Donnerstag, den 12. Jänner 2006. INNSBRUCK. Vor Bamberg.


7.48 Uhr:
Hinauf geht’s zum Hafelkar. Mit dem Bergehasser und – nur deshalb wollte sie, unbedingt, mit; gestern nacht: Renate Giacomuzzi.

Und um 12.44 Uhr fährt der Zug (….wird er fahren, um grammatisch, wird er voraussichtlich fahren, um auch aussagelogisch korrekt zu sein).

8.26 Uhr:
Als ich zu Giacomuzzzis hinaufgestiegen bin und geklingelt habe, empfaengt Reanete G. mich mit den Worten: „Das ist nicht wahr, oder?“ – Nun erwarten wir – ein Kaffee sitzt auf – den Bergehasser… ahhhhhhh: Es schellt.

Vormittags:

Der Berghasser…

…b e s c h i m p f e n d…

Und du bist wieder zurückgekehrt. Nach Innsbruck. Die Grauenhaftigkeit der Berge, die alles umstellenden Steinmauern, die sich krümmenden Stämme und Äste der Bäume des Hochwalds, das gebleichte Kalkgitter, das ständig am Blau des Himmels nagende oder im Grau einer Bewölkung wühlende Felszackengebiß hat dich nicht losgelassen und also zurückgeholt, obwohl du alles dort verabscheust; das Verweilen in dieser Stadt immer schon einen Haß in dir ausgelöst hat. In Innsbruck zu leben bedeutet in der Finsterheit der Berge zu leben, bedeutet, sich mit seinem Geist an den immer während feuchten und eine Nässe vertropfenden Felswänden, zerfurchten Gebirgssteinmauern, im Gerinne einer Geröllhalde wie etwa der Arzler Scharte festzukrallen, und bedeutet gleichsam eine permanente Peinigung des Geistes infolge der Einengung, einer Begrenzung des Blicks. Und das Hinaufsteigen und Erklimmen eines der Gipfel der Nordkette, zum Beispiel jenes des Bettelwurfs oder den der Rumerspitze, bedeutet einen unbeschreiblichen Kraftaufwand, dessen Aufbringen dir, dem Konrad, dachte ich, dem Greiner – der von Kindesbeinen an mit einer eher schwächlichen Natur ausgestattet – stets eine Unmöglichkeit gewesen war. Aber dennoch, hinaufgeschleppt haben dich deine Eltern, dachte ich. Hineingestoßen eines Morgens in die Hungerburgbahn. Und auf der Hungerburg in die Gondel der Nordkettendrahtseilbahn. Und in dieser dann hoch zur Seegrube. Und umsteigen dort. Und weiter bis zur Bergstation des Hafelkars, um dich – nach kurzem Verweilen auf den Steinen unter dem Gipfelkreuz des Hafelkars – den Grat entlang, hinüber zur Pfeishütte, und weiter zum Lafatscher-Joch zu schleifen, und zur Bettelwurfhütte. In selbiger wurde die Nacht verbracht. Ein so genannten Massenlager unter dem Dach; die Leibesausdünstungen der schlafenden Menschen waren für dich kaum auszuhalten gewesen, wie auch die ununterbrochenen Gaumensegelvibrationen in den Bergfexenmundhöhlen. (…) Ich habe alle jene Berge, die ich in meinem Leben zu besteigen vorhatte, dann bestiegen gehabt, dachte ich auf dem Hocker.
Heinz D. Heisl, VOM GEFÜHL eine Grobheit, Roman.

…was er haßt:


Der aber mag’s.

12.46 Uhr. Im IC nach München.
Wegen eines Streiks der Italienischen Staatsbahn wird ein eigner Zug eingesetzt, damit weder die österreichischen noch deutschen Bahnen betroffen werden. Ich fahre zwischen den Bergen aus den Bergen hinaus und formuliere und speise Bilder ein, bereite dies alles darauf vor, in Bamberg eingestellt zu werden. Möglicherweise genügt auch mein neuer Wlan-Zugang in München. Oder ich stell den Text ein und schick die Links und Bilder hinterher.

