.

Wird pleite gehen nächstes Jahr.
Noch jedem seit zehn Jahren
Schuf diese Ecke den Bankrott.
Aber er steht, der sinnende Mann.
Und schlürft.

(Wer sprach uns je von Dauer?
Glück ist ein Moment.)

33 thoughts on “Alles nur Augenblicke.

  1. „aber er lebt. und schlürft“ — und schlägt der kürze der zeit ein schnippchen, auch wenn er nicht weiß, was in den nächsten beiden zeilen kommt… wunderschön!

  2. Ich hingegen finde gerade diesen Absatz

    Aber er lebt.
    Und schlürft.

    nicht gut. Er reißt mich aus der Stimmung des Vorangegangenen und Folgenden. Nichts gegen Brüche im Gedicht, sie sollten gegen das allzu „Schöne“ auf jeden Fall eingesetzt werden, aber hier erzeugt das eine fast unfreiwillige Komik, eine unangemessene Pathetik. Vernachlässigenswert, denke ich. Oder aber durch etwas ersetzen, das nicht diesen weit ausholenden Gestus besitzt.
    Wobei ich es noch eingrenzen würde auf das „Aber er lebt“. Noch enger umkreist: „lebt“. Ich könnte es mir sogar vorstellen, wenn hier stünde:

    Aber er steht.
    Und schlürft.

    Viel ruhiger. Stiller. Dadurch aber bedeutsamer. Weil auch das Stehen dem Fallen des in die Pleite Gehenden entgegenwirkt, ohne dick aufgetragen zu sein.

    1. Sie haben recht. Wobei „aber er steht“ einen in diesem Zusammenhang komischen Sexualaspekt hat. Ich nehme es dennoch erst einmal. Und denke über weiteres nach. (Es ist tatsächlich so einfach nur in die Maschine getippt worden, nachdem ich heute mittag vom Laufen kam.)

      Wie Sie sehen, entschied ich mich während der Korrektur für n o c h etwas anderes. Daß Probloem war, daß sich „er“ grammatikalisch auf den Bankrott bezog. Wobei „Aber es steht der sinnende Mann“ zwar noch schöner, aber eben kitschiger und vor allem ein Verweis auf Vorhergegangenes gewesen wäre, den ich gerne vermeiden möchte.

    2. Auf den komischen Sexualaspekt bin ich natürlich wieder nicht gekommen. Genderös. Aber kaum wird man darauf hingewiesen, stellt sich dieser Aspekt sofort ein und ist nicht wieder wegzudenken… (kürzlich in einem anderen Zusammenhang die Doppeldeutigkeit solcher Ausdrücke in „Hand an sich legen“ entdeckt, ich hatte – ganz ehrlich – bis dahin immer nur an Suizid und höchstens noch an Samurais gedacht. Natürlich hat mich ein Herr darauf aufmerksam gemacht.)

      Ohne den sinnenden Mann (Pose) war es lakonischer. Aber ich bin sowieso eine Adjektivhasserin im lyrischen Bereich. Insofern nicht ganz unvoreingenommen (z.B. würde ich ohne weiteres liebevoll, hochgewachsen, jung, schmal entfernen, aber dann wäre es ja mein Gedicht.
      Das sähe dann so aus:

      Alles nur Augenblicke.

      Die Stare. Geschiller neben der Bahn.
      Grasduft. Das Glas Wasser.
      Der Inhaber des Möbelgeschäfts ganz
      leptosom. In der Rechten
      den Becher Kaffee.
      Darübergebeugt blinzelt er,
      tritt aus seinem Laden in die Sonne.

      Wird pleite gehen nächstes Jahr.
      Noch jedem seit zehn Jahren
      schuf diese Ecke den Bankrott.
      Aber er steht, der Mann
      und schlürft.

      (Wer sprach uns je von Dauer?
      Glück ist ein Moment.)

      Aber nein, so ein Gedicht würde ich ja überhaupt nicht schreiben (können). Insofern auch meine Eingriffe rein spielerischer Natur. Hoffe, Sie empfinden das nicht als unangemessen. Übrigens gefällt mir hier (bei nochmaligem Überlesen) die Konnotation „seinen Mann stehen“. Auch nicht schlecht, in dieser Lage.

