Mittwoch, der 22. Februar 2006.

4.39 Uhr:
Müde, aber pünktlich auf. Ich kümmer mich eben um den latte macchiato; mehr weiß ich Ihnen gerade nicht zu schreiben. Außer noch, daß ich mich nachher ein wenig mit der Deutschen Bibliothek werde streiten müssen. Dort bockt wer nämlich jetzt a u c h, nämlich zu unrecht. Später mehr. Die PAVONI zischt, und ARGO wartet.

[Berg, Wozzeck-Suite unter C. Kleiber]… ich vergaß: Der Vorschuß vom SWR ist da. Nun hab ich gestern nacht noch die Miete für Kinderwohnung, einen Teil der Krankenkasse und die Forderung vom GASAG-Eintreiber überweisen können. Das gibt schon mal Luft. Nachher muß ich noch diese Vollstreckungsankündigung raussuchen, um ebenfalls Allerschlimmstes abzuwenden. So, erst noch das DTs, dann ARGO.

8.31 Uhr:
Hier läuft, während ich Oìsins Lager in der Großen Westbrache beschreibe und mir zunehmend deutlich wird, daß er der 50. Argonaut werden wird, parallel ein Filmmitschnitt von Christian Thielemanns Strauss-Arabella in der restlos traditionellen und von daher etwas langweiligen Met-Inszenierung Otto Schenks; er kam heute nacht über Emule herein. Musikalisch ist die Einspielung allerdings himmlisch. Doch höre ich nicht nur, nein, schaue auch dauernd hin. Zwar, vor Jahren sah ich Kiri te Kanawa einmal in der Deutschen Oper, aber ich saß zu weit weg, um wirklich die Frau zu erkennen. Nun bewirkt die Kamera-Nähe, daß eine große, helle, überaus weibliche Stimme mit einem so intensiven Gesicht zusammengeht, daß es mich vom ersten Blick an unmittelbar ergreift. Und ich mich zu verlieben angefangen habe. Und wieder schaue ich vom Text weg hin: Wie singt sie dieses, wie jenes? Welchen Ausdruck verleiht sie der durchweg öden, restaurativen Wiener-Schenk’chen Szenerie? Und so schön Wolfgang Brendel den Mandryka immer auch singt: Er wirkt wie ein schlecht gespielter Doktor Watson gegen die an Gefühlsnuancen so unvergleichlich reichere Arabella. Mandryka ist in >>>> von Pfeils neuer Inszenierung an der Deutschen Oper sehr viel präsenter und angemessener-männlich von Jean Luc Chaignaut verwirklicht. Doch bei Kiri te Kanawas Spiel wird mit einem Mal deutlich, daß Hofmannsthals Name „Arabella“ das Geheimnis eines Orients in sich trägt, den auch das aus selber Quelle stammende Wort „Arabeske“ hat und der „kleine Araberin“ bedeutet. Die Innigkeit wird nun genau dadurch betont, daß Arabella nicht etwa schwarzhaarig ist, sondern in der blonden Spielart brünett: dies öffnet die S p a n n e des möglichen Ausdrucks. Einmal ganz abgesehen von der übrigen körperlichen Schönheit dieser Frau. Doch wie s o l l t e ein Mann absehen können? Und recht hat Mandryka: „Der Herrgott hat diesem Gesicht so viel Gewalt gegeben über mich.“

Zurück zu ARGO. Aber ich m u ß t e das eben schreiben. Das Gefühl muß ja irgendwo hin.

14.41 Uhr:
Nach dem Mittagsschlaf erst ein kleines Rundfunkgespräch im ARD Hauptstadtstudio über den modernen Dandy, Selbstdarstellungen, polymorphe Ichs und insgesamt meine Poetologie, die Sabine Grimkowski in ihrem Feature für sehr verwandt mit den Haltungen von >>>> Frédéric Beigbeder sieht. Mir ist das neu, aber ich laß mich überraschen. Dann wieder, nämlich jetzt, am VERBEEN. Nebenbei will ich die Thielemann-teKanawa-Arabella von avi auf wave umkonvertieren und als CD brennen. Dann ist die Festplatte wieder etwas lockerer. Zwei böse Mails, in denen ich mal wieder „dummer Hund“ genannt werde; ich habe knapp und präzis geantwortet und danach das entsprechende Emailfach geschlossen, um nicht in Versuchung zu geraten, gänzlich unsinnige und meine Arbeit störende Diskussionen zu führen, in denen man sich eh nur verletzt. Dafür unterschwellig ständige Lakshmi-Gedanken.

23.13 Uhr:
Verbeen, Verbeen, Verbeen. Dann „Mr. & Mrs. Smith”, Angelina Jolie und Brad Pitt, schöner, ein wenig utopisch-geschönter Film, viel Knallerei, keine Kunst; dennoch steckt dahinter ein Wunsch. Jedenfalls hab ich, bei aller leisen Eifersucht, auch Traurigkeit, dieses Paar jetzt verstanden. Und werd gleich schlafen gehen. Mein persönliches E-Postfach öffne ich heute nicht mehr, hab Angst vor Ärger. Sollte ich morgen früh drin was auch nur andeutend-mögliches Mieses finden, lösch ich es ungelesen selbst bei nur-Verdacht und gehe meiner Arbeit nach. Die g u t ist. Es kommt darauf an zu s c h a f f e n, nicht zu zerstören. Das meint auch: einander nicht zu verwunden. Oder nur da, wo es – wie bei dem Paar in dem Film, das sich sogar umbringen wollte – Zukunft hat. Sich umbringen zu wollen, ganz konkret, um der Zukunft willen, das wieder hat seine Berechtigung. Das gilt auch für Prozesse.