Erste Produktionsnacht. 27. auf den 28. Februar 2006. Das Wunder von San Michele. (20).

Ich war eine halbe Stunde v o r 17 Uhr bereits im Funk, las im Casino im Typoskript, schrieb ein paar provisorische Anmerkungen für die Musik hinein; um 17 Uhr waren dann bis auf Otto Mellies alle pünktlich da: Antje von der Ahe, die schnell noch etwas aß, zuvor bereits Gerald Schaale, dessen Fragen zum Text wir nahezu schon durchgegangen waren, als Klaus Hoffmann erschien, der zu seiner wahnsinnig schönen Stimme auch noch eine ausgesprochen ästhetische Erscheinung ist, sowie gleich danach der kritische Wolfgang Condrus. Mellies ist ebenfalls pünktlich gewesen, aber hatte den Treffpunkt nicht mitbekommen und wartete beim Pförtner, der irgendwann mal intelligent wurde und auf die Idee kam, im Casino anzurufen. Dann war auch Mellies bei uns, sein Typoskript minutiös mit Betonungsideen versehen und mit nur wenigen Fragen. Eine enorme Achtung der anderen kam ihm entgegen, überhaupt segnete von Anfang an etwas wie Ehre die Produktion. Die letzten Fragen wurden durchgegangen, dann zogen wir ins Studio elf, waren fünf Minuten vor 18 Uhr da, Bernd Friebel, der Toningenieur, erwartete uns schon. Alles war vorbereitet, es brauchte noch ein wenig Umsitzerei der Sprecher, damit nicht eigens die Kanäle umgestöpselt werden mußten. So ging es denn los.In meiner ganzen Zeit, während der ich nun Regie bei meinen Hörstücken führe, habe ich selten derart dezidiert vorbereitete Sprecher erlebt, die sich zumal auf das Spielen freuten. Schaale, der anfangs hochnervös und besorgt gewesen war, daß wir mit der Menge Text nicht durchkämen – obendrein hatten alle einen Heidenrespekt vor Mellies’ Gestaltungskraft -, schoß irgendwann zu einer kleinen Pause strahlend heraus und sagte immer wieder vor sich hin: „Das ist das pure Adrenalin, das ist das pure Adrenalin!“ Er hatte neben Antje von der Ahe den Hauptpart, dafür war auf Mellies der Teufelspart sowie ein langer Monolog gekommen, den er durch- und durchformte. Weniges war einzuwenden vorzuschlagen. Ich selbst h a b ja, wenn es um die Arbeit geht, nicht so den Respekt; aber bei Mellies kam etwas ähnliches zum Tragen, wie ich es von meinem geliebten Peter Lieck kenne, den ich auch schon mal mit der Bemerkung unterbrochen habe, ob es vielleicht weniger nasal gehe… ganz wie Lieck schaltete auch dieser Star sofort auf den jeweiligen Vorschlag um, vorausgesetzt, er befand ihn nicht nur für plausibel, sondern auch für wahr. Mit Antje von der Ahe war besonders zu arbeiten, da sie den Hauptpart oder sagen wir: die tragende Rolle hatte. Wunderbar, später zu beobachten, wie sie und Mellies und dann auch Schaale und sie dort, wo simultan derselbe Text gesprochen werden sollte, miteinander kommunizierten; es waren fast keine Zusatzaufnahmen nötig, es ging fast beim ersten Mal. Dabei ist die Sache selber heikel. Und ich mußte schon lachen, wie Frau von der Ahe, die nach Abschluß der Sprecheraufnahmen von sich aus noch bleiben und ‚überziehen’ wollte, weil sie selbst unbedingt ein paar Stellen noch schöner haben wollte – wie sie, gemeinsam mit Schaale im Studio, als Friebel ihr vorschlug, doch jetzt „das Mellies-Mikrofon“ zu benutzen… – wie sie ausrief: „Au ja!“
Noch eines, was untrügliches Indiz dafür ist, daß alle an einer Produktion Teilhabenden voll dabei sind: Hoffmann ging nicht etwa nach Abschluß seines Parts, sondern fragte, ob er noch etwas zuhören dürfe. Ich hätte mir jetzt ohnedies gewünscht, die beiden flankierenden Sprecher, Condrus und Hoffmann, hätten ein wenig Text mehr gehabt. Aber egal. Jedenfalls habe ich für eine Hörproduktion selten so viel Sprecharbeit mit Schauspielern leisten können, und dennoch waren wir früher fertig, ohne jeden Druck, als bei vielen anderen Produktionen.
Zwischen halb zehn und zehn waren alle Sprecher dann fort; gebucht waren sie bis neun gewesen.

Dann mit Bernd Friebel nach Szenenfolge begonnen; „das mag ich nicht“, sagte er, „erst einmal eine Stunde lang alleine alles zu schneiden.“ Recht hat er. Wir bereiteten, wie wir es sprachen, das Stück dann auf; etwa die Hälfte schafften wir, die Stimmung wurde zunehmend musikalisch. Jetzt erst kam einer meiner Fehler heraus: Ich habe ab Szene V falsch durchnumeriert, es folgt Szene VI, dann wieder (aber eine andere) Szene V; von da an ist es korrekt. Das Stück wird nun zunehmend, je länger wir daran arbeiten, leiser: Die Ohren stimmen sich auf Zwischentöne ein. Und, was mich erstaunt, es wird zunehmend dunkel. Die Nacht, in der die O-Töne aufgenommen worden sind, greift immer mehr Raum – und das in einem kleinen Sonnentempel. Ganz sicher spielt meine Musikauswahl dabei eine Rolle (vor allem Dallapiccola), aber eben nicht nur. Sondern mit Goethe formuliert: Heiterkeit lebt auf einem dunklen Grund. Das ist jetzt extrem spannend. Ich werde ganz am Ende des Stückes, vielleicht erst in die Absage, die H e l l i g k e i t hineinbringen müssen.
20.17 Minuten sind im Kasten. Das ist provisorisch. Morgen möchte ich das ganze Stück im Rohschnitt fertighaben, um dann am Mittwoch mit der Feinarbeit zu beginnen: Ausfüllungen, Tonabstimmungen, immer wieder wiederholen, neu abstimmen, tunen, hier mal einen Nachtvogel dazu, dort ein musikalisches Leitmotiv: sozusagen das Hörpaketchen verschnüren. Friebel blieb, ohne auch nur den Gedanken zu murren, bis Viertel nach eins. Er ließ sich sogar darauf ein, daß ich von der heutigen Nacht zum mehrmaligen Durchhören ein DAT-Band haben wollte. Es gibt überhaupt nichts Schöneres, als zu merken, daß jemand, der etwas, nein: v i e l e s kann, endlich darin auch gefordert wird. Und es gibt. Und versteht. Und man selber versteht a u c h.
Glücklich radelte ich den ganzen Weg vom Rosenthaler Platz im unteren Schöneberg heim auf den oberen Prenzlauer Berg, und die Fahrt kam mir ganz l e i c h t vor. Obwohl einmal die Kette von den Ritzeln sprang.

[Zwischen 2.15 Uhr und 2.59 Uhr geschrieben, aber da war http://twoday.net down, und der Text ließ sich nicht einstellen.]

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