Ich habe eine Ästhetik durchzufechten, die nicht gewollt wird. Deshalb sagt man mir gern, ich nähme mich zu wichtig. Dabei bin ich mir durchaus im klaren darüber, daß ich beileibe nicht der einzige bin, dem es so geht. Aber ich gehöre zu den wenigen, die sich nicht zurückziehen, sondern den Kampf auch öffentlich aufgenommen haben. Damit stehe ich in einer langen Tradition von Künstlern, denen ebenfalls nichts anderes übrigblieb, als „sich schrecklich wichtig“ zu nehmen. Es wäre sonst von ihrer Arbeit nämlich nichts mehr da, und die Museen wären halb leer und die Konzertsäle taub. Man denke an Breton, an Berlioz, an Heinrich von Kleist, an Gustav Mahler und van Gogh. Auch das verbotene Buch wäre dann nicht geschrieben, nicht der ANDERSWELT-Zyklus, nicht der WOLPERTNGER, nix. Diese Romane entstanden und erschienen nur, i n d e m ich „mich wichtig nahm“; das mußte ich tun, seit mir von ziemlich allem Anfang an klargemacht wurde: Wir wollen dich nicht. Hätte ich mich n i c h t „wichtig genommen“, ich wäre heute Angestellter in irgend einem Unternehmen und huddelte von meinem Job frustriert vor mich hin. Aber meine Arbeit ist kein Tütü, die man halt so macht, noch gar, wenn einem grad danach ist. Sie ist schon gar kein „Entertainment“. Man i s t vielmehr diese Arbeit, weil die ganze Person, die sie trägt, mit sich für sie einsteht und in sie eingeht. Da ist ja kein andrer, der das täte, da ist nur man selbst. In einer solchen Situation ist jeder Schlag ins Gesicht dieser Arbeit zugleich ein Schlag ins Gesicht der „Person ganz persönlich“. Ich will gewiß niemandem erklären, was intensiv sei und was verletzend und wie mißverstanden ich sei und mein Werk. Sondern ich schreibe darüber (unter vielem anderen), ich drücke es aus. Daß es einigen Leuten lieber wäre, ich schwiege und ließe der Welt, in Biermanns Worten, „ihren sozialistischen Gang“, ist schon klar. Das nicht zu tun, stört nämlich den bürgerlichen, kommoden Betrieb, stört die Korruption, stört das Schöntun, stört das hehre Menschenbild insgesamt, das man so allgemein vor sich herträgt. Abgesehen davon, wäre ich dann als Autor schon lange nicht mehr existent.
Zum Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit habe ich im letzten Jahr häufig publiziert; auch das hat vielen nicht gefallen. Ich werde die Konsequenzen tragen, selbstverständlich, auch wenn sie Ausgrenzung bedeuten. Aber ich werde mich nicht brechen lassen. Auch nicht, wenn ich dafür auf die Zuneigung von mir wichtigen Menschen verzichten muß. Und möge das noch so wehtun. Ich werde darüber schreiben, werde meine Traurigkeit zugeben, aber ich werde drum nicht verstummen. Denn hier wirkt kein privater, sondern ein künstlerischer Zusammenhang, und zwar schon deshalb, weil das „Material“ eines Dichters in allererster Linie einmal er selber ist; es bleibt ihm, will er nicht nur bloß-äußerlich beschreiben oder Betroffenheit ausdrücken, sondern verstehen und in die Sprache bekommen, gar nichts anderes übrig.
