Mittwoch, den 13. August 2005.

8.43 Uhr:
Unruhe. Auf dem Falk-Platz wird nachher der Kita-Abschied meines Jungen gefeiert, die Mama werde, SMS’te sie, die ich ja nicht sehen will, einen kleinen Kuchen backen. Mein innerer Kampf, ebenfalls hinzugehen; die Angst nämlich, was es in mir auslöst, diese Frau wieder zu sehen, zu riechen zu spüren. Mir steckt die Vorweihnachtsbegegnung vom 5. Dezember noch immer in den Knochen. Dennoch – verbunden mit meiner auch in anderen Belangen sich langsam entwickelnden Leichtigkeit Unverquertheit ja geradezu Toleranz – spüre ich dauernde Impulse, meine unbedingte Haltung ihr gegenüber aufzugeben. Aber heute abend oder morgen kommt für die Italienreise A., und es wäre erotisch und menschlich sowieso unfair, dann in einer anderen Sehnsucht zu stecken. Ich stelle mir vor, an A.’s Schulter plötzlich weinen zu müssen, und das möchte ich nicht. Weil es nämlich egal wäre, ob ich das Weinen dann unterdrückte. Innerlich egal.
Also diese Unruhe. Ich werde nachher spontan entscheiden. Daß wir lieben, daß wir zugleich anderweitig verliebt sein und w i e d e r anderweitig begehren können! Daß sich das offenbar nicht oder nur selten aufeinanderschmiegt. Daß wir also trennen und wegdrücken müssen, was dann als Fehlleistung an unvermuteter Stelle wieder herausbricht. Daß wir aber, vermeiden wir das und leben den Widerspruch aus, Schmerz zufügen. So oder so.

“Wieso eigentlich immer diese jungen Frauen?” fragte Carthaga gestern. Letztlich kann ich ihr gar keine Antwort geben, sehe ich von Äußerlichkeiten einmal ab. Was mir, zugegeben, schwerfällt. Ganz Frau, bezieht sie die Dynamik selbstverständlich auf sich. “Bei Männern sehen Falten gut aus”, sagt sie, “aber bei Frauen?” “Doch, es gibt sie, die das auch erotisch schön macht. Aber sie sind selten”, sage ich, “und so wenige haben sich um ihren Körper gekümmert.” “Frauen haben es in dieser Hinsicht auch nicht so leicht wie ein Mann.” Dem ist wenig entgegenzusetzen. Wer das bedenkt, kommt nicht umhin, ein großes Unrecht zu spüren. “Ich habe es versucht”, verteidige ich mich noch einmal, “ich habe zahllose Blinddates auch mit Frauen um und über den Vierzig gehabt… es wäre nicht gegangen. Oder ging selten.” Carthaga, wiederum weiblich, bleibt hart: “Das sind zu dir immer noch zehn Jahre Unterschied. Ich spreche von fünfzig”, betont sie.

An ARGO komme ich heute wohl kaum. Besser die Reise und die San-Michele-Arbeit vorstrukturieren, Informationen aus dem Netz ausdrucken usw. Außerdem ist für die fiktionäre Site der letzte Newsletter vor Italien zu schreiben; bereits heute vormittag wird die erste Roh-Tranche des DSCHUNGELBUCHes eingestellt sein, ich warte nur noch auf Katangas Nachricht.

Auch neu, wie wenig Musik ich derzeit brauche. Daß ich, sogar bei der Arbeit, meine Ruhe haben will, um dem Kreisen und Flirren der Gedanken zu folgen.

12.55 Uhr:
Vom Elfenbein-Verlag zurück, woher ich fünf Bändchen “Illusion” holte, finde ich einen wirklich häßlichen Brief vor, der mich weniger ärgert, als furchtbar traurig stimmt:

