Verdi, La forza del destino. Staatsoper unter den Linden Berlin.

>>>> Man kann über Aufführungen wie diese sagen, was man mag, eines zeichnet sich ab: Die Oper wird wieder politisch. Und das ist gut so. Nun also, nach dem Don Carlo, wiederum Verdi an der Lindenoper, und zwar die ihrer librettösen Problematiken wegen eher verpönte „Macht des Schicksals“ und dies – superb. Dabei will ich nicht verschweigen, daß Stefan Herheims Inszenierung mich streckenweise mit mir selbst polarisierte – etwa wenn er 8- bis 10jährige Kinder sich bis aufs Höschen ausziehen und vorm Publikum posieren läßt: auf die Körperchen sind Buchstaben gemalt, die das Wort „Kriegskunst“ ergeben. Herheim wird wissen, daß D’Annnunzio so etwas mit seinen Soldaten, da allerdings auf den Hemdrücken, in Fiume exerzierte. Oder wenn der den Schicksalsweg dieser Oper auslösende Sündenfall partout ein sexueller Mißbrauch sein muß – verübt vom Vater und Priester zugleich an der als Zwillingsschwester Leonoras hergemachten Curra, symbolisch gelesen also an der Tochter selbst. Und bisweilen sind die Einfälle, die Herheim allerdings nur so aus dem Ärmel schüttelt, bloße Gags. Aber diese Inszenierung verträgt das. Verträgt auch das viele Plüschtierzeug, das mittlerweile aus einigen anderen Regiearbeiten bekannt ist. Denn es wird – dies alles mal als Mätzchen beiseite – auf teils atemberaubende Weise mit dem Publikum gespielt: denn dieses ist gemeint. Nicht nur, daß ein Opern-Bild direkt vor der Staatsoper spielt, sie sich selbst als Bühnenbild und uns, die Zuschauer, als Chorkomparsen inszeniert. Sondern schon die Lichtregie bezieht uns ständig mit ein – auch wenn wegen einer technischen Panne anfangs nicht ganz klar war, ob das so nun gewollt war oder nicht. Und Herheim kennt da gar nichts: aus einer heiteren, auf den Text abgehört höchst zynischen Musik wird plötzlich Menschenfresserei; und wieder sind w i r es, die fressen, die sich vergessen, die mordlüstern und erynniesch sind.
Michael Gielen dirigiert das alles kühl, fast wie einen dieser Ligeti-Sätze, die „molto preciso e meccanico“ überschrieben sind. Und er tut gut daran. Gerade Verdis Begeisterungsmusiken s i n d ja auch furchtbar. Deshalb wäre tatsächlich nichts verfehlter, als sie und ihre Sujet feurig zu beseelen. Alles ist nämlich falscher Boden hier, überall lauert Unheil, das macht Gielens Stabführung klar. Überall „Evviva la guerra!“ Wie das dann in die „heilige“ Musik der Mönche transponiert, wie der religiöse Ritus zur Kehrseite eines kriegerischen wird, ist musikalisch großartig gemeistert. Aber schon, daß diese Inszenierung auf die Ouvertüre verzichtet, weist in die gemeinte, kritische Richtung. „Das ist doch so schöne Musik“, klagte mein Nachbar, „warum lassen sie die denn weg? So steht die erste, schrecklich theatralische Szene doch ganz frei…“ Ich brauchte ein wenig, um drauf zu kommen. Was Herheim und Gielen hier vorführen, will auch nicht mehr den Vorschein von Ganzheitlichkeit erwecken, weil diese nämlich künstlerisch eine ebensolche Erlösung wäre wie eine und sei es bloß durch die Ouvertüre erklärte Sinngebung. Wie in die so oft im verdischen Tanzschritt aufgeräumte, bei Gielen aber eben metronom schreckensbereite Musik immer wieder das Schicksalsmotiv hereinbricht, wie unvermutet, könnte man sagen, das sind hochgradig intensive Opern- weil Wirklichkeitsmomente: Es gibt keinen Sinn, also findet euch ab. Auch übrigens dann nicht, wenn man – wie Herheim nahelegt – einen ersten Sinnbruch im Patriarchat diagnostiziert. Schon das imgrunde ist wohlfeil und geht dem Schicksal auf den Leim. Doch lauschten wir großem Gesang. Und hinterher sehr vielen Buhs. Das i s t so bei politischem Theater, das in die Tempel der Gründerzeitler einbricht. Gegen die spielt die Oper, wie man so hört, ganz in Verdis kritischem Sinn: gegen die alten Gründer d a m a l s. Gegen die neuen heute. Denn jene ließen schon und diese w i e d e r den Krieg besingen. Und wir alle tanzen und fressen da mit. Und haben, ohne es zu sehen, längst ganz blutige Hände.

>>>> Weitere Aufführungen des Stück h i e r.

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