Die allerherzlichste Verabschiedung im gegenseitigen Gefühl, wirklich Freunde gewonnen zu haben. Abends, n a c h der Veranstaltung gestern, zeigten mir Giacomuzzis noch einen Artikel >>>> SAIDs aus seiner Zeit als PEN-Präsident; nun war mir klar, weshalb er mich so herzlich begrüßte. Wir haben dann ein wenig über den Orient gesprochen, über Bombay schließlich, viel weniger über Tokyo; wir haben die Mail- und Wohnadressen getauscht, er möchte mein >>>> Bombay-Hörstück haben. Ich werd es ihm morgen schicken. Auch d a s hat einen Boden voll gegenseitigen Respekts. Ich bin fast glücklich jetzt. Dazu wurde ich zum Literaturfestival >>>> Sprachsalz eingeladen, das an drei Tagen im September in Innsbruck stattfinden wird. Spätestens dann wird es ein Wiedersehen geben. „Bring doch deinen Jungen mit“, sagt Renate Giacomuzzi, „dann können die Kinder“ – Giacomuzzis haben zwei – „miteinander spielen. Das wird lustig bestimmt.“
Die Dschungel werden momentan irgendwie quer durch Innsbruck rezipiert; auch Lindner war gestern abend erschienen, „ich hab durch Zufall in der Zeitung gelesen, daß Sie hier sind“. Doch viel zum Sprechen kamen wir nicht, denn es war vom Literaturhaus am Inn ein getrenntes Essen bestellt. So saß >>>> Lindner mit drei Studenten am Nebentisch. Entfernt erinnert er mich an >>>> Friedhelm Rathjen. Es ist eine ganz ähnliche Art hoher Intellektualität. Dagegen SAID ganz gebunden, ganz irdisch und von dieser speziellen Klugheit eines Emigranten, der nicht sich, sondern sich das Fremde zu assimilieren gewußt hat. Was ein enormer Unterschied ist. Mit welchem Fingerspitzengefühl er, der Ältere, vorgeht, empfundene Nähe auszudrücken. Anfangs nennt er mich nur „Alben Nikolai Herbst“, dann „Herr Herbst“, schon „Alban Nikolai“, endlich „Alban“; dies alles selbstverständlich mit „Sie“. Ich meinerseits modulierte von „Herr Said“ zu einfach nur „Said“. Arbeitsplatz Rückfahrt Inns Schon sein erster Händedruck, als man uns vorstellte, signalisierte Wärme. „Aber wir kennen uns doch“, sagte er. Wir haben uns einmal 1996 oder 1997 gesehen, seither nicht mehr. Er hatte es nicht vergessen, ich – es beschämt mich im nachhinein – schon.
Heisl bringt mich, noch in berggemäßer Kleidung, zum Zug; aber er läßt mich unten aussteigen, im Parkhaus, gewissermaßen unsichtbar. „So laß ich mich nicht sehen in der Stadt“, sagt er, „in solch einem Aufzug, so geh ich hier auch in den Bahnhof nicht.“
Kurz vor der Abfahrt schickt mir A. aus Bamberg eine SMS: Sie, A., sei nun d o c h voller Termine und habe, w e n n, nur abends etwas Zeit. Da ich nun ohnedies erst gegen 17 Uhr dort sein werde, paßt es zwar. Ein wenig traurig bin ich aber doch… nein: Ich spüre etwas Traurigkeit. Auch das ist so, in dieser entfremdeten Art, besser formuliert.
Ich denke, ich werde gleich ein wenig schlafen.

15.01 Uhr. ICE München-Bamberg.
Soweit alles pünktlich, aber mein Münchener Wlan-Versuch über t-online scheiterte, weil ich gerade eine Viertelstunde Zeit hatte, alles einzustellen und die Signalstärke im Münchener Hauptbahnhof furchtbar zu schwanken begann. W a s nun tatsächlich jetzt eingestellt ist, weiß ich nicht, weil für die letzten fünf Minuten zwar noch ein Signal ankam und wohl auch gesendet wurde, aber es war zu schwach. Es könnte also auch ein ziemlicher Salat jetzt in Den Dschungeln stehen. Mal schauen, ob es in den nächsten Bahnhöfen vor Bamberg noch Wlan gibt.