4.48 Uhr:
[Eine schöne, mir unbekannte spätromantische Musik im Dänen-NetzRadio, das über Nacht, weil der Computer online geblieben war, weiterlief und mich nun eben überrascht, als ich die Kopfhörer in die Ohren stöpsele. Großes Orchester und Holzbläser: celtic sound, dunkel, getragen, dazwischen eine Morgenröte in Blaugrün.]
Komischer Traum. Katanga liegt im Krankenhaus und ruft mich an, um mit mitzuteilen, daß die Eheschließung ***’s mit XYZ (völlig vergessen jetzt, wer es war) bereits in der Montagszeitung stehe. Und obwohl ich weiß, daß die beiden längst wieer getrennt sind, fangeich auf offener Straße, das Handy am Ohr, in crescendierenden Stößen zu weinen an. In dem Moment fiept der Wecker. S c h o n ein Ding… Jetzt hingegen, kurz vor ARGO, läßt mich das fast unberührt. [Wechsel des Satzes dieser Sinfonie: Deutlich:: Schostakovitsch; seine typische Rhythmik mit dem zunehmend aufgedrehten Tempo, bis das Ganze etwas Fratzig-Spottendes bekommt; darin die nasalen, sozusagen durchgedrehten FagottKlekse.]
Gestern abend bereits kurz nach halb elf ins Bett. Ich konnte einfach nichts mehr tippen, hatte jedenfalls bei der Bearbeitung der nächsten Tranche des DSCHUNGELBUCHs nicht mehr so die Übersicht. Was am Wein lag. Den ich offenbar schon nicht mehr gewöhnt bin. Aber ich hatte mir gedacht: Ab übermorgen (heute ab morgen) willst du ja zwei Monate lang keinen Alkohol mehr trinken, also nimm mal von ihm Abschied mit einer Flasche Wein. Na, und dann war ich halt nach bereits einer halben geistig bewegungsunfähig und mußte schlafen gehen. Sò, 4.59 Uhr: ARGO.
Ach, eines noch, weil es wirklich wundersam ist (‚wunderbar‚ hätte,wiewohl das eigentlich richtige Wort, einen falschen Beiklang): Alexandra, der ich >>>> das Catania-Stück gewidmet habe, hat sich wieder gemeldet, möchte mich sehen, wenn auch, schreibt sie, ’nicht den Mann, sondern die Seele‘ – woraufhin ich es mir, logisch, nicht verkneifen konnte – [richtig! Schostakovitsch war’s, sagt die Dänin in ihrer ulkigen Sprache gerade, 10. Sinfonie unter Haitink] – also ich konnte mir nicht verkneifen zu schreiben: „Ich bin aber Mann.“ Sie daraufhin: „Aber eine Seele hast Du doch?“ Ich freu mich auf das Wiedersehen. Sie sei in der Zwischenzeit in Catania g e w e s e n; es „war ganz anders, Herz. Dein Sizilien war tiefer und schöner.“ – Unmittelbar eine ganz ferne Nähe.
7.30 Uhr:
Für einen Toilettengang.. ähm, eine Sitzung ARGO unterbrochen und einen sehr schönen Aufsatz Gert Loschütz’ zu lesen begonnen, über Heimat und einen anderen Begriff von Heimatliteratur… sehr schlüssig und zugleich sehr warm geschrieben, sehr nahe… und mir fällt auf, daß ich Heimat nicht kenne, auch nicht als eine verlorene (was, Loschütz’ plausiblem Gedankengang zufolge, die Voraussetzung für eine Literatur ist, die der Heimat überhaupt nahzukommen vermag)… daß es da in meiner Vergangenheit nichts gibt, mit dem ich irdisch-geographisch verwachsen gewesen wäre oder nur wenig, kaum etwas, alles war immer phantastischer, niemals konkreter Raum (das Franzsche Feld im Braunschweig meiner Kinderjahre war ja nicht d a s, sondern war bereits Die Dschungel): alles war bei mir immer Erfindung, stets eine Projektion meiner inneren Phantastik nach außen; ich glaube, ich habe niemals nur-konkret auf einem Stück Erde gestanden. Wenn ich nun Loschütz lese, die N ä h e lese, auch wenn es – wohl notwendigerweise – immer eine verlorene ist, dann wird mir seltsam fern ums Herz. Ich stelle, fällt mir gerade ein, in meinen Erzählungen das erst h e r, was andere Autoren, Schriftsteller Dichter, in ihren Arbeiten als ein Gewesenes wiederbeschwören. Bei mir w a r nie etwas gewesen, alles w i r d immer erst – und vielleicht, um es dann a u c h zu verlieren. Das ist der Blick, den ich jetzt auf ARGO werfe, momentlang begleitet von der konkreten, ‚einfachen’ Sehnsucht des loschütz’schen Gedankens.
