Zur Bedeutung >>>> solcher Stellen und normativer Aussagen in anderen Erzähl- sowie theoretischen Texten wie insgesamt in Der Dschungel:
Es geht nicht darum, ‚Wahrheiten’ zu vertreten, sondern Haltungen in Sprache und Imagination zu nehmen, die in andere Haltungen eingebettet sind und mit ihnen interagieren. Die oft schroffe Formulierung weiß sehr genau, daß sie in einem Zusammenhang steht; ihre Schroffheit reflektiert indes, daß abgewägteres Behaupten sich a l s A r g u m e n t schwächt. Es ist immer mitgedacht, daß von anderer Seite Gegenargumente kommen werden – aber in der Aussage bewußt nicht vorherberücksichtigt. Sondern eine mögliche Wahrheit soll und kann sich erst aus dem Zusammenspiel mit jenen ergeben. Vielleicht nicht einmal für sich selbst (vielleicht aber doch), wohl aber für die Leser.
Dieser Gedanke bestimmt in Der Dschungel beinahe alles, ausgenommen >>>> das Tagebuch. Er hat im übrigen auch eine allgemein- und tagespolitische Implikation: Demokratie funktioniert dort gerade nicht, wo die eine Seite subjektiv ganz zurecht und sehr nachdrücklich ihre eigenen, auch privaten Interessen vertritt, die andere aber die ihren dadurch modifiziert, daß sie die Interessen der anderen immer gleich die eigenen abmildern läßt; sie schwächt sich dadurch sowohl in der Argumentation als auch in der öffentlichen Positionierung. Zu einem ‚gerechten’ Ausgleich der Kräfte – oder zu einem alle Seiten bedenkenden Kompromiß – kann es dann gar