    3. nun haben Sie mir beide das leben genommen! grausam, das!
      …und denke dennoch immer wieder an „hopla, wir leben“ und „hauptsache er lebt. und schlürft“ – bürgerliche behaglichkeit, kaufmannsgemütlichkeit…

    4. Als argusische Kritikerin (*zwinker) von Herbst´ Lyrik muss ich sagen: Das mit dem Ladeninhaber – Pleite – Ecke – Leben (trotzdem) – Moment – Glück gefällt mir ausgesprochen gut. Was ich nicht mag: „leptosom“…. klinische Sprache fast schon, an der Stelle fände ich Lebendigeres oder einfach nur schlichter Beschreibendes schöner.

      Und dann das Entrée. Selbst der wohldurchdacht empfohlene Punkt zwischen Stare und Geschimmer lenkt nicht wirklich davon ab, dass da ein Auge haltlos gleitet. Fast schon als suche es gezwungen etwas, was es in den Griff der Dichtung nehmen könne. Da fehlt mir ein wenig die Struktur. Oder, um es dynamischer auszudrücken: Der Anfang ist (zu) beschreibend, der Rest gefühlt.

      P.S.: Herbst selbst ist kein Freund der Adjektive *lächelt.

    5. Gerade das „leptosom“ möcht ich hier verteidigen. Zumal in der Kombination mit diesem von der Geste her diminutiven „ganz“.

      Was den Anfang anbelangt, wie wäre es mit „Stare. Schillern neben der Bahn“? Wobei ich gern noch das Wort Tartan unterbrächte, es handelt sich ja um einen Parcours. Und wegen der Adjektive: Doch, Ana, ich l i e b e Adjektive geradezu. Es ist germanistoid geworden (obwohl das Verrdikt von Stevenson stammt), sich gegen Adjektive zu wenden. Tatsächlich aber betont das Adjektive das Einzelne, indes das Nomen i m m e r abstrahiert.

    6. *** @ TheSource

      Aber natürlich gleitet das Auge haltlos, gerade daraus entsteht ja ein Moment des Schwebens (und auch der Glücksmoment entsteht in der Regel nicht gerade dann, wenn man ihm Struktur geben will oder ihm die Struktur als Hafen zur Einkehr anbietet). Das ist schon gut gemacht. Insofern auch logisch: Die Unabsichtlichkeit im gleitenden Auge, das sammelt, akkumuliert zum Gefühl. Gefühl stimmt aber auch nicht, wenn ich es recht betrachte. Das ist schon Reflexion, die das lyrische Ich da betreibt. Außer vielleicht so: „Ich habe das Gefühl, der geht nächstes Jahr auch pleite“. 🙂

      PS: Wieso, leptosom ist doch wirklich fein… (zu schlicht soll es ja auch nicht werden). Die Neigung zur Leptosomie jedenfalls ist ein guter Aufhänger für den Schmalhans, der den Gürtel enger schnallen lässt (im nächsten Jahr dann). Aber das ist jetzt wild hineininterpretiert .

      @albannikolaiherbst

      germanistoid… :), ja, das stimmt, es gibt diese durchaus als knöchern zu bezeichnende Einstellung, aber die meine ich nicht. Ich beziehe meine Abneigung (die ja schließlich keinen Ausschließlichkeitsanspruch hat) explizit auf lyrische Texte. Das Nomen abstrahiert nicht. Es ist das, was es ist. Und steht ja schließlich im Gedicht nicht allein, kann also durchaus im Zusammenspiel mit seinen Artgenossen flirrende Bilder erzeugen, die Meister dieses Spiels arbeiten mit der Mehrfachbedeutung eines Wortes und bringen auf diese Weise lyrische Glanzstücke zusammen. Sie müssen sich das wie ein Hologramm vorstellen. In diesem Zusammenhang würde ich sogar von einer Einengung durch gehäuften Gebrauch von Adjektiva sprechen.
      Ansonsten habe ich gegen die Kleinen nichts einzuwenden. Sparsam verwendet machen sie ja auch Sinn.

      „Stare. Schillern neben der Bahn“. Da denke ich aber gleich an diese Mädels (wie heißen sie doch gleich noch), die am Rand amerikanischer Spielfelder stehen und wild springend glitzernde Pompons schwenken… (ohje. manchmal geht mir – rein assoziationstechnisch gesehen – der Gaul durch, denken Sie sich nichts dabei).

    7. upps— „cheerleaders“ heißen diese Sportler-Girlies. (Die übrigens selbst akrobatische Leistungssportlerinnen sind.) Aber damit hatten/haben meine Stare nun wirklich nichts zu tun. Die schillern „einfach“ nur metalloid… als wäre ihr Gefieder nicht organisch, sondern mechanisches Spielzeug… fällt mir gerade auf.