11.33 Uhr:
Also das h a t schon was Absurdes… wirklich, Sie müssen sich das vorstellen, wie ich hier zwischen Schreibtisch und den ziemlich schweren Hanteln am Boden v o r dem Schreibtisch hin- und herwusche, mich trainiere, diese Eisen stemme und ächzend irgendwelches Gerät auseinanderziehe und dann, wenn sich der Muskeltonus beruhigen muß und damit keine Sehne reißt, damit vor allem aber auch der Geist gegenwärtig bleibt, mich wieder an den Schreibtisch setze, ein zweites Positionspapier für Die Dschungel entwerfe, eine Diskussion i n Den Dschungeln weiterformuliere, die ARGO-Morgenarbeit durchschaue, dann wieder zu den Hanteln gehe, dabei Wasser für das Frühstücksei aufsetze, weil ich noch gar nichts im Magen habe… und es kommt eine Email, die beantwortet werden muß, und ein nächster ARGO-Einfall ist da, der niedergetippt wird, und dann wartet da auch noch der Expander für die SchlußExerzitie… und wenn ich gefrühstückt haben werde, leg ich mich meine Mittagsstunde schlafen… ich hab nicht die geringste Ahnung, wieso es Leute gibt, die, weil sie sich langweilen, etwas zur Unterhaltung brauchen. Insofern ist mir die gesamte Unterhaltungsindustrie imgrunde ein Rätsel. Ah ja, Musik gehört hab ich in der Arbeitswohnung heute noch nicht.
17.23 Uhr:
Mit dem Jungen in „Die Reise der Pinguine“ gewesen. Eine befreundete Leserin hat 100 Euro geschickt, im Briefumschlag, so konnte ich mit dem Jungen ins Kino. Ein schöner, sehr poetischer Film, gerade weil er über Härten nicht hinwegmenschelt. Etwas störend ist allerdings die gräßlich flache Filmmusik (mit Ausnahme eines Liebesliedes und einmal dem Einsatz eines Cellos; da war man an der Szene und der Wirklichkeit d r a n).Und als wir dann wieder hinauskommen aus all dem Eis und der Kälte und der solangen antarktischen Nacht und es goldener Oktoberherbst in Berlin ist, da hab ich momentlang das Gefühl, es werde Frühling…. und eine große Erleichterung setzt sich in mir hin und schließt für zehn Sekunden beruhigt die Augen.
Jetzt kurz in der Arbeitswohnung, die Sachen zusammensuchen, die Wohnung wechseln. Der Junge ist bereits drüben bei Felix, Jonathan und Katanga. Dessen Junge wird erst gegen halb acht zum Abendbrot daheimsein.
19.38 Uhr:
[Nielsen, 6.Sinfonie im DänenInternetRadio.]
Während ich die Pilzpfanne schmoren lasse, kommt der fünfeinhalbjährige Bengel in die Küche und sagt: „Papa, ich hab jetzt ein bißchen Gehirnstimmung.“ „Gehirnstimung? Jesses, was i s t das?“ „Na wenn einer nicht mehr weiß, wer er ist.“
Da ist man dann s c h o n baff.
