8.04, Nachträge:
[Mozart, Don Giovanni. Furtwängler 1954.]
Wieder erst spät hoch; ich muß das Lotterleben mal wieder in den Griff bekommen. Sowieso, schon des Jungen wegen, der ab heute nachmittag wieder bei mir sein wird. Dennoch wird es mit der Arbeit noch etwas durcheinander gehen, weil gestern ein Schnellauftrag von, hä!, ‚einer großen deutschen Zeitung’ einging, der mich jetzt drei historische Aufnahmen durchhören läßt, um über eine von ihnen bis morgen etwas geschrieben zu haben. Das wird mich den Tag über beschäftigen und nicht so intensiv an ARGO lassen, wie es eigentlich erfordert wäre. Dennoch will ich den Dritten ARGO-Teil bis Mitte Dezember durchgearbeitet und als Erste Fassung vorliegen haben, um mich dann langsam an den Vierten Teil „Nebelkammer“ zu begeben, der den Roman und zugleich die Trilogie eigentlich abschließen soll…von dem Nachfließen des Fünften, einer Spachfantasie und Ausfahrt auf Thetis, einmal abgesehen. Sie soll nur noch rhapsodisch und vor allem rein im Hexameter geschrieben sein. Der Hexameter als Abschied.
Abschied, ja. Gestern die letzte Stunde meiner nunmehr dreijährigen Psychoanalyse. Daß eine Analyse zuendegehe, läßt sich ja eigentlich nicht sagen – und diese schon gar nicht, weil an Wichtigstes nie gerührt worden ist, denn es konnte nicht geöffnet werden: Was lag vor meinem fünften Lebensjahr? Ich habe daran so gut wie keine Erinnerungen, sie sind ebenso verdrängt, wie es der Vater für mich war. Insofern bin ich mir nicht sicher, was mir die Analyse unterm Strich ‚gebracht’ hat. Ein paar Erkenntnisse allerdings:
1) Die Trennung meiner Eltern scheint eine mich schwer traumatisierende Katastrophe gewesen zu sein. Ich wußte das nicht. Mein für uns Kinder verschwundener Vater spielte während der ganzen Kindheit und Jugendzeit keine (bewußte) Rolle, auch nicht als abwesende Instanz. In meiner eigenen Trennung scheine ich diese alte Katastrophe zu aktualisieren, ich erlebe sie also noch einmal und auch, daß sich diese Trennung nicht aushalten – aber eben auch nicht mehr verdrängen läßt, will ich nicht auch meinen Jungen verdrängen. D e s h a l b meine Wutausbrüche: „Wer sich, der Kleinkinder hat, trennt, der begeht ein Verbrechen an seinen Kindern.“ – Also diese Seite ist mir klar, wie aber bekomme ich das in mein Herz?
2) Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß ich ein ungewolltes Kind gewesen bin. Darauf reagierte ich als Kind mit verstärktem Buhlen um Anerkennung, was psychodynamisch erst recht zur Ablehnung führt. Es ist, um es banal auszudrücken, lästig. Die Dynamik setzte sich ungebrochen bis ins Erwachsenenleben über den Kindergarten, die Grundschule, das Gymnasium und schließlich den Literaturbetrieb fort: Anerkennung wollen und brauchen und sie nicht zu erhalten; und je intensiver der Kampf um sie wird, desto entschiedener wird die Ablehnung.
So traurig das ist, liegt hierin eine allerdings sehr produktive Dynamik: Letztlich verdankt sich mein Werk diesem Umstand; ich hätte wahrscheinlich gerade die Riesenromane nicht fertigbekommen, hätte da nicht in mir diese wütende, beharrende Energie gewirkt. Darum sollte ich zwar nicht gerade meinen Frieden mit dieser Ambivalenz machen, aber ihr doch auch wieder dankbar sein – und Selbstbewußtsein daraus gewinnen, anstelle daßich sie suizidal in mir wirken lasse. Mit Stolz nicht gemocht werden: Das wäre eine auch meinem dichterischen Werk adäquate Haltung, in der es sich schon leben ließe, zumal ich ja nicht eigentlich einsam bin, wirklich nicht, trotz meiner verlorenen und zurückgesehnten großen Liebe: ich habe einen wundervollen Sohn, ich habe enge Freunde, und mich mögen trotz (oder wegen?) meines vorgeblichen Machismo’ die Frauen:: Also bin ich, im Gegensatz zu vielen andere Menschen schon gar meines Alters, ausgesprochen privilegiert. Und ich habe Ideen und Kraft für wenigstens fünf weitere Bücher, von den essayistischen und radiophonen Arbeiten gar nicht erst zu sprechen. Jedenfalls kommt es insofern auf meine ökonomische Existenznot nun wirklich nicht so arg an.
