7.36 Uhr.
Subdepressiv. Die Absage wegen des Arbeitsstipendiums geht mir vor allem deshalb nach, weil ich wieder einmal gegen einen Instinkt gehandelt habe: Ich wußte voraus, daß man ARGO ablehnen würde, nicht tatsächlich des Textes, sondern meinetwegen – irgend ein anderer, der ihn schriebe, würde gepriesen dafür. Ich wußte es voraus und reichte den Text dennoch ein. Das ist sträflich und geht an die Ehre.
Mindestens viererlei steht meinem literarischen Erfolg (bei Betrieblern, also den Kommunikatoren, die Markt machen) im Weg:
1) Der RIBBENTROP-KOMPLEX: Daß ich nicht bereit bin, für meinen Namen Buße zu tun, bzw. mich öffentlich nicht mindestens daran depressiv leidend zeige, sondern darauf beharre, als 1955 Geborener ohne Geschichtsschuld zu sein. Daß ich es ablehne, bei der negativen Fetischisierung der deutschen Geschichte mitzutun.
2) Daß ich – als Person – auffalle. Gute Autoren müssen entweder die gesetzte Studienrätigkeit W. G. Sebalds haben oder jungkapitalistisch begeistert, bzw., wenn schon das nicht, von Alkoholismus und Zerknirschtheit gezeichnet sein.
3) Daß ich den literarischen Neo-Realismus ablehne und sowohl ästhetisch >>>> kompliziert bin als auch an der Widerstandskategorie festhalte.
4) Daß ich all das öffentlich diskutiere, also wehrhaft bin.
Tagesplanung.
Der Reiter mir dem Wind im Haar: Kritik überarbeiten und wegschicken. (Erledigt, 7.58 Uhr.).
DSES (ff)
Analyse.
Mittagsschlaf.
DIE DSCHUNGEL.
FUßGÄNGERZONEN-TEXT für den SWR (ff).
DSES (ff)
Vielleicht Billard mit Eisenhauer. (Er rief aus Würzburg an, wird erst morgen wieder hiersein.) Und/Oder Bar mit G.
Bar (Nachtrag):
Mit U. und G. in der Lützowbar: Ob es richtig und geraten sei, die Namen der Jury zu veröffentlichen und überhaupt Hintergründe publik zu machen. G. ist sich unsicher, U. sehr dafür. Ich bin mir letztlich a u c h unsicher, aber es ist eine Haltungsfrage, zum Beispiel Dotzinger betreffend: Schieße ich jemanden nicht an, weil er die Macht hat, mir zu schaden – oder schieße ich ihn deshalb g e r a d e an? Das war und ist m e i n e Haltung, eine vor allem vor mir selbst und für mich selbst: Nicht die Spur von Korruption mag ich an mir haben, irgend etwas daran wäre mir eklig. Es hat nicht einmal bewußt moralische Gründe, dahinter steckt bloß dieser fast phylogenetische Abscheu gegen Gruppen und alles, was mit Gruppen-Dynamiken und Gruppen-Unterwerfung zu tun hat, also auch einem sich Beugen unter Gruppen-Führern.
Den Tag über noch an dem Fußgängertext herumgestochert; ich habe den Geschmack der Erzählung deutlich auf der Zunge, aber bekomme ihn nicht in die Datei, nicht in den Text. Auch darüber mit den Freunden diskutiert; G. hat ganz ähnliche THETIS-Ideen… dann fällt mir ein, wie es geht. Ich muß es nicht einmal notieren.
Als ich, Jarrett im Ohr, heimradelte und mir, weil mir so nach meiner verlorenen Frau war, aus der Videothek den >>>> Film mit Angelina Jolie besorgte, leuchtete in der kleinen Nebenstraße ein Licht wie in den ersten Nachtszenen von Lynchs Blue Velvet. Ich fuhr zwischen Häusern, die zur Kulisse von Musik geworden waren und dastanden als das Versprechen einer grausamen Schönheit, die mich vielleicht mit sich erlöst.
Arbeitsfortschritt:
Der Reiter mit dem Wind im Haar, Opernnetz-Kritik; fertiggestellt und rausgemailt.