22.09 Uhr:
[Bach, Wohltemperiertes Klavier. Im >>>> DänenInternetRadio.]
Es ist schon frappierend, wie /?p=11975#comments“ target=_blank“ onmouseover=“status=’Keine Liebe nämlich ohne den Ausschluß einer anderen, die an ihrer Stelle sein könnte.‘;return true;“>>>>> ausgerechnet ich nun als faschistoid bezeichnet werde, typischerweise von jemandem, der vollabsichtlich pseudonym bleiben will und sich auch so nennt. Es geht offenbar immer um den n ä c h s t l i e g e n d e n Gedanken, wenn einem etwas nicht paßt oder eine Aussage – etwa über die Schönheit eines Kindes, die auch aus dem Erbgut rührt – politisch nicht korrekt zu sein scheint. Dabei wird selbstverständlich nicht geschaut, aus welchem Zusammenhang ist ein Satz gesagt und geschrieben und was gibt es von dem Schreiber n o c h: nein, die ganzen, seit bald drei Jahrzehnten geführten literarischen Auseinandersetzungen mit der deutschen Geschichte werden n i c h t angesehen, sondern kurzgriffig wird das intellektuell Banalste geäußert, das sich auf eine unliebsame Bemerkung nur finden läßt.
Nichts deshalb gegen die oft nötige Anonymität im Netz, ich bin darauf bereits mehrfach eingegangen; wenn aber persönlich attackiert und gar mit ungeheuerlichen Unterstellungen wie dieser gehandelt wird, dann doch bitte Farbe, Name und Gesicht bekennen. Ansonsten muß davon ausgegangen werden, daß bekannte Gegner aus dem Literaturbetrieb sich anonym schadlos halten wollen und deshalb einmal mehr, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, den Machtmißbrauch zur Maxime ihres Handelns machen.
23.58 Uhr:
Zur Gutenacht noch eben, liebe Leser: Was mich momentan ziemlich nervt, sind diese ständigen Vorwürfe wegen meines Narzissmus’. Gut, es mag sein, daß er ausgeprägt ist; freilich bin ich psychoanalytisch versiert genug, um zu wissen, so etwas kommt meist über eine frühe Störung oder doch Kränkung zustande. Okay, das ist Feld-, Wald- und WiesenPsychologismus. Nur: Ist es nicht eigentlich eine Frage, was aus einer solchen Disposition entwickelt wird und dann entsteht (und sich, im Falle von Kunst, von ihrem Anlaß eines Tages auch l ö s t)? Die Geschichte ist voller Narziss(t)en, die Künstler wurden, weil möglicherweise etwas auszugleichen war. Vielleicht sollte man den Narzissmus als Ursache der schönen Künste ebenso zu achten lernen wie jedes andere movens, das zu großen Ergebnissen führt. Nur mal so als freundliche und auch selbstironisch gemeinte Ermahnung zur Nacht. Und für James Joyce und Richard Wagner, Andy Warhol, Karlheinz Stockhausen und Glenn Gould, für Pablo Picasso und Dalí, für Vostell. Für. Für.
Der Heldentod Lieber Alban…
Du hast Dich in der Dir eigenen Perfektion und Ziseliertheit entschieden das zu tun, was Du eben tust: Dein Leben hier auszubreiten, mit allen Konsequenzen und Nebenwirkungen.
Das Vorwurfsvolle in Deinen Repliken auf die notwenigerweise folgenden Angriffe steht Dir nicht. Die Angriffe gehören dazu. Sie vervollständigen das Bild und gäbe es sie nicht, würde ich mich an Deiner Stelle fragen,: „Was habe ich falsch gemacht?“
Heldentod ist Heldentod!
Und, nein, bitte unterstelle mir keinen Zynismus!
So ist das Leben und so sind die Leut….
Grüße!
Apollonia
Stimmt. A u c h wieder.