Herr v. Ribbentrop,
bitte unterlassen Sie zukünftig die Erörterung meines Privatlebens auf Ihrem Internetblog; ferner die lügenhafte Behauptung ebenda, hinter dem Pseudonym XXXX verberge sich meine Person. Nehmen Sie ferner zur Kenntnis, dass nicht Herr YYY, wie Sie behaupten, sondern Sie es sind, der mir mit seinem indiskreten Verhalten und dem Verbreiten o.g. Lügen schadet. Ihre Dispute mit Herrn YYY klären Sie bitte selbst ohne Hinzunahme meiner privaten Angelegenheiten.
Ich wünsche ob Ihres Mangels an Integrität und Ihrer rücksichtslosen Heuchelei, mit Ihnen persönlich nichts mehr zu tun zu haben. Herrn YYY’s Kontakte zum Literaturbetrieb & seine dementsprechende Einschätzung Ihrer Person sind weder meine Angelegenheit, noch interessieren sie mich, dies nehmen Sie bitte zur Kenntnis.
gez. ZZZZ
Kopie an RA soundso.

Ich habe freundlich, aber entschieden geantwortet und darauf hingewiesen, daß ich meinerseits, sollte der Verfasser/die Verfasserin des Briefes mir nun auch noch öffentlich “rücksichtslose Heuchelei” nachsagen, rechtliche Schritte erwägen müßte. Das Ganze ist, insgesamt, um so abstruser, als ich in meinem Verhalten überhaupt keinen Grund für solch eine offenbar galoppierende Kränkung erkennen kann. Es ist, als wollte sich jemand auf das Pferd der Auseinandersetzung schwingen, das im Rahmen des Prozesses um mein verbotenes Buch in die Bahn gepeitscht worden ist, und nun seinerseits ein ganz persönliches, schmerzendes Mütchen kühlen.

14.50 Uhr:
Ich ringe mich also durch, für meinen Jungen, die Mama wiederzusehen, ich kaufe für alle Kinder kleine Geschenke, radle auf den Falkplatz und finde niemanden dort. Im Kindergarten sagt mir die Erzieherin, Adrian sei nicht mehr da, man habe heute vormittag gefeiert. Dabei hatte ich eigens eine SMS an die Mama geschrieben, wann die Feier denn sei; sie ist unbeantwortet geblieben. Jetzt weiß ich warum. Unverständnis und Traurigkeit.

Und dann sagt mir noch G., der Freund, mein gestriger Tagebucheintrag lese sich so süßlich, als hätte ihn Karasek geschrieben. Damit muß man auch erst mal klarkommen. Ich werde dennoch nichts ändern, sondern einfangen, was war und wie esempfunden war; es steht ja genügend anderes dagegen – und was schließlich für die Buchform oder eine völlig andere Erzählung daraus wird, muß man sehen.

0.07 Uhr:
Mit G. und Ursula in einem kleinen Kreuzberger Biergarten gewesen, sehr lange gesprochen, sehr befreundet, was wunderschön ist. G. den Schriftwechsel wegen dieser unleidlichen Angelegenheit von heute morgen übergeben; er ist jetzt informiert. Und, was sehr viel mehr zählt: Von der Mama meines Jungen eine SMS, ich möge bitte nicht so böse sein, sie habe einfach in der Morgenhektik das Handy verlegt und sehr gesucht, aber nicht gefunden. Das Ganze tue ihr leid. Da habe ich sehr tief durchgeatmet und war fast gelöst. So eine Art Friede ist das nun, der mich ganz sicher sehr gut schlafen lassen wird.

Unter “Arbeitsfortschritt” ist rein nichts zu notieren; aber ich hab den Eindruck, das sei nicht so schlimm.

5 thoughts on “Mittwoch, den 13. August 2005.

  1. In anderen Sehnsüchten „und es wäre erotisch und menschlich sowieso unfair, dann in einer anderen Sehnsucht zu stecken.“ Ach, wenn es doch nur möglich wäre. Wenn man es sich aussuchen könnte. Wenn es nicht über einen käme, wie die Pest. Ach, wenn es doch nur möglich wäre.

  2. Persönliche Kränkungen, Enthüllungen, K UN S T – Verhinderung! Persönliche Kränkungen sind häufig das eigentliche Gift jeder Beziehung ohne real da zu sein. Das ist wirklich traurig. XXXX, ZZZZ, YYYY und weitere stimmen mich auch traurig, traurig in dem nicht zu einer Beziehung stehen können – einer Beziehung, auf die es nicht schwer wäre sich einzulassen – Einlassen heißt auch die primären Kränkungen für die eigene Person so verarbeitet zu haben, dass man keine Angst mehr vor der Enthüllung realer Daten hat!

