8.48 Uhr:
Erst um halb neun aufgewacht; das Rauchen kostet Kraft. Den Impuls eben (am Küchentiswch der Kinderwohnung sitzend; der Junge will drüben vor dem Frühstück erst noch spielen, ich hab ihn gefragt)… den Impuls eben unterdrückt, neue Zigaretten kaufen zu müssen. Sich sagen: Dieser Impuls gehört zu jedem Entzug dazu. Und ihn dann erwarten, sich fast drauf freuen: daß man ihn igrnorieren kann.
EvL schickt aus B.A. einen Filmauschnitt, Fassbinder, Martha: “So stell ich mir die Beziehung in Ihrem verbotenen Buch vor.” (Es ist ihr aus dem Internet zugeschickt worden, wo der Roman nun offenbar weiter herumschwirrt.) Ich guck den kurzen Filmstreifen an und bin ganz erschrocken: Habe ich das s o beschrieben? Dann wäre nichts gelungen. Vor allem beide so jammerig, die Schauspielerin und dieser Böhm, dem das Gesicht auseinanderfließt wie hochgewärmtes Wachs. Das Jammerige hatte Irene Adhanari n i e, auch nicht ganz am Ende; Fichte hatte es schon eher – und war damit endgültig disqualifiziert. Und wie sich Böhm dann mit zu den Knien heruntergelassenen Hosen auf die Dame darauflegt, dieses Linkische, verirrt-Steife – und dazu das “über sich ergehen Lassen” der Frau, – nee, bei allem Chaos…nee. Selten eine so unerotische Szene gesehen: auch eine, die in ihrer Larmoyanz voller unbegriffener Gewalt steckt. Hätte die Frau ihm eine geballert, hätte er zurückschlagen können…und dann wieder sie, dann wieder er. vielleicht, vielleicht, wären sie dann übereinander hergefallen, sinnlich berechtigt, penthesilea’sch… – oder alles hätte ein klares Ende gehabt. Ein vorübergehendes vielleicht, Ende aber erst einmal doch. – Aber so?
(Ich kenne den Film nicht, nur diese paar Sekunden Ausschnitt. Was ich hier schreibe, ist also eine Art Interpolation zwischen Film und Buch und, mithin, “nur” Fantasiearbeit.)
11.51 Uhr:
Do hat geSMS’t: Sie schicke Geld; ob ich das nun wolle oder nicht. – Ein Gefühl von Aufgehobensein, Beschütztsein, bei allem murrenden Stolz. F r e u n d e. Darauf war, letztlich, immer Verlaß. Nicht auf Familie. Die hat immer versagt, schlimmer: w o l l t e versagen (oder, vielleicht, hat versagen wollen müssen). Und zu den unmittelbaren Freunden haben sich manche Leser gesellt: verfolgen mit, fühlen mit, versuchen zu verstehen, wollen, daß ich weitermache. Das ist eine sehr gute Art von Verpflichtung, nicht mehr nur gegenüber “meiner Kunst”, sondern genau sie macht das plötzlich menschlich. Was mich ja nie recht interessiert hat, aber mit einem Mal d a i s t.
(Ich hab das ja immer gewollt: ein Künstlerleben führen. Nun hock ich voll drin, mit dem gesamten Existenzmüll, den schon so viele andere halb-bettelnd durchzustehen hatten.)
Zwischen B.A.und hier geht es immer hin und her. Der Kopf arbeitet, aber sozusagen subkutan läuft dabei auch ein erotischer Kampf. Und dieses alles im Netz und durch die Entfernung an jeder Realisierung gehindert. Wobei vielleicht diese “Hinderung” die Gefühle noch aufpeitscht, die sich dadurch sehr literarisieren. Ich sehe aber ganz bewußt davon ab, das in Den Dschungeln zu dokumentieren. Nur ‘Ergebnisse’ sollen aufschießen. Kleine Vulkanausbrüche.
(Ich merke gerade, wie seltsam sich die Postings Der Dschungel von der Hauptseite auf das Tagebuch verschieben. Und verriegle das jetzt nicht.)
15.35 Uhr:
Und, fast war es zu erwarten, *** sagt für morgen abend ab. Eben kommt die SMS. Wie ich das dem Jungen erkläre, weiß ich noch nicht. Und ich bin mir momentan plötzlich wieder unsicher, ob ich an seiner Einschulung überhaupt teilnehmen soll. Geschnürte Brust; und der wütende Versuch, dennoch klarzubleiben.