Als ich Die Dschungel begann, habe ich strikt alles Private herausgehalten, ja gegen die vielen privaten Weblogs polemisiert. Im Verlauf der Arbeit hat sich meine Perspektive verschoben, und ich bin jetzt fast auf der gegenüberliegenden Seite angelangt. Diese Bewegung ist zugleich von mir beobachtet und formuliert worden; Die Dschungel haben sie allezeit auch theoretisch begleitet. Eine solche Arbeit nehme ich nicht zurück, und zwar eben deshalb, w e i l ich mich nicht zu wichtig nehme. Ich trag ja ganz im Gegenteil nur bittre Konsequenzen davon. Ich nehme vielmehr meine A r b e i t wichtig. Das in der Tat. Und ein ‚z u’ wichtig gibt es da nicht. Die Dschungel und auch das Tagebuch sind ein Teil dieser Arbeit. Wenn sie privat und öffentlich nicht zu unterscheiden vermag, liegt es daran, daß es diesen so praktisch-funktionalen Unterschied in der Kunst nicht gibt. Der Beruf hebt ihn auf, oder man muß noch in den Texten heucheln. In anderen Berufen ist er allerdings wichtig und nötig, dagegen sage ich nichts.
Intensität. Feuer muss sein, um Rauch zu erzeugen.
Ich stimme zu, dass es der Intensität bedarf – auch und vor allem im E r l e b e n -, will mensch Kunst authentisch belassen.
Zu Privatem und Literatur habe ich jedoch einen vollkommen anderen Standpunkt. Es ist nämlich sehr wohl möglich, Erfahrungen, Erlebnisse und Dimensionen ins literarische Werk einzubringen, ohne dass man Intima Dritter preisgibt. Tatsächlich ist dies ungebrochen zu beherrschen, eine Form der Kunst und Ästhetik, welche Kreativität mehr fordert als das bloße Wiedergeben und Beschreiben. „Ulmenjahr“ bspw. muß nicht preisgeben, w e r die Erlebnisgrundlage in die Erfahrung einbrachte, da s s es geschah, ist wesentlich.
ich sehe das auch genau umgekehrt. nicht korrumpierbar oder nicht korrupt zu sein, heißt, k e i n e namen zu nennen. egal, was passiert. mit andern worten: haltung.
*steckt das verbotene buch für prag ein
@ TheSource: Das „bloße Wiedergeben und Beschreiben“ gibt es nicht, weil es immer jemanden geben muß, der wiedergibt und beschreibt. Ist dieser Jemand ein Künstler, so ist das Wiedergegebene & Beschriebene Literatur. Vgl. Über allen Gipfeln ist Ruh mit Über allen Bergen herrscht totale Stille.
Es war nicht von Intima Dritter der Rede. Wenngleich sich ein Text, der etwa Intimes behandelt, selbstverständlich auch auf Intima Dritter bezieht. Das geht gar nicht anders, sofern nicht Onanie der Gegenstand dieses Intimen ist. Wir berichten aus Erfahrungen, die wir machten. Dabei entstehen bisweilen auch – allerdings immer verfremdete – Portraits. Ihr dogmatisches „Tatsächlich ist dies ungebrochen zu beherrschen“ ist insofern problematisch, als es einen ganze Strang abendländischer Dichtung in den Orkus wirft: Montauk etwa, das Gesamtwerk Henry Millers, übrigens auch Nabokovs Spätwerk. Nabokov hat sehr deutlich einmal gesagt, er habe diese Fiktionsscheiße satt.
Interessant bei dieser Diskussion scheint mir aber vor allem zu sein, daß vor allem F r a u e n auf dem Privaten beharren, viel weniger dagegen Männer. Dies mag aus der jeweiligen Geschlechtersozialisation stammen. Insgesamt frage ich mich allerdings, was denn dieses vorgeblich Private (von dem ich viel eher glaube, daß es ein Allgemeines ist) derart heikel macht, daß man es verbergen muß.
@hweblog Das bloße Widergeben und Beschreiben gibt es schon – von mir hier zudem ganz spezifisch gemeint: Wenn mich die Begegnung mit A. in Venedig zu etwas inspiriert und eine Erfahrung mit dieser Person, ist es nicht zwingend notwendig, sie in einem Roman dann auch „Begegnung mit A in Venedig“ zu nennen – ich kann, ohne inhaltliche Minderung, durchaus eine Begegnung mit B in San Fran daraus machen oder eine mit C in Prag.
Zur Definition, was Kunst sei und was nicht: müßig.