    Schön wäre die Diskussion über sekundäre Kränkungen und Enthüllungen, die häufiger gar nicht real stattfinden und die man einfach zulassen könnte, ohne Angst vor der Strafe des gefürchteten Primärobjekts!

    1. Theoretisch diskutierte ich hier gerne mit. Praktisch in diesem Fall aber nicht. Schon weil juristische Folgen zwar absurd wären, aber nicht ganz auszuschließen sind und ich zumindest damit rechnen kann, daß der Rechtsbeistand, dem das Schreiben weitervermittelt wurde, nunmehr Die Dschungel darauf abklopft, inwieweit sich gegen sie prozessual etwas anstrengen läßt. Zwar machte so etwas sie nun erst recht bekannt, aber ich möchte nicht abermals Leuten wie Martin Halter und also den Feuilletons die Gelegenheit geben, von mir als einem „Skanalnudler“ zu sprechen; das fällt ja weniger auf mich als auf mein Werk zurück – und vor allem auf die Intention, mit der ich in ‚meine‘ Poetologie habe Das Projekt Privatheit einfließen und vor allem praktisch werden lassen. Die Frage, w i e fließt Privates ins Werk, also welcher Gestalt sind die (ganz sicher oft unbewußten) Transformationsprozesse, ist poetologisch zu bedeutsam, als daß der in Den Dschungeln dokumentierte Prozeß privaten Scharmützeln geopfert werden dürfte. Zugleich kann ich die aber nicht völlig herauslassen, weil sie ganze Tagesverfassungen, Stimmungen usw. verursachen, die wiederum zu Grundlagen der poetischen Arbeit werden. Nebenbei – aber das wurde mir gestern erst klar – sind die privaten Anteile Der Dschungel ganz gewiß auch ein Reflex – und insoweit haben die Big-Brother-Vorwürfe zum Beispiel adupes nicht völlig unrecht – auf das hohe Interesse von Menschen an den Formen des reality-Fernsehens etc. Ohne das eigentlich gewollt zu haben, sind Die Dschungel eben auch ZeitMitschrift. Spätestens in dem Moment, da ich das merke, d a r f ich das gar nicht mehr löschen, sondern muß es – formen. Unter vielem anderen, wohlgemerkt. Da das Gelände aber nicht nur unsicher, sondern auch vermint ist, muß ich dabei – zumindest in einer Rohform, wie Die Dschungel sie notwendigerweise repräsentieren – auch Peinlichkeiten riskieren.

      [Interessant ist gerade in d i e s e m Zusammenhang, daß aus Den Dschungeln ganz offenbar vor allem die (‚privaten‘) Tagebucheinträge gelesen werden und sehr viel weniger die poetischen oder poetologischen Beiträge auf der Hauptseite.

    2. „… daß aus Den Dschungeln ganz offenbar vor allem die (‚privaten‘) Tagebucheinträge gelesen werden und sehr viel weniger die poetischen oder poetologischen Beiträge auf der Hauptseite“:
      Das erklärt ja auch die ganze Konfusion.

    3. Der quasi-voyeuristische Drang zum Privaten. Ist von enormer Macht. Dem läßt sich auf zweierlei Weise begegnen: 1) indem man es verweigert (wie Die Dschungel ganz zu Anfang strikt taten); 2) indem man es bedient, aber zugleich mitreflektiert. Nur scheint diese Reflektion fast zwanghaft übersehen zu werden. Es muß nur „Tagebuch“ über etwas stehen, schon wird etwa eine Geschichte wie die mit der jungen Autorin von vorgestern 1:1 gelesen und nicht bedacht, daß es sich bei der entsprechenden Tagebuchaufzeichnung ganz genau so um eine Geschichte handeln könnte wie daß ‚Big Brother‘ möglicherweise gestellt ist. Hierzu möchte ich ganz dringend auf >>>> das hier verweisen. Ich muß die junge Dame doch wirklich „Michaela“ nicht n e n n e n.

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