8.30 Uhr:
Eben erst aufgestanden, nicht zu fassen, aber irgendwie nicht schlimm. Rauche und denke.
Als ich heimkam gestern nacht fand ich einen Haufen Mails vor, kluge, mich korrigierende, auch eine eines mir lieben Lesers, der sich nun aber leider aus Den Dschungeln heraushalten möchte, weil ich neulich ein wenig schroff reagiert habe. Ich werde gleich antworten, entschuldigt hab ich mich ohnehin schon. Dann werd ich mich an die Kritik der Aufführung von gestern abend setzen – sie hatte einfach zu viel inszenierte Höhen, als daß ich das nicht besprechen wollte. Im übrigen kommt nachher Elisabeth, die ich tatsächlich mal wieder bezahlen kann (auch wenn es Luxus ist, aber sowohl die Arbeits- wie die Kinderwohnung ist in einem gräßlichen Zustand), vorher werd ich Ordnung geschaffen haben müssen; es liegt wieder alles durcheinander, Post, Bücher, Decken, Papiere, ein reines nachlässiges Chaos. Und die junge Dame, mit der ich morgen den Blinddate zu der Veranstatung im Auswärtigen Abend habe… haben wollte… hat abgesagt im Yahoo-Messenger; sie habe einen Termin vergessen, einen Job-Termin, der bis 18 Uhr gehe. Und, da hat sie nun recht, „Ich arbeite (…) bis mind. 18.00. Das schaff ich nie, geschniegelt und gebügelt zeitgleich woanders zu sein.“ Ich hatte gestern nacht spontan befürchtet, die Absage hänge mit dem zusammen, was sie gestern abend „gelesen und gelesen“ habe; ich hatte ihr, damit sie wußte, auf was sie sich einläßt, den Link auf die fiktionäre Website und also auch zu Der Dschungel gegeben. Aber jetzt werden wir uns – so haben wir eben im Messenger, zeitgleich mit diesem Eintrag, ausgemacht – n a c h der Veranstaltung treffen. Fein. Ich muß ihr für Die Dschungel noch einen nom de plume verpassen; vielleicht wählt sie sich ja selber einen. Oder sollte ich schreiben nom de guerre? – Nö.
Was sonst ansteht? Gläubigerbriefe; ich werde geradezu ein Meister darin, eine literarische Form daraus zu entwickeln. Das hilft zwar faktisch nichts, bekommt aber einen ästhetischen Wert und teilt sich dem Leser als lustvoll mit. Ein Buch mit dem Titel „ANH – Briefe an seine Gläubiger“ stell ich mir superb vor! (Hilfe kam gestern übrigens aus Österreich, wo u.a. mein Tagebuch intensiv gelese wird: Es gebe da einen Notfonds für Dichter, nichts Großes, ein kleiner Betrag nur, aber das könne doch vielleicht helfen… ja, tut’s. Nun ist nicht nur die Miete drin.)
– Nun, liebe Leser, ist meine Madame Nom de Guerre zum Job weg. Und ich kann mich meiner Arbeit widmen. Den Briefen, ARGO, einzwei Paralipomena, die ich bereits für Die Dschungel skizziert habe. Ratz Felix klettert auf mir rum, der arme, ich mag ihn eigentlich gar nicht in den Käfig zurücktun.
13.21 Uhr:
[Messiaen, Saint François d’Assis.Nagano.]
Prunier hat per Email eine schöne nächste Übersetzung >>>> des Gedichtes geschickt, mit dessen letzter Fassung ich immer noch nicht zufrieden bin. Ich erwäge >>>> Mandraguls Vorschlag, der viel für sich hat, den Trakl in der letzten Zeile ‚einfach’ durch ein er zu ersetzen. Insgesamt ist schon klar, daß es bei jetziger Lage der Dinge ohnedies darum gehen muß, aus der ‚eigentlich’ Gemeinten eine ideale Gemeinte zu machen, ganz im Sinne Rilkes, der ja indirekt in den Kommentatoren schon angesprochen wurde: „Das Gedicht spricht zur Welt, nicht zur Geliebten.“ Auch das ist selbstverständlich eine Trennung. Die Kommentatoren haben schon recht: Was mir in der Prosa immer sofort gelingt, nämlich die entfremdende Distanz des Anderen zu schaffen, bereitet mir bei Gedichten noch Probleme. (Aber w i l l ich eigentlich Gedichte schreiben? Ich habe den Impuls tatsächlich immer nur, wo ich liebe… obwohl… ganz stimmt das nicht, sonst wären nicht die Indien- und Stadtgedichte entstanden.)
