Mittwoch, der 15. Februar 2006.

6 Uhr:
Verschlafen. Es war auch wieder kurz vor eins gestern, als ich vom Odessa und den nicht sehr langen Chansondarbietungen zurückgekommen bin. Und ich seh mich noch, vor anderhalb Stunden und mit drei flachen Fingern, leicht auf die Taste des Weckerchens drücken, um ihn auszuschalten. Dann hatte ich einen schweren, tief ins Unbewußte hängenden Traum, in dem Frauen eine Rolle spielten, aber auch meine Mutter, die unversehends zu einer meiner Lesungen erschien, der ich das Buch gab (es war DIE NIEDERTRACHT DER MUSIK) und der ich sagte: „Lies heute d u.“ Wie zu erwarten tat sie das, es war eine große Zuhörermenge, der Saal riesig. Sie las matt und voller Betonungsfehler, wie eine Laiin halt, das war ihr nicht vorzuwerfen; wohl aber, daß sie gleich meinte, sie könne das. Ich saß an einer Nebenbar und hörte zu, beide Arme auf die Theke gelegt und die Hände übereinander, darauf das Kinn; vor mir ein Whiskyglas. Ein Bekannter kam. „Sie macht deine ganze schöne Erzählung kaputt“, sagte er traurig. Mir war es egal, man kann sogar sagen, ich genoß die Vorstellung und das völlig unbewußte Zerstörungswerk, das hier geleistet wurde. Ich hatte, sehr eigenartig, S y m p a t h i e damit. „Willst d u nicht mal lesen?“ „Nein“, sagte ich, „jetzt ist sie mal hier, da darf sie auch zeigen, was sie kann.“ Wenn ich jetzt, vom latte macchiato nippend und die Morgenzigarette rauchend, darüber nachsinne, so finde ich: ich hatte nicht die Spur von Selbstmitleid, sondern war mit dem ganzen Körper auf ein objektives Betrachten gestimmt, das ich auskosten mochte. Noch während dieser Lesung, die irgendwo in den Tropen stattgefunden haben muß (so war das Gebäude, so auch draußen die Vegetation), erwachte ich.
Vorher hatten wir (?) uns alle entspannt, in einem anderen, zum Fluß hin offenen Saal, auf Liegestühlen, am Ufer, spazierengehend. In einem kleinen Nebenzimmer lag mein Manuskript; ich weiß aber nicht mehr, woran ich gearbeitet habe. Ich wurde gebeten, jenseits des eigentlichen Hauskomplexes eine Tür zu schließen. Ich tat das. Als ich zurückging, rief mir jemand aus einem Fahrzeug zu, jetzt hätte ich jemandem die Aussicht genommen. Als ich das dem Hotelier – oder jemandem, der unsere (?) Gruppe betreute – erzählte, lächelte er und teilte mir mit: „Das ist nur eine Schaufensterpuppe.“
Eine attraktive junge Dame legte sich im Hauptsaal im Bikini auf einen Liegestuhl, um zu lesen. Ich hatte sie bereits die ganze Zeit über beobachtet. Nun kommt jemand mißgestimmt zu mir und erzählt, Frau Soundso, die im Kuratorium unseres Verbandes (?) eine maßgebliche Rolle spielte, habe soeben protestiert: die junge Dame verstoße mit ihrem Aufzug gegen die guten Sitten; wenn der Verband sie nicht ausschließe, werde sie ihn verlassen. Das war keine ungefährliche Drohung, da sie, Frau Soundso, den Verband mitfinanzierte. Auch hier schon reagierte ich mit Gleichmut: „Dann zieh ich mich jetzt aus und lege mich nackt dazu.“ „Das kannst du nicht machen.“ Weiterlächelnd: „Doch, das kann ich.“ Der Hotelier wieder, als ich mich zum Entkleiden zurückziehe, begegnet mir und sagt: „Das ist eine gute Idee. Sollte Frau Soundso abermals protestieren, dann zieht sich der nächste von uns aus. Und wieder der nächste.“ Das hatte Komik, ich sah den ganzen Saal voller Nackter und die junge Dame in ihrem Bikini mitten drin.
Sie reagierte gar nicht, als ich mich tatsächlich nackt neben sie auf dem Liegestuhl ausstreckte, sie sah nicht mal her. Ich war völlig ruhig, ja entspannt. Und blickte, lethargisch, ironisch, ins Auge der Überwachungskamera zurück, das starr auf uns gerichtet war.

So diese beiden Traumkapitel, in umgekehrter Reihenfolge. Irgend etwas hat sie verbunden, aber ich weiß nicht mehr, was. Ich mag sie aus Gründen, die ich zur Zeit nicht fasse, nicht in die >>>> Traumprotokolle einstellen, sondern im Persönlichen lassen, nämlich hier. Als ersten Beitrag des heutigen Tages.
Daß ich verschlafen habe, berührt mich nicht; ich bin viel zu tief in meinen beiden Projekten, als daß mir die Disziplin noch gestört werden könnte. Also, Leser, ARGO jetzt.