22.28 Uhr:
Verwirrt, traurig, hin- und hergerissen, ziemlich desolat. Aber kein bißchen wütend. Eigenartig für mich. Es hat ein bißchen was von aufgeben. Muß Entscheidungen treffen. Seh den kleinen Jungen, bin verstört. Denk an EvL, bin sehr verstört. Denk an A*, bin auch verstört. Denk an ***, bin sowieso verstört. Das erste Mal seit langem der Gedanke, mein Kind nicht zerreißen zu wollen und ins Ausland zu gehen. Verschwinden, so wie meine ersten ‘Helden’ verschwanden, in der “Verwirrung des Gemüts”, in “Janus”, dem Jugendroman, der noch irgendwo vor sich hinschimmelt und zwischenzeitlich, so um 1980 herum, im Zusammenhang mit den ersten Skizzen am “Wolpertinger” wieder eine komische Bedeutung bekam, so daß ich ihn in “Destrudo” umbenannte (sogar ein paar Figuren daraus nahm ich in den Wolpertinger mit hinein: Robert Großwald, Günter Carstens [die “Viper”], Karl Polst). “Wir sind die Generation der Verschwindenden”, schrieb ich in “Janus”, da war ich sechzehn. Nie vergessen, diesen Satz, der werweißwoher in mich hineinkam. “Destrudo” steht seit ungefähr 1980 auf meiner inneren Wiederaufnahme-Liste.
nee, bei allem chaos …
Das Kind ist bereits zerrissen, aufgrund der Situation, in der es sich wiederfindet. Sie werden nie etwas daran ändern können, ob sie nun „da“ sind (sind Sie ja auch immer nur sporadisch, selbst wenn Sie in der gleichen Stadt wohnen) oder „fort“. Hierhin liegt die große Tragödie eigentlich begründet, aber auch eine gigantische Chance. Den Kindern beizubringen, dass Lieben auch Loslassenkönnen bedeuten kann. Die wenigsten sehen diese, aus nachvollziehbaren Gründen.Das Elternego ist ein starkes. Ich wünsche Ihnen, dass Sie eine Lösung finden!
verzeihung, ihre annahme ist schlichtweg b u l l s h i t!
abgesehen davon darf von „zerrrissenheit“ in keinstem fall die rede sein!
mag sein, daß in anderen familien kinder als instrument „gespannt“ werden (ob nun getrennt lebend oder unter einem dach),
so aber mit gewißheit nicht h i e r!
seien sie bitte sorgsamer, was solcherlei suggestionen anbelangt –
so mag „das elternego“ ein starkes sein, so aber auch ein äußerst sensibles!
Ich mag hier von „bullshit“ nicht sprechen lassen. Sondern möchte nüchtern auf den homme-de-lettres antworten: Der Junge lebt genau zur Hälfte bei mir und zur Hälfte bei seiner Mama, je 3 1/2 Tage am Stück. Dazwischen liegen ein Kilometer Weges und die Kita, bzw. nunmehr die Schule. Von „sporadisch“ zu sprechen, ist deshalb schlicht falsch.
Gegen diese Lösng wäre mancherlei einzuwenden, dafür aber a u c h. Die Entwicklung des Jungen hat sich auf u n s e r e Seite geschlagen. Was er an Zerrissenheiten wegen der elterlichen Trennung zu erleiden hat, hat ohnedies j e d e s Kind aus getrennten Familien zu leiden. Die Frage ist immer nur, wie man damit umgeht, ob man also die bürgerliche Vorstellung von Einheit teilt oder nicht. Oder ob man sie aus a n d e r e n Gründen teilt oder nicht teilt. (Im übrigen kenne ich viele Ehen, in denen die Kinder gerade darunter leiden müssen, daß ihre Eltern sich n i c h t trennen.)
[Auf ein spitzes Stück Lego im Kinderzimmer getreten; jetzt blutet der linke Ballen.]
Ich gebe Ihnen völlig Recht, auch Kinder, die intakten Familien leben, können es schwer haben, gerade WEIL sich die Eltern nicht trennen.
Ich stelle es mir einfach sehr schwer vor, einmal hier und einmal dort zu sein, und das sporadisch können Sie gerne streichen, es ändert nichts an meiner Kernaussage.