Ein paar VerhaltensFehlleistungen hab ich, glaub ich, in den Griff bekommen, etwa meine in ihrem Ausmaß (nicht ihren Gründen) irrationalen Wutanfälle und einige Ängste in Bezug auf Gruppen, für die in meiner InnenIdeologie zum Beispiel der Pop steht. Das ist aber längst nicht abgeschlossen.
Faden verloren. Also ARGO.
… ah noch eins:
3) Mein bereits in einigen poetischen Texten geäußerter Verdacht bestätigte sich, daß meine dominanten erotischen Spiele gewissermaßen Rituale sind, die meine gefühlskalte und zugleich enorm dominante Mutter symbolisch in einem perpetuierten Nachhinein unterwerfen. So lange diese Frau einen und sei es indirekten Einfluß auf mich und meine Umgebung (etwa meinen Sohn) nehmen kann, wird sich die symbolische Unterwerfung wiederholen… möglicherweise ist dieser Verarbeitungsmodus ohnedies schon chronifiziert und hat sich von seinem Anlaß als eigenständige Verhaltens- und Erlebensweise gelöst, die das ursprüngliche Leiden in Lust pervertiert. Ob das aufhören kann, wird sich zeigen, wenn meine Mutter gestorben sein wird: Ist dann Trennung möglich oder ist sie ohnedies im erotischen Leben längst erfolgt und die Verfallenheit bloß als die Spur erhalten, die sich durch die D/s-Szenarien zieht?
Ebenfalls deutlich wird, daß es sich bei den SM-Spielen nicht um Frauenhaß oder Frauenverachtung, sondern eben um den symbolischen Kampf mit derMutter handelt, die schon aufgrund des Inzesttabus nicht geschlechtlich – also nicht als Frau! – erfahren wird. Anderes ginge schon deswegen nicht, weil die kindliche Fantasie E i n h e i t imaginieren will, ‚F r a u’ aber – für einen Mann – Differenz bedeutet. >>>> Aus diesem Grund gilt eben auch: “Fremdheit macht Erektion”; Vertrautheit schafft sie nämlich gerade n i c h t. Das Geschlechtliche findet sich allein auf der Seite der Frauen und eben n i c h t der Mutter (auch nicht der symbolischen), also bei fremden Personen, die zudem keine InnenRepräsentantinnen sind. Sie werden aber in einem erotischen Spiel für Repräsentantinnen genommen; submissive Frauen w o l l e n diese oder eine ähnliche Rolle auch: die je verschiedenen Traumata legen sich in ihrer so lüsternen wie lustvollen Bearbeitung übereinander.
11.34 Uhr:
Na klasse! Jetzt hat mir http://web.de auch noch den Zugang zu meinen Emails gesperrt, weil ich die Clubgebühr nicht bezahlt habe. Toll daran ist, daß nicht-Club-Miglieder den email-account umsonst haben, Club-Mitglieder aber dann nicht mehr. Man kann also nur davon abraten, http://web.de-Club-Mitglied zu werden; denn wenn einer wie ich in Zahlungsschwierigkeiten gerät, nimmt ihm http://web.de eine Grundlage seiner Arbeitsbeziehungen, um die Bezahlung der Clubgebühr zu erzwingen. – Hab den Betrag von etwa 35 Euro schnell überwiesen, damit ich wenigstens meiner Musikkritik-Arbeit heute nachgehen kann. Meine ClubMitgliedschaft bei http://web.de werd ich dann aber umgehend kündigen.