Sonntag, der 5. Februar 2006.

5.10 Uhr:
[Eötvös, Drei Schwestern.]
Um 4.30, beim Weckerklingeln, kletterte ich das Hochbett hinunter und schloß das Fenster. Dann kletterte ich wieder hinauf, weil ich irrerweise dachte, laß es erstmal wieder warm werden. Als wäre es hier in der Kinderwohnung nicht ohnedies erheblich wärmer als in der Arbeitswohnung drüben. Deshalb erwischte mich noch einmal ein Traum. Ich traf Burkhard Spinnen darin, der Stein und Bein schwor, mich nun z w e i m a l getroffen zu haben; im Zug hätte ich allezeit neben ihm gesessen, aber mich geweigert, auch nur ein Wort mit ihm zu sprechen. Das geschah auf der Buchmesse, allerdings auf einem utopischen Hof, den ich aus irgend einem SF-Streifen kenne und der dem Be- und Entladen riesiger Lastwagen dient. Wir spazieren also hinüber von Turm Nochwas zu Turm C, wo wir den Fahrstuhl nehmen müssen, da rennen uns zwei junge Männer entgegen, die auf der Flucht zu sein scheinen. Wir sehen sie erst, als sie vor uns Gehende ziemlich grob beiseitestoßen. Der eine der jüngeren Männer, mit vorgestreckten Fäusten, will auch mich umwerfen, ich packe ihn an den Fäusten und schleudere ihn zur Seite. Er fällt neben der Asphaltierung in Sand, bleibt liegen. Wir gehen weiter, ohne uns um ihn zu kümmern. „Selbst schuld“ sage ich, „die denken immer, man könne mich leicht aus dem Weg drängen, und dann liegen sie halt.“
Oben, wo immer das sei, ist eine Gesellschaft, die ich aber gleich schon verabschiede, irgendwelche Geschäftspartner. Sie ziehen ihre Mäntel an, ich bringe sie zum Fahrtstuhl, irgendwer bleibt aber in meiner Wohnung zurück – nein, jetzt weiß ich wieder, wer zurückbleibt. Die Frau. Es ist unsere Wohnung. Vorm Fahrstuhl sagt einer der Gäste: „Aber einen Espresso hätte ich gern noch gehabt.“ „Ja, warum sagen Sie nichts?“ rufe ich aus. Er: „Wenn das s o ist.“ Und macht mit der ganzen Gruppe kehrt und kommt mit in die Wohnung zurück. Da ist aber dann der Espresso alle. „Ich geh eben welchen holen“, sag ich der verwunderten Frau – und bin auch schon weg. SCHNITT. Ich stehe in einem Supermarkt und greife zu einem Espressopäckchen. Den Rest der Geschichte enthalte ich Ihnen vor, denn ich weiß ihn nicht, weil ich aufwachte. Es war fünf Uhr. Der Traum hatte exakte dreißig Minuten gebraucht.
Noch eben das DTs. Dann ARGO.
(Filterkaffee, Jacke mit Kapuze in Pink, Zigaretten, und Ratz Felix, der seit zwei Tagen etwas vernachlässigte, kraxelt auf mir und jetzt dem Küchentisch rum, wovon Katanga nichts wissen oder nur dadurch erfahren darf, wenn er Die Dschungel liest.)

8.06 Uhr:
ARGO: Ich k e n n e nun Goltzens ‚Mission’, was er vorhat. Alles ist immer schon angelegt, man muß nur den Spuren f o l g e n, muß die Themen fließen lassen. Da ging mir dann sogar die Goethe-Transkription, obwohl ich so lange damit ausgesetzt hatte, ziemlich leicht von der Hand. (Ich transkribiere, erinnern Sie sich, den R h y t h m u s der Achillëis, Hexameter Zeile für Zeile, und gebe ihm, Zeile für Zeile, einen anderen Inhalt. Dabei bleibt Goethes Form bis auf die einzelne Hebung und Senkung und ihre genaue Stelle im Vers minutiös erhalten). Ein bißchen was tu ich noch, so etwa eine Stunde lang, dann muß ich den Frühstückstisch vorbereiten. Witzig: Jetzt ist A R G O da und VERBEEN weg.

21.47 Uhr:
Ich kann nicht sagen, unglücklich mit dem ebay-Ergebnis zu sein: 645 Euro für die liebevoll gestaltete Nebenfigur läßt sämtliche Modi offen; es wird nun eine Frage des gegenseitigen Verstehens sein, wie sich dann alles fügt. Und wer weiß, vielleicht mag man einander? Vielleicht entsteht so eine Freundschaft? Wir werden sehen, Sie, meine Leser, und ich. Sie, meine Gegner, möchte ich dabei a u c h nicht vergessen.
Ebensowenig mag ich hinterm Berg damit halten, daß mich in der letzten Stunde s c h o n das Muffensausen erwischte: Was, wenn es eine tragende Figur wird, die – real – mein poetologisches Konzept zum Einsturz bringen und mich vorführen will? Mich haben von dieser und jener Seite durchaus Warnungen erreicht, ‚man’ wolle mir juristisch am Zeuge flicken. Eine solche Gefahr ist nunmehr gebannt. Das erfüllt mich mit großer Erleichterung. Die größte Erleichterung war aber, daß ich just in dieser Stunde mit meinem Jungen ein Gedicht lernen mußte; ich tat es, weil der Tag mit dem Besuch eines seiner Freunde und dessen Mama nichtstuend locker verstrich, zum Vorlesen beim Schlafengehen; meine Junge k a n n das Gedicht nun. Es stammt von Morgenstern, und ich mag es Ihnen vortragen, allein, weil es mir soviel an Nervositäten genommen hat:In einem leeren Haselstrauch,
da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch.

Der Erich rechts und links der Franz
Und mittendrin der freche Hans.

Sie haben die Augen zu, ganz zu,
und obendrüber, da schneit es, hu!

Sie rücken zusammen dicht, ganz dicht.
So warm wie der Hans hat es niemand nicht.

Sie hörn alle drei ihrer Herzlein Gepoch.
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie noch.Sie glauben nicht, liebe Leser, in welch vielen zärtlichen Varianten sich dieses Gedicht rezitieren läßt.