„Wir kennen keine Kunst, wir machen alles so gut, wie wir es können. Sagen die auf Bali“. Denn dem Einen ist dann „Über allen Gipfeln herrscht Stille“ mehr „Kunst“ als dem Anderen, alles schon vorgekommen, vor allem in eben vermischter Form.
Eine Begegnung in Venedig. K a n n nicht eine Begegnung in San Francisko werden, weil man sonst die Würde des Ortes verletzt, der die Begegnung möglicherweise erst zustandekommen ließ. Es gibt auch eine Aura der Dinge, zu denen Städte z ä h l e n. Sehr wahrscheinlich gilt das auch für Personen-Umtände. Das verbotene Buch könnte nirgendwo anders spielen als in Berlin, in Polen und auf Sizilien. D a ß es dort spielt,ist aber Erfindung, insbesondere bei den beiden nichtdeutschen Ländern. Aber es war nötig, um das zu gestalten, dort hinzufahren und eine Zeit lang dort zu verbringen, ja dort direkt vor Ort zu schreiben. Die Kraft der Darstellung wäre anderenfalls eine mindere, ja k e i n e gewesen. Ich tendiere zur Auffassung, daß es jede Buche, die in einem Roman vorkommt, g e b e n oder gegeben h a b e n muß; es ist dann allerdings egal, in welchen Zusammenhang, auch räumlich, man sie umpflanzt – vorausgesetzt, der Ort selber – und nicht die einzelne Buche – ist nicht der Träger des seelischen Geschehens.
„Ist ein Roman so gebaut, daß wir am Ende der Lektüre nicht wissen müssen, wo er spielt, dann geht die Unbestimmtheit in Ordnung. Ist der Roman jedoch so angelegt, daß wir seine Spielorte gerne wissen möchten, und der Roman teilt sie uns auch mit, dann ist auch gegen diese Lösung nichts einzuwenden. […] Deswegen ist der Ort der Handlung eine doppelte Notwendigkeit und eine doppelte Illusion: Der Autor braucht den Ort, um seinen Text zu organisieren, der Leser sucht den Ort des Textes, um seine Unrast zu bannen.“
Wilhelm Genazino, Der gedehnte Blick
Den Morgenlandfahrer anlächelnd. Ob das „vielleicht“ vielleicht schon realisiert ist, können Sie ja leicht überprüfen. Es sind ja nicht wenige Bücher greifbar. Jedenfalls ist es mir – dies zu parallalie – nicht immer nur ein Bedürfnis, sondern eine Notwendigkeit gewesen, die erzählten Orte zu kennen. Nur das erlaubte mir, freilich in gänzlich anderen ‚Konfigurationen‘, derart konkret zu werden, wie die Beschreibungen in meinen Büchern dann dastehen. Mit einer einzigen Ausnahme, aber das ist von Borges legitimiert, der über den Ort schrieb, es gebe ihn gar nicht, er sei rein imaginär. (Tatsächlich g i b t es ihn; aber ich spüre: Borges hatte recht.)
ja wissen sie thesource, das können sie ja auch nicht machen. als frau hier so mitreden und eine kontroverse meinung vertreten. was bilden sie sich da eigentlich ein. wenigstens der logbetreiber weiss mit wem er es hier zu tun hat. wir sollten nicht den höheren sphären folgen. das verstehen wir frauen sowieso nicht ;o)
@ anobella. Wer sprach davon, Namen zu nennen? Das stand und steht nirgendwo in meinem Text- W e n n – etwa in Den Dschungeln – Namen g e n a n n t werden, so handelt es sich entweder um Abgesprochenes oder aber um eine Kampfhandlung, die meist auf ein korruptes oder hämisches Verfahren reagiert, also um eine Polemik im Öffentlichen Raum.
Im übrigen bedeutet Korruptsein, daß man wider eigenes Gewissen etwas tut, weil man sich einen Vorteil davon verspricht. „Namen zu nennen“ ist in diesem Zusammenhang, vor allem einem poetischen, gar nicht anwendbar. Davon habe ich in dem Beitrag, auf den sich Ihr Kommentar bezieht, auch nicht gesprochen. „Privates“ meint mitnichten unbedingt Namen, sondern Inhalte.