10.23 Uhr:
Bis eben an ARGO geschrieben, das 5. Kapitel des Vierten Teils beendet. Zwischendurch trieb es mich um. Surfte, während ich Markus Goltz’ paar letzten Stunden erzählte, durch zwei Kontaktforen, darunter eines neu; ulkigerweise hat ein referrer der fiktionären Homepage darauf verwiesen. Hab flugs ein kleines Profil angelegt, und erst dann, wenn man so durch die sich erbietenden Frauen blättert und jemandem eine Nachricht schreiben will, erfuhr ich, daß die kostenlose Mitgliedschaft 15 Euro im Monat beträgt. Das verstimmt. Zumal man prompt auf das so hilflos-kommunikationslose Profil die Nachricht einer Brandenburgerin erhält, welche Interesse bekundet. No jo, sagt, in allerdings ganz anderen Fällen, >>>> Else Buschheuer immer. Wir dürfen sie heute selbstbildnerisch mit dünner Schönheitsmaske betrachten. Oder ist es nur Seife?
Dann ruft über Vermittlung >>>> meines Verlages tisch7 der mdr an und bittet um ein Abendgespräch am Telefon. Es soll nicht um ebay gehen, ich hörte und staunte, sondern, weil uns die Gattung nunmehr die Vogelgrippe nach Rügen gebracht, um Schwäne in Mythologie und Geschichte. Da freuen sich meine Lexika. Sechs Minuten soll das Interview dauern, und gegen 17.45 Uhr beginnt’s. Wer unter Ihnen den mdr empfangen kann und Lust auf meine Stimme hat, kann ja einschalten. 170 Euro krieg ich dafür, also nicht von Ihnen, bewahre, sondern vom Sender. Das find ich gut.
Jetzt frühstück ich was, dann steht unübersehbar VERBEEN im Raum.

11.13 Uhr:
Ich hab eben Antonellos Annunziata gefunden und in >>>> di Marzos Brief mit eingefügt.

16.54 Uhr:
Heute ist die Arbeit am VERBEEN eher ein K(r)ampf. Hänge in einer Beschreibung fest. Schuld dürfte mein Frauengesurfe vom frühen Vormittag sein. Selbst wenn mich etwas ganz anderes beschäftigt, tief beschäftigt, kann ich doch offenbar meinen Körper nicht betrügen; er fordert zurecht sein Recht. Nur kann ich’s ihm zur Zeit nicht geben, und um so wüst wie erfolgreich herumzukontakten, dazu ist jetzt wirklich keine Muße. Immerhin hab ich wegen des Interviews mit dem mdr nachher enorm viel Schönes über Schwäne gelesen. Also kann man’s auch so sehen: daß ich mit VERBEEN heute nicht recht vorankomme, daran ist die Vogelgrippe schuld. Die – und das hat nun Witz – ausgerechnet von den tiergewordenen Symbolen für Reinheit übertragen wird und, um das zu präzisieren, von der Jungfräulichkeit. So, werte Entkörperungsadepten, schlägt das Heidentum zurück: virös.

19.50 Uhr:
Nun lief es d o c h mit dem VERBEEN. Jetzt hab ich wieder einen Ansatzpunkt gefunden. Und bis eben erst transkribiert, dann umformuliert. Vor allem geht es darum, die nötigen, längeren Romanauszüge so zu raffen, bzw. zu zerschneiden und mit anderen Zitaten und O-Tönen zu durchsetzen, daß das ein Hörspiel ergibt. Es soll ja um Herrgöttinswillen keine Lesung werden. Wenn das nicht willkürlich wirken und sein soll, braucht man permanent einen Einfall – vor allem deshalb, weil ich einmontierte Kommentatoren grob finde und einer poetischen Rundfunkästhetik nicht angemessen. Vielmehr muß alles aus dem Fluß und alles aus nach Sinn und Musik gewählten Collageteilen komponiert sein. – Ah, >>>> June meldet sich soeben.

23.15 Uhr:
Länger mit June diskutiert. Außerdem eine Korrespondenz mit Dorothea Dickmann. Ich möchte versuchen, einen Dschungel-Beitrag daraus zu bauen, bin aber jetzt zu betrunken. Hänge wieder völlig im VERBEEN, von dem ich ja nur Auszüge habe. So präsent der Mann auch ist, so entzieht er sich doch faktisch. Ich will endlich ein ganzes Buch von ihm haben, nicht nur diese zitierten Häppchen.
Und ein neuer Auftrag kam herein, für den es aber kein Geld gibt. Ob ich den neuen Bret Easton Ellis rezensieren wolle: >>>> Lunar Park, Roman. Typisch für mich: bei Ellis hab ich zugesagt. Das kommt jetzt noch auf das ganze Arbeitschaos obendrauf.

Nacht, Leute, heute geh ich mal v o r zwölf schlafen. Dann klappt’s auch (hoffentlich) morgen früh mit den 4.30 Uhr.