Fußgängerzonen-Text, Anfang.
da stellt sich mir die frage, ob sie mit ihren vier annahmen wirklich richtig liegen. gerade die ersten beiden sind doch unter dem aspekt der vermarktung eine absolut perfekte basis und welcher betriebler lässt sich solche vorraussetzungen entgehen. der name ribbentrop hieft sie ja fast von selbst ins feuilleton und gerade dass sie sich dem namen – zurecht – nicht unterwerfen, ergibt ja einen klassischen reibungspunkt mit vielen kulturschaffenden, die der kriegsthematik ja nie überdrüssig werden. je mehr reibungspunkte aber, desto mehr öffentlichkeit, desto höher die zahl der verkauften bücher. aber so einfach ist es vermutlich nicht. dass sie eine auffällige person sind, kann auch nur hilfreich sein, denn wer sich bewusst in szene zu setzen weiss wie sie, ist auch hier marktechnisch im vorteil. ihrem erfolg steht das – denke ich – nicht entgegen. einzig dem dritten punkt stimme ich zu. das sie gerade nicht dem neo-realismus hinterhergeifern, sondern eben dem fantastischen besonders starken raum gewähren ist eine spannende sache, entspricht aber eben wohl nicht dem zeitgeschmack. (ähnliche probleme haben auch andere autoren, die sich auf experimentellere texte einlassen, wie georg klein.) somit haben sie von vornherein eine kleineres klientel, das überhaupt bereit ist, sich ihren büchern zuzuwenden und das wird natürlich durch die komplexität ihrer werke noch geringer, denn kaum jemand ist noch bereit sich durch literatur, wenn es sein muss, hindurchzukämpfen, um in der sicht des gesamten werkes die qualität zu erkennen. die verlage orientieren sich ausserdem weniger idealistisch, sondern viel stärker an der verkaufbarkeit der bücher und die hängt nun einmal von der grösse der potentiellen leserschaft ab. aber vielleicht habe ich auch keinen einblick in die schwierigkeiten, die in ihrem fall vorliegen …
nebenbei: am samstag vorne auf dem podest konnte man sich sehr gut von ihren live-qualitäten überzeugen. ich habe sie vor jahren bereits in kiel beim herrn cordes gesehen, damals noch mit dem arndt-komplex….zitat: „ich werde jetzt 1h und 15 minuten lesen und sie werden sich nicht langweilen“ – und tatsächlich, der arndt-komplex langweilte nicht ….
ein kleiner nachtrag: „billard mit eisenhauer“ wäre ein guter titel für eine geschichte ….
*lacht über den Nachtrag“. – Stimmt. Was den Ribbentrop anbelangt, so haben Sie leider komplett unrecht. Im Literaturbetrieb ist der Name seit jeher Hindernis gewesen. Das führte auch zum Namenswechse vor 2 1/2 Jahrzehnten, als Arno Münster mir sagte: „Mit diesem Namen wirst du im Literaturbetrieb n i e ein Buch veröffentlichen.“ Ich war hin- und hergerissen, wollte nicht vor meinem Namen kneifen… bis – das geschah alles in Bremen 1980/81 – die Freunde zu meinem Geburtstag mit vorgedrucktem Briefpapier und Visitenkarten kamen. S i e benannten mich, und das konnte ich annehmen.
Keinen Monat später h a t t e ich, der es seit ein paar Jahren stets umsonst versuchte, einen Verlag. Nur sprachen sich die Hintergründe schnell wieder herum. W i e schwierig es mit dem Namen ist, bekam ich erst neulich mit, als mir eine Freundin erzählte, sie habe seinerzeit THETIS besprechen wollen; das habe einen Kampf gekostet, denn man habe ihr gesagt, ich sei ein Ribbentrop, und so jemanden bespreche man nicht.
Zum zweiten sind vor allem sinnliche und dominante Präsenz von Autoren tatsächlich nicht beliebt im Betrieb. Jeder meiner Versuche, dieses mein „Kapital“ in die Waagschale zu werfen, ist aber auch von j e d e m meiner bisherigen Verlage abgelehnt, bisweilen einfach hintertrieben worden.
Zum dritten ist Georg Klein nun wirklich ein s c h l e c h t e s Beispiel. Er zählt gegenwärtig ganz sicher zu den Erfolgsaugtoren der „gehobenen“ Belletristik und ist ziemlich deutlich ein Hätschelkind des Betriebs, der an ihm offenbar sein von ihm massiv geltend gemachtes langjähriges Verkanntwordensein wieder gutmachen will.
(Ich nehme an, Ihnen ist klar, wie riskant dies ist, was ich hier schreibe. Es gehört nämlich für Autoren zum guten Ton des Betriebs, dergleichen n i e m a l s öffentlich zu verhandeln, sondern, wie immer ihnen auch geschieht, es in Demut hinzunehmen – wenigstens aber schweigend.)