      Wäre das Nomen „nur“, was es ist, dann wäre es nur ein Nomen, also ein Wort und wahrscheinlich auch nur ein K l a n g, und zwar einer, der keine Semantik kennt, sozusagen ein unhörbarer Klang, ein buddhistisches Nichts. Das wäre dann aber ein lyrischer Tod…. also einer für die Lyrik (ich will hier partout den Reim vermeiden, merken Sie’s?:: Es soll sich einfach nicht Nichts auf einen bestimmten Genitiv reimen.)

      … übrigens, wenn wir schon dabei sind: „etwas macht Sinn“ ist ein ganz furchtbarer Anglizismus (to make sense); im Deutschen gibt es diese Kombination als annehmbares Idiom eigentlich nicht.

    8. touché thank you, ja, cheerleaders. Aber nehmen Sie doch bitte solcherlei nicht so ernst. Ich werde mich auch weiterhin beherrschen und nicht jedes kleine Bildchen an die Wand pinnen, besonders, wenn es nicht so unbedingt sinnvoll ist (Kurve gekratzt). Vertracktes to make sense. Das kommt vom vielen Lesen (behaupte ich jetzt mit hochrotem Kopf).

      Zum unhörbaren Klang ein Stückchen Keats:

      [Gehört, ungehört]

      „Gehört sind Klänge süß, doch ungehört
      Noch süßer; drum spielt, Pfeifen, fort im Chor;
      Nicht dem Gehörsinn, nein, von größrem Wert,
      Dem Geist pfeift Lieder keiner Töne vor -“

      Aus: Ode an eine griechische Urne

      Aber Sie haben recht. Das Nomen ist nicht nur ein Nomen. Falsch ausgedrückt von mir.

    9. Wunderbarer. Keats.

      (Aber ich wollte Ihnen keinen hochroten Kopf beschweren; jemanden so in Verlegenheit zu bringen, ist mir an sich peinlich. Ich rechnete eher mit einer geschärften Parade.)

      Im Ernst: Mein Gedichtversuch bedarf ganz sicher noch der verschiedensten Korrekturen, ich sehe das bei einem entworfenen Text völlig uneitel. Grantig werde ich eigentlich nur dort, wo etwas wirklich bereits sehr durchgewalkt ist.

    10. Dann muss ich Ihnen sagen, dass ich gern dort walke, wo mir etwas gefällt, Aber in winzige Fetzchen zerreißen muss man es schließlich auch nicht.
      Das Rot ist kaum mehr zu sehen, flammt aber kurzzeitig wieder auf. Muss mir kalte Kompressen holen 🙂 In diesem Sinne.

    11. Winzige Fetzchen. Mandelbrot. Apfelmännchen. Stare & Chaos.

      Sie sehen, wozu das alles nun a u c h noch führt. Also, um einen Bogen drunter- und drumzuschlagen:
      Wenn die Fetzchen wie das Blatt des Maimonides sind, dann wäre auch dagegen wenig einzuwenden.

      (Hat er
      Etwas davon geahnt
      der leptosome Mann
      Den die Liebe zum Kaffee
      In seine Sonne stellte:

      Den flüchtigen Blick?)

    12. Adjektive. Die bei jeder Textkorrektur bemängelt werden, Alban (ich werde jetzt hier mal so vertraulich wegen „Ana“ *warm lächelt). Jedenfalls weiß ich jetzt, wo die ganze Adjektivsammlung, hinweggefegt aus den Texten, dann landet: In den Gedichten; rauslektoriert bei mir und Anderen *zwinkert schelmisch.
      Da muss ich die Lyrik einfach vor dem Überrennen verteidigen.
      Das „leptosom“ kann ich nicht akzeptieren. Es ist wirkt mir zu aufgesetzt, stört den Fluss der Worte, schleicht sich ein und wirkt sooo gelehrt. Dann ist „schmal“ eine Wiederholung davon sowieso, doppelt gemoppelt. (Nachtrag: Außerdem dann auch noch „ganz leptosom“, dreifach gemoppelt zum Skat mit „schmal“. Wie „ganz schwanger“. Nein, nein, das kann ich nicht ertragen).
      Was das gleitende Auge betrifft: Natürlich soll das bleiben, aber dieses Gleiten ist mir zu unruhig bei Beginn, zu hektisch; die Assoziationskette Bahn-Stare-Wasserglas zu willkürlich und zu sprunghaft. (Warum schillern die Stare eigentlich und schimmern nicht…Wasserbad? Das erklärte das Glas Wasser).
      Das ist jetzt auch kein Lobgesang auf die Reduktion an sich; m. E. würde hier die Struktur durch eben die besser herausgeschält. Das Überflüssige fällt im Schliff.

