5.20 Uhr:
[Berg, Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“. Das wird wohl das heutige MDTFEB werden, aber ich stell’s erst später ein, weil ich eine Kleinigkeit dazu formulieren möchte.]
So muß es sein: Der Wecker klingelt um kurz vor fünf, und ich hebe den Oberkörper und drehe die Beine von der Couch, auf der ich in der Arbeitswohnung schlafe. Reibe mir die Augen und stehe auf. Obwohl ich einen schweren Traum hatte, der zu persönlich ist, um ihn hier wiederzugeben; zu persönlich meint: Es würde Ihnen nichts bringen, erzählte ich ihn, denn er hat keinen Tranpositions-, wohl aber für mich einen inneren, sogar alarmierenden Wert. Nämlich steht mein Freund V. in der Tür und beklagt sich, daß ich mich niemals mehr bei ihm gemeldet hätte. Ich habe offenbar ein Wohn-Stipendium in einem an einer Schleuse gelegenen Hafenhaus für die Flußschiffahrt (!), das derzeit mit häßlicher Kunst am Öffentlichen Bau umgestaltet wird. Ich fahre den Freund an, aber das wisse er doch weshalb und daß mir seit meiner Trennung alles andere sowieso egal sei. Da schweigt er, aber dreht sich um und geht. Sein letzter Blick hängt mir jetzt noch nach.
In die Küche, will den latte macchiato bereiten, aber ich hab vergessen, Espresso zu kaufen. Also Tee heute früh, mit z w e i Teebeuteln, damit er Kraft hat. Bei sowas fällt mir ein, was ich in Polen lernte, als ich für das verbotene Buch recherchierte: Teebeutel zweimal verwenden. Das will ich heute nun auch tun. Dann an den Schreibtisch, im Arbeitswohnungs-Früh-Aufzug (nicht minder häßlich als der Trainingsanzug drüben; das erste Mal, seit es in diesem Jahr Sommer wurde, wieder mit warmen fußfreien Leggins an den Beinen; das ist etwas, das ich von meinem Vater übernahm, der zu meinem damaligen Entsetzen sowas gerne trug – nun trag ich es halt selbst; und den dicken bordeauxroten Wollpullover an, der an vielen Stellen bereits aufribbelt; er wird auch schon zu warm, merk ich grade; dazu die fetten Stax-Kopfhörer auf den Ohren). DTs skizziert und gesehen, es ist Post von EvL da, die ich vor ARGO eben noch lesen will, sowie ich diesen kleinen Einführungseintrag abgeschlossen und eingestellt haben werde.
N a c h ARGO steht heute die mühsame Protokolliererei der in der Villa San Michele aufgenommenen Originaltöne (‚O-Töne’ genannt, für diejenigen unter Ihnen, die von manchen Abkürzungen hier manchmal etwas verrätselt sind, weil sie einfach das Metier nicht kennen). Ich protokolliere solche Töne meist Sekunde für Sekunde, was bei vier bis fünf und manchmal n o c h mehr Stunden Aufnahmematerial eine ziemlich mühsame Sache ist, zumal man nebenbei keine Musik hören kann. Es gehen schon mal drei volle Arbeitstage dabei drauf. Vieles an dieser Arbeit wird obendrein unnötig getan, weil die meisten Töne bei 49 Minuten Sendezeit gar nicht verwendet werden können. Unnötig ist es dennoch nicht, denn das Tonprotokoll erlaubt während der Produktion den genauen Zugriff auf das, was man einspielen will. Es gibt dann keine aufhaltende, dem engen Zeitplan Denk- und Hörzeit nehmende Sucherei. Und nebenbei legt man sich ein ziemlich gutes Töne-Archiv damit an, auf das gezielt zurückgegriffen werden kann. Also sofern man auch die aus den O-Tönen hergestellten CDs ordentlich archiviert.
Die Analysestunde fällt heute aus. So kann ich mich rein auf die Arbeit konzentrieren. Und auf das Gespräch mit EvL, sowie den Freunden antworten, die bisweilen per Messenger in meine Gedanken hineinsprechen.
8.01 Uhr:
[Nono, Prometeo.)
Furchtbare Szene, die ich da grad schreib. Grandios in ihrer Brutalität, nicht so sehr des Geschehens selbst, das aber auch, sondern in dem symbolischen Bezug, den der Text herstellt. Die Landeskirche wirkt nach; offenbar beschäftigt mich die Einladung unbewußt sehr und hat sich plötzlich mit Cord-Polor Kignčrs querverschaltet – ganz nebenbei erzählt sie vielleicht auch ein movens sadomasochistischer Dynamiken mit, die freilich in der Szene rituell gebondagt sind, nicht hingegen in meiner S z e n e, und zwar gerade da nicht, wo es behauptet wird. Auffällig, das mit „Szene“ und „Szene“. Inszenierung setzt bewußten Willen, setzt Absicht voraus. Als ich jedoch die nächtliche Prügelei in ARGO zu beschreiben anfing vor anderthalb Stunden, wußte ich noch gar nichts von ihr, da w a r keine Absicht. Ich stelle sie nachher auszugsweise auf die Hauptseite Der Dschungel und verlinke dann von hier aus nach da.
anh bald in ballonseide? *o je
als ich in polen war – ein jahr, in katowice, 94/95 – habe ich gelernt, den tee mit zitrone zu trinken. das wasser war so scheiße, ein kräftiger geschmack musste dazu (wenn man das wasser aus der wanne ließ, blieb ruß unten stehen; bergbau-katowice). seither trinke ich tee nur noch mit zitrone und hatte nie mehr eine erkältung. **hat alles auch vorteile
***federt an den schreibtisch
Wo kriegt man die – also Ballonseide? Ja, Zitronenscheiben gab es a u c h dazu (man konnte durch sie durchsehen wie durch die seit, glaub ich, einem Jahr ungeputzten Scheiben des Küchenfensters in der Kinderwohnung).
man sollte sie GAR NICHT kriegen (ballonseide) 😉 ja, ungeputzte scheiben sind auch ein mittel, die außenwelt zum schreiben auszusperren. ich kenne einen autor, der sich, um sein buch zu schreiben, ein büro mit blick auf den zürcher see mietete. da zog er aber resolut die jalousie runter, bevor er anfing.
Lacht. Da wär ich gar nicht erst hingezogen. Jede Maschinenhalle ist besser. Also wenn man nicht zu Frau Pilcher neigt.
Wußten Sie, daß Schiller immer einen faulen Apfel in der Schublade brauchte, wenn er schrieb? Und Ina Seidel einen Strumpf über der Heizung? Tutto nel mondo è burla.