Wiederum: Das Private im Netz. Kleine Theorie des Literarischen Boggens (50).

Es gibt eine Haltung, die sehr verständlicherweise das Private vor dem öffentlichen (verdinglichend-vermarktenden) Zugriff bewahren möchte und sich also zurückzieht, d.h. auf das Private a l s ein Privates pocht. Nur macht so etwas ja Geräusche, so daß der Gegner erst wirklich aufmerksam wird. Möglicherweise – und hierfür sind Die Dschungel unter anderem entstanden – besteht eine sehr viel effektivere Form, sich zu schützen, in der P a r a d e des Privaten. Das ist mit Affirmation nicht zu verwechseln, wenngleich es deren Maske trägt. Indem es sich nämlich publiziert, literarisiert es sich und wird dadurch von dem tatsächlich-Privaten, das sich rein im unveröffentlichten Leben äußert, ausgesprochen entfernt. Menschen, die in Weblogs oder Büchern schreiben, werden selbst als autobiografisierte Subjekte zu literarischen Objekten, d.h. zu Figuren. Da sie in der Realität solche aber nicht sind, ist die Veröffentlichung ihres Privaten zugleich sein schärfster und sicherster Schutz. Denn sie meint immer jemanden anderes: die literische Figur nämlich, die für den Leser im Internet oder im Buch entsteht.
Hingegen wirkt sich der direkte Schutz des Privaten als seine Schwächung aus, denn er zeigt die Schwäche a n. Der rechtliche Schutz des Privaten, der gerade in den letzten Jahren juristisch mit solchem Nachdruck eingefordert wird, ist recht eigentlich, um mit Kafka zu sprechen, eine Erfindung, die schon im Absturz gemacht wird und erinnert an die technologischen Gegnerschaften, die aufzuhalten versuchten, was sich längst vollzog. Es gab einst eine Gesellschaft zur Abwehr der Impfung, es gab die Gegner der Lokomotiven, der Automobile, heute des Internets usw. Tatsächlich gilt hier aber Marx: Wer nicht ausgebeutet werden will, muß sich die Produktionsmittel aneignen. In den Worten Der Dschungel: Wer nicht gesehen werden möchte, der muß sich zeigen. Indem er sich nämlich zeigt, zeigt er (oder – der geschlechtlichen Korrektheit halber – sie) auf eine Kunstfigur, die sich sehr viel schlechter beißen und erlegen läßt als ein jeder andere, der auf Authentizität beharrt. Das wahre Authentische ist wahrscheinlich ohnedies eine Selbst-Projektion, ein Film, der rein nur vorm Inneren Auge des Subjektes abläuft, dessen unablässige, doch hilflose Aktivität nun darin besteht, ihn auch all den anderen zu zeigen. Woran er schon deshalb scheitern muß, weil er a l s er für die verschiedenen Mit-Subjekte jeweils jemand anderes ist: für die Eltern lebenslang das Kind, für die Lehrer lebenslang der Schüler usw. Er bekommt dieses Surfen seiner Erscheinung aber kaum je mit, und wenn, dann ist sie ihm oft derart peinlich, daß er es verdrängt. Insoweit ist das Beharren auf der Privatheit im Netz auch wieder verständlich: Denn in den meisten Weblogs wird nur e i n Ich unter den vielen anderen, und zwar sehr bewußt (manipulierend), vorgeführt. Sowie in den Chats. Ausschnitt-Ichs, mit denen bisweilen gar nichts anderes korrespondiert als der inszenierte innere Film. Und die Kommentatoren und Chat-Partner werden zu Rollen, die man imgrunde selbst bewegt.

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