4.55 Uhr:
Gestern nacht, als ich Ridley Scotts „Königreich der Himmel“ auf DVD sah und mich dabei langsam betrank, kam mir – die Kreuzzügler lagerten, ein unabsehbares Heer, an der Stretta di Messina – der Gedanke: „Welch ein Aufwand von Gehirn, wieviele Tausende Gehirn – um ein Prinzip durchzusetzen!“ Was nicht das christliche der Weltherrschaft meinte, das sollte sich ja ‚nur’ messen – sondern gemeint war, welch Raffinesse Natur aufbietet, und welche Verschwendung, um eine Art durchzusetzen, um zu schauen, ob sie durchsetzungsfähig sei. Alles, alles probiert sie aus, läßt sie meucheln, zerstückeln, jedes Opfer Haydn ist recht, jedes Opfer Benjamin Warhol, nur um zu sehen, ob etwas bleibt. Bleibt etwas, hat die Art sich behauptet. Es braucht ihre wimmelnde Fülle dazu, auch die wimmelnde Fülle Genie. (Insofern ist es völlig falsch, ist viel zu anthropomorph gedacht, von ‚einfachen’ Soldaten als von Kanonenfutter zu sprechen; im Gegenteil, der ‚einfache’ wird genau so wie der ‚geniale’ Mensch in Scotts Fall vor die Schwerter – oder die Aliens – geworfen; daß da kein Unterschied gemacht wird, ist gerade das Machtvolle und zugleich Schauderhafte daran: diese, ich wiederhole das Bild an der Meerenge, wahnsinnige F ü l l e.)
Morgenkaffee, im Kinderzimmer wartet der schweigende Baum. Die Schönhauser gleißt von Nässe, es ist warm, auch bei zum Schlafen geöffnetem Fenster. Das ich jetzt schloß, um mich in die Küche zu setzen und an ARGO zu gehen. Links vor mir steht der Wok angefüllt mit fadenversehenem Süßwerk, das nachher in den Baum kommen wird, steht außerdem die Schale mit den ebenfalls fadenversehenen Äpfeln. Es ist ganz still, nur daß der Kühlschrank summt – und die Etagenheißung noch hält ein Selbstgespräch wie im Traum mit einem entfernten Plätschern von Wasser, das dem Ticken einer von Unwucht gestoßenen Uhr gleicht.
9.30 Uhr:
Abends:
Es war, als sie dann ging nachts gegen eins, fast so, wie ich befürchtet, nein: gewußt hatte. Die Traurigkeit kam. Sohn und Papa standen noch am Erkerfenster und winkten, sie winkte von der nassen Straße herauf zurück, dann bestieg sie ihr Rad und fuhr. Ich hätte gerne geweint, ich hätte es sogar gekonnt, aber diesmal ging es nicht wegen des Kindes.