Aufgeräumt, Mahnungen geöffnet, zugeordnet, eine kleine Überweisung tätige ich gleich noch, weil mich die Citibank wegen einer Visacard-Rechnung anrief; es geht um 30 Euro, das kann ich noch abdrücken; offenbar will man mir die Visacard nun d o c h nicht sperren, sondern sie wieder freischalten, wenn das Geld da ist. In diesem Fall wundere ich mich einmal angenehm, bin geradezu dankbar. Überlege sogar, die Citibank deshalb anzuscheiben und sie also Sponsor zu gewinnen; dafür stellte ich dann das Signet in Die Dschungel. Also wenn man mir etwas dafür gibt, das mir Luft verschafft. Das wäre zwar ein Schritt weg von der ästhetischen Absicht, aber, hoffe ich, letztlich immer noch getragen.
Gleich kommt Elisabeth, dann schnapp ich mir das ARGO-Typoskript und geh nach draußen zum Korrigieren.
(Meine Tastatur spinnt, dauernd löst sich die Umstelltaste und ist auch nicht mehr hineinzubekommen. Einen Laptop-Sponsor brauchte ich also auch. ALBAN NIKOLAI HERBST SCHREIBT AUF ACER: S o sähe dann beispielsweise eine solche Schlagzeile aus…)
17.44:
Es schneit wieder, es ist wunderschön. Allerdings ist der Schnee sehr naß, so daß zweifelhaft ist, ob er liegenbleibt. Falls ja, könnte ich mit meinem Jungen am Wochenende endlich rodeln.
Nahbei für zweieinhalb Stunden in einem sehr schönen arabisch geführten Café gesessen, kleine Sumatra geraucht und ARGO korrigiert; eine gute Distanz zum Schreibtisch, an dem ich ja doch ständig ins Internet luge, um nach Post zu schauen, neue Kommentare in Der Dschungel zu sichten und ggbf. darauf zu antworten, sowie, wenn mir etwas einfällt, eigene Beiträge zu schreiben. Und mir fällt ja i m m e r etwas ein. So nun war ich mit einem Mal im Roman und merkte selbst, wie gut er läuft, aber eben auch, wo noch Fallen verborgen sind oder sogar noch ganz eindrückliche Fehler in der Konstruktion. Bei ARGO muß ich mittlerweile knapp 2000 Buchseiten überschauen, nämlich THETIS und BUENOS AIRES gleich mit – und dort, wo d a schon Konstruktionspannen sind, diese aufheben und in das Gesamtgefüge einschmiegen, also den Fehler zum ästhetisch Gewollten machen. Das g e h t im Nachhinein, kostet aber eine irre Menge an Klugheit, Stil und Witz. Was passiert ist, muß gewollt werden, darauf kommt es bei einem solchen Buchkoloß an, und es führt zu ständigem Umschreiben, Neuansetzen, Probieren. Es ist wirklich ein ästhetik-evolutionärer Prozeß. Wenn ARGO in der Rohfassung abgeschlossen sein wird, etwa in einem Jahr, werde ich mich irgendwohin zurückziehen müssen, fern von allem, fern auch von Informationen, und dann alle drei Bücher am Stück lesen und entsprechend ineinander verzahnen. Außerdem will ich, daß wie in der Lyrik jeder einzelne Satz geformt ist. Nicht mal Döblin, auch nicht Jahnn, bekam das hin; bei Döblin hat Grass mehrmals und mit Recht darauf hingewiesen. Ich will es dennoch schaffen Es bräuchte allerdings einen Wesendonk, mir eine Unterkunft, vielleicht irgendwo am Meer, und Kost und Logis zu gewähren, damit ich das leisten kann. Aber dieser Wesendonk dürfte auf keinen Fall eine schöne Mathilde zu Frau haben. Das verschärft die Problematik entschieden.
Ich denke, ich werde morgen nachmittag vor der Lesung im Auswärtigen Amt ebenfalls in ein Café gehen. Nur sollte ich nicht, wie heute, zwei große Bier dazu trinken; schlußendlich wird man sonst d o c h unkritisch.
Jetzt guck ich mal etwas Die Dschungel durch, und um sieben treffe ich Eisenhauer zum Billard. Seine tief freundschaftliche Intervention bei der Sonntagszeitung , wovon er mir erst nachher erzählt hat, war eher unproduktiv, ich ahnte das ja schon. Jedenfalls krieg ich von dort auf meine Mails keine Antwort mehr, auch nicht da, wo es um einen konkreten Auftrag ging. Dummdas.