    13. Ein viertel Fuder Glück. Ein viertel Fuder Schillern Stare
      Neben der Tartanbahn
      Gemähter Duft von Gras
      Das Glas Wasser mittags
      plastikweiß ganz weich
      und heimwärts der Becher Kaffee
      über den der Inhaber eines Möbelgeschäfts
      So hochgewachsen leptosom gebeugt
      Aus seinem Laden in die Sonne tritt.
      Er blinzelt schläfrig. Wird ein paar
      Monate nachher pleite gehn
      Noch jedem seit zehn Jahren
      Schuf diese Ecke den Bankrott.
      Aber er steht, der sinnende Mann,
      Schlürfend.

      (Wer sprach uns je von Dauer?
      Glück ist ein Moment.)

    14. Vorschlag. der Hartnäckigen. Beginnt sogar mit einem Adjektiv *schmunzelt:

      Alles nur Augenblicke.

      Schillernd neben der Bahn: Die Stare.
      Grasduft. Ein Glas Wasser.
      Der Inhaber des Möbelgeschäfts
      so hochgewachsen jung noch
      schmal und in der Rechten
      den Becher Kaffee liebevoll
      darübergebeugt. So blinzelt er
      aus seinem Laden tretend
      in die Sonne.

      Wird pleite gehen nächstes Jahr.
      Noch jedem seit zehn Jahren
      schuf diese Ecke den Bankrott.
      Aber er steht, der sinnende Mann.
      Und schlürft.

      (Wer sprach uns je von Dauer?
      Glück ist ein Moment.)

    15. … Ach nein. Nein! Jetzt weht sogar der Wind vom Land herein. Irgendwie steht das Möbelgeschäft jetzt in den Außenbezirken. Fuder. Leptosom gebeugt. Ich stimme für die erste Fassung mit leichten Überarbeitungen.
      Und die Adjektive – ich weiß schon, warum sie mich immer aufregen… (jedesmal werden sie zum Problemfall).

      PS: Dies zu dem Gedicht ein Stockwerk höher.

      PS2: Wenn das so weitergeht, fange ich auch noch an zu dichten.
      PS3: Wir machen eine Anthologie und nennen sie *leptosom*

    16. lacht schallend @ Anne-Sophie.

      ad P.S. 3 : Grundgütiger.

      P.S.: Sie meinten wahrscheinlich zwei Stockwerke höher, war nur etwas schneller beim Einstellen *grinst

    17. Beitrag von Vogona Barbas:

      oh mein lepto
      dünner, zarter,
      gewachsen hoch
      und engbrüstig und schmal
      oh du lepto leptosomer
      passt mir zehnmal in den

      schal

      [P.S.: Die Überarbeitung zum Thread habe ich oben vorgelegt als Vorschlag. Hier nur der Ernst-Haft-Ig-Keit halber erwähnt. Germanisch halt ;-)]

    18. @ Anne-Sophie Oben = Unmittelbar nach der adjektivistischen Fassung.
      Wünsche wohl zu ruhen, denn ich bette mich jetzt auch.
      (und zwar lieber auf Athletische nicht allzu Junge; aber über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten)

  3. nun sehe ich dieses wort „kumb“ und kann damit nichts anfangen: da muß mir etwas entgangen sein während meiner „d-abwesenheit“ [dab-wesenheit? nein, dab trink‘ ich nicht]!
    es ist nunmehr, als würden Sie die tartanbahn mit einer fahne in der hand entlanglaufen… wirklich: zu sehr geflaggt am anfang…

    1. In Ihrer Abwesenheit ist der leptosome Möbelhändler mal eben kurz in seine
      Bibliothek , und hat im Deutschen Wörterbuch der
      Brüder Jacob und Wilhelm Grimm den „Kumb“
      entdeckt.
      Schätze, der macht’s wirklich nicht mehr lange
      mit seinem Laden.
      Indes, dies beiläufig.
      Muß das Gedicht , und die Kommentare erst
      in Ruhe lesen.
      ( Immerhin schmunzelt der Kumb ja
      ein bißchen im Gedicht , und stubst.)

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