Zu Abs. 1: Eine Begegnung mit A muß nicht zu einer einer Begegnung mit A werden. Aber was wäre geworden, hätte Thomas Mann seine Urlaubsbegegnung mit dem polnischen Knaben von Venedig nach Florenz verlegt? Was wäre aus dem Ulysses oder Berlin Alexanderplatz geworden, hätten Joyce und Döblin sich selbst zensieren und für eine andere Stadt entscheiden müssen?
Zu Abs. 2: Heute ist es die allerhöchste Mode, Über allen Gipfern herrscht Stille kunstvoller zu finden als Goethes Vers. Isses aber nich. Und warum nicht? Das ist ein Geheimnis den meisten … und wird ihnen ewig eines bleiben.
Eine Begegnung in Venedig. K a n n nicht eine Begegnung in San Francisko werden, weil man sonst die Würde des Ortes verletzt, der die Begegnung möglicherweise erst zustandekommen ließ. Es gibt auch eine Aura der Dinge, zu denen Städte z ä h l e n. Sehr wahrscheinlich gilt das auch für Personen-Umtände. Das verbotene Buch könnte nirgendwo anders spielen als in Berlin, in Polen und auf Sizilien. D a ß es dort spielt,ist aber Erfindung, insbesondere bei den beiden nichtdeutschen Ländern. Aber es war nötig, um das zu gestalten, dort hinzufahren und eine Zeit lang dort zu verbringen, ja dort direkt vor Ort zu schreiben. Die Kraft der Darstellung wäre anderenfalls eine mindere, ja k e i n e gewesen. Ich tendiere zur Auffassung, daß es jede Buche, die in einem Roman vorkommt, g e b e n oder gegeben h a b e n muß; es ist dann allerdings egal, in welchen Zusammenhang, auch räumlich, man sie umpflanzt – vorausgesetzt, der Ort selber – und nicht die einzelne Buche – ist nicht der Träger des seelischen Geschehens.
Es ist schon richtig sich selber wichtig zu nehmen, denn sonst, wie Sie meiner Ansicht nach richtig formulierten, kann nicht das entstehen was aus einem selber heraus kommt. Das Problem beginnt nur dann, wenn auch noch daraus der Wunsch nach Anerkennung der eigenen Leistung erwächst oder in dem Schaffen immanent ist. Hier stürzt der Wunsch in sich zusammen, denn diese beiden Wünsche stehen leider allzuoft konträr zueinander und wir werden dadurch oft nur wieder zum Kinde. Lernen wir dies und versuchen uns immer wieder zu diesem „kindlichem“ Streben nach der Anerkennung eine Grenze zu setzen, kann so etwas dauerhaftes und wahrhaftiges entstehen wie die Werke der von ihnen beschriebenen Künstlern und vielleicht auch Ihr eigenes. Zu wünschen wäre es Ihnen.
@hweblog. Süss. Aber mit Unterstellungen wem was verborgen bleibt ist das Thema nicht getan. Man kann zu Allem und Jedem eine konträre These aufstellen und behaupten. M i r ging es jedoch um das T h e m a. Und dies war n i c h t:
Erfahrungen in Venetien, sondern: Privates aus dem Leben Dritter, das (mehr oder weniger automatisch) in ein schriftstellerisches Werk einfließt. Und: Wie man es in eben dieses integrieren kann, ohne zwingend die Identität der betreffenden Person(en) öffentlich zu machen. Und eben d a s ist sehr wohl möglich – weil es in dem Falle um den Inhalt geht und der Ort in diesem Zusammenhang zweitrangig ist.
[Unsachlichkeit mit Postulaten, welche dieAuffassungsgabe des Gegenüber in Überhebung herabsetzt, ist generell nicht nur kontraproduktiv sondern vor allem schwach]