Daneben wollte ich Sie ganz gewiss nicht irgendwie kritisieren oder angehen. Ich habe laut über die Situation nachgedacht. Vielleicht waren es dumme Gedanken. Vielleicht war es auch dumm, auf einen Gedankenaustausch oder einen Dialog über solch ein Reizthema zu hoffen.Auch dafür habe ich natürlich Verständnis und bitte um Entschuldigung.
Aber wieso denn? Ich h a b doch reagiert.Und durchaus nicht irrational.
Das mit der Spaltung ist übrigens auch erkenntnistheoretisch eine große Frage und hat soziologische Implikationen. Unsere Vorstellung von Einheit des Ichs halte ich für prinzipiell falsch,in meinem Lehmann-Zitat wies ich darauf hin. Wir haben aber alle Schwierigkeiten damit, unsere vielen inneren „Ich ist ein anderer“ emotional zu akzeptieren. Es ist nun durchaus nicht ausgemacht, ob es damit ein Kind später nicht leichter hat, das von allem Anfang an zu f ü h l e n lernt, daß es je-Verschiedene ist.
Ihre Reaktion war nicht irrational, aber sie klang nach Rechtfertigungsdruck und nichts lag mir ferner, als Ihnen eine Vernachlässigung oder Pflichtverletzung Ihrem Kind gegenüber zu unterstellen, wie käme ich dazu. Ich kenne Sie ja kaum, nur über Ihr Tagebuch hier. Synopsis kenne ich überhaupt nicht, weshalb ich ihre oder seine Aggressivität mir so erkläre, dass eine persönliche Involvierung in das Thema besteht, was mir allerdings völlig gleichgültig ist und mich auch nicht interessiert.
„Ich ist ein anderer“ emotional akzeptieren – vielleicht gelingt das doch gerade den Kindern, indem sie nicht weiter darüber nachdenken, wie selbstverständlich in die Rolle des Andren schlüpfen. Ich erinnere mich, in einer Phase meiner Kindheit in Form der dritten Person gedacht zu haben. „Er dachte darüber nach, ob er die Hausaufgaben jetzt oder später erledigen sollte“. „Er“ konnte natürlich auch jeder sein und nicht gerade der kleine Hdl, darin bestand der größere Reiz gegenüber dem ICH. Ich ist immer definiert und verläuft an den eigenen Grenzen. Er kann jeder sein. Schwierig wird es vielleicht erst, wenn man in der Pubertät oder danach dann erkennt, dass man gefälligst eine einzige Person zu sein hat namens Ich. Und zwar immer die Gleiche. Ich vermute, ich bin kein Psychologe, dass erst ab diesem Zeitpunkt das Problem mit dem „Ich ist ein anderer“ entsteht. Krankheiten wie Borderline weisen vielleicht daraufhin.
Der Hinduismus hat großes Misstrauen gegenüber dem (einen) Ego-Ich. Wenn auch aus anderen Gründen.
Gute Besserung für Ihren Fuß!
(Ich kenne das noch aus der Kinderzeit, das Gefühl, nachts barfuß auf einen Legostein zu treten)
Kleiner Unterschied Kinder haben ein Recht darauf, dass Eltern das ihnen Bestmögliche für sie tun, nicht, dass sie das beste bekommen. Denn die Wahrnehmung des Kindes dessen, was man für das beste für es hält, deckt sich nicht notwendigerweise mit der guten Absicht und schließlich ist das eventuelle Unvermögen der Eltern das vorgezeichnete Schicksal des Kindes. Aber die Zuwendung und Zuneigung spüren sie allemal und das gibt ihnen meiner Meinung sogar dann Stabilität, wenn zwischen den Eltern noch irgendwelche Spannungen sind. Das einzige Problem ist häufig nur, dass Kinder sich verantwortlich dafür fühlen, diese Spannungen abzufedern oder sogar Schuldgefühle deswegen haben.
Ich denke, wir müssen überhaupt vorsichtig sein, darüber zu urteilen, was für andere gut oder schlecht ist. Jeder ist anders. Wenn man meine Katze z.B. fragen könnte, was für sie artgerechte Haltung bedeutet, würde sie sicher sagen, das eine Katze unbedingt ein Bett mit Federdecke und Kopfkissen braucht. Sogenannte Experten würden ihr widersprechen.