Ganz bewußt g e g e n den Schmelz der spätesten Spätromantik von gestern gehalten (und, meine ich, ohne ideologisch zu werten, m i t ihr zu hören), empfehle ich ganz unbedingt diese sechs extrem kurzen Stück Anton Weberns aus den Jahren 1911/1913. Gustav Mahler war gerade gestorben und hatte, in e i n e r Hinsicht Wagners und Bruckners Weg weitergehend, den Orchesterapparat ungeheuer aufblähen lassen, was zu neuen Klängen führte, zu neuen Strukturen, ja wirklich auch zugleich zu
neuer Musik, die aber auch etwas von dem Gigantomanismus hatte, der die europäische Gründerzeit architektonisch insgesamt kennzeichnet und allerlei Häßlichkeiten in die Welt stellte, von denen der Berliner Dom nur ein Beispiel unter zahllosen ist. Zudem hatte auch das Groteske von der Kunst Bestz ergriffen. So gab es unter den jungen Komponisten ein Bedürfnis nach Ruhe, nach Reinheit. Man empfand zudem den tonalen Vorrat als derart verbraucht, ja geplündert, daß nach ganz anderen Formen gesucht wurde: Eine davon steht zu Anfang dessen, was wenige Jahre nachher die sogenannte Zwölfton- und nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs die Serielle Musik werden sollte.
>>>> Anton Webern, Sechs Bagatellen für Streichquartett op. 9.
Als ich diese Musik zum ersten Mal hörte, war ich ergriffen, begeistert. Mich scherte auch die Ideologie um „Negation“ und „Negativität“ nicht, die historisch aus der Erfahrung von Auschwitz und eben überhaupt der Kriegskatastrophe herrührt. Auf die stellt auf der Rückseite meines Schallplattencovers Heinz-Klaus Metzger noch völlig ab: „… eines Radikalismus (…), dem jeder überhaupt noch erklingende Ton eigentlich schon zu viel ist.“ Nein, dachte ich mit meinen kaum zwanzig (denn ich wollte ja leben!), es sei fast das Gegenteil: Hier habe einer die Geschichten in die kürzesten Tonfolgen gepreßt, so daß einem die dreiviertel Minute, die so eine Bagatelle etwa dauert, subjektiv zu einem ganzen Tag, wenn nicht zu mehr werden kann. Ich bitte Sie wirklich, konzentrieren Sie sich auf diese Musik wie auf sechs kleine Erzählungen. Schon, sie als ‚komponierte Lyrik’ zu hören, nähme ihnen ihre narrative gestische Kraft.
Mehr ist nicht zu sagen. Danke.
@Vielevoneiner. Ihr freundlicher Kommentar hat mich veranlaßt, diesen „MusikDesTages“-Eintrag in eine unterdessen passendere Rubrik zu verschieben. So bin ich Ihnen ebenfalls zu Dank verpflichtet.