Wirkungen. – Das verbotene Buch.

Wäre möglicherweise ein Erfolgsroman geworden, weil er jene Leser, die eine konventionelle (“realistische”) Erzählform mit klaren Characteren, klarer Handlung und klarer Aussage, bzw. Haltung favorisieren, mit jenen eint, die zwar meiner kybernetischen Ästhetik folgen, ihr aber den mäandernden Barock verübeln oder die Ausflüge ins Genre, bzw. neuerdings meine ‘Namen nennende’ Arbeit am Privaten. Das immerhin läßt sich aus den Reaktionen derer schließen, die das Buch noch lesen konnten. Manchen freilich, denen es durch den Prozeß untersagt worden ist, die aber dennoch mitreden wollen, gilt der Autor, zumindest vorläufig unwidersprochen, als etwas, das sich neuerdings prima der Rubrik “Kinderficker” zuschlagen läßt. Sonst gäbe es über den Roman nicht derart viel Unfug zu hören. Freilich liegt er tatsächlich auffällig schräg im Wasser der Neo-Moral. (Und es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß eine solche Öffentliche Meinung vermittels Einschliff unbewußte Spuren selbst in jene geschnitten hat, die das übrige Werk früher offen, wenn nicht sogar sympathisierend gelesen haben. Auch so, rein durchs öffentliche Meinen, werden Freunde, bzw. Mitstreiter verloren.)

5 thoughts on “Wirkungen. – Das verbotene Buch.

  1. ich kann den ganzen dschungeln folgen, auch ihrer kybernetischen ästhetik – das ist ein gutes projekt! – das mäandern gehört zum webloggen dazu., das machen andere auch …
    meine theorie war, dass a r g o die schreibbblockade verusacht und nicht Sie.
    *seufzt
    **kann lesen; kann die französische rhizomatische philosophie vorwärts und rückwärts lesen; kann das gesamtwerk nietzsches lesen inkl. dem extra-index von der hanser-ausgabe 4 vorwärts und rückwärts lesen, kann prousts „auf der suche nach der verlorenen zeit“ vorwärts- und rückwärts lesen
    **und hatte einen PUNKT: schön, dass nun statt schreibblockade schreibwut herrscht

    1. Sie ahnen nicht, w i e innig. Ich Ihnen diese Punkt g ö n n e!

      (Bei der Recherche, nebenbei bemerkt, scheiterte m e i n e Rezeptionsfähigkeit und, vor allem, -lust. Das war mir zu weich, zu sehr abgespreizter kleiner Finger und gespitztes Formuliermäulchen. Anders bei Pynchon, anders bei A. Schmidt, anders beim jungen Gaddis (beim alten versagte ich a u c h) und anders bei Joyce. Dennoch zweifle ich keinen Moment daran – und merkte es schon seinerzeit -, daß Proust ein vorzüglicher Autor ist.

  2. Dabei ist Proust ebenfalls ein Schreibwütiger … und mäandert so elegant wie kaum ein Zweiter.

    <Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen. Manchmal fielen mir die Augen, wenn kaum die Kerze ausgelöscht war, so schnell zu, dass ich keine Zeit mehr hatte zu denken: „Jetzt schlafe ich ein.“ Und eine halbe Stunde später wachte ich über dem Gedanken auf, dass es nun Zeit sei, den Schlaf zu suchen; ich wollte das Buch fortlegen, das ich noch in den Händen zu haben glaubte, und mein Licht ausblasen; im Schlafe hatte ich unaufhörlich über das Gelesene weiter nachgedacht, aber meine Überlegungen waren seltsame Wege gegangen; es kam mir so vor, als sei ich selbst, wovon das Buch handelte: Eine Kirche, ein Quartett, die Rivalität zwischen Franz dem Ersten und Karl dem Fünften. Diese Vorstellung hielt zuweilen noch ein paar Sekunden nach meinem Erwachen an; meine Vernunft nahm kaum Anstoß an ihr, aber sie lag wie Schuppen auf meinen Augen und hinderte mich daran, Klarheit darüber zu gewinnen, dass das nicht Licht nicht brannte. Dann wurde sie immer weniger greifbar, wie nach der Seelenwanderung die Gedanken einer früheren Existenz; der Gegenstand meiner Lektüre löste sich von mir ab, ich konnte mich damit beschäftigen oder nicht; gleichzeitig kehrte mein Sehvermögen zurück, und ich war erstaunt, rings um mich her eine Finsternis wahrzunehmen, die für meine Augen sanft und ausruhend war, mehr aber vielleicht sogar noch für meinen Geist, dem sie grundlos, unbegreiflich, wahrhaft dunkel erschien. Ich fragte mich, wie spät es wohl sei; ich hörte das Pfeifen der Eisenbahnzüge, das – mehr oder weniger weit fort wie das Vogelsingen im Wald – die Entfernungen markierte und mich die Weite der öden Landschaft erraten ließ, durch die sich der Reisende zur nächsten Station begibt; der kurze Weg, dem er folgt, wird in sein Gedächtnis eingegraben bleiben durch die errgende Neuheit der Stätten, die ungewohnten Dinge, die er unternimmt, ein Gespräch, das er eben geführt hat oder den Abschied unter einer fremden Lampe, der ihm noch nachgeht in der Stille der Nacht, die nahe Süße der Heimkehr.>

    Das ist der Anfang der Suche nach der verlorenen Zeit.

    Mir geht es mit Proust gerade umgekehrt wie mit Joyce; während ich früher Joyce las und zu Proust keinen Zugang fand, lese ich nun Proust und finde zu Joyce keinen Zugang mehr. Es kann aber auch sein, dass ich die Wollschläger-70er-Jahre-Übersetzung nicht mehr ertrage. Ich habe mich auch an der älteren und im Antiquariat aufgetrieben Goyert-Übersetzung versucht. Vielleicht brächte die neue Übersetzung eine Wende, aber dafür fehlt – willkommen im Club – das Geld. Einstweilen beschränkte ich mich auf Giacomo Joyce.

    Schönen Zelttag,
    Anobella
    *Sonnenbrille wieder auf

    1. (Am Schreibtisch stets o h n e Sonnenbrille.) Ich bekomme, je älter ich werde, um so vehementer den Eindruck, daß es tatsächlich Frauen- und Männerliteratur gibt, wobei diese und jene durchaus nicht von Frauen oder Männern geschrieben sein muß; es ist anscheinend vielmehr eine Frage der Haltung. Proust ist dafür ein samtiges Beispiel. Allerdings ist mir keine von Frauen geschriebene Männerliteratur bekannt. Proust indes kommt mir wie der Prototyp eines Mannes vor, der Frauenliteratur schreibt. Hemingway und auch Pynchon, sowie Helmut Krausser und der frühe Bodo Kirchhoff sind dagegen, wenn mein kleiner ontologischer Verdacht stimmen sollte, rigoros männliche Vertreter. Desgleichen, wenn auch auf die bisweilen arg verschwitzte Weise, Arno Schmidt.

      Bei rund 70% weiblichem Leser-Anteil steht die Sache der Männerliteratur allerdings nicht durchweg zum besten. Jedenfalls im „E“-Bereich. Im Genre hält sie sich freilich ganz gut (etwa bei SF); das sogenannte Männliche scheint dem Grobgriff mehr zu entsprechen – und wo nicht, da gleitet es eben sehr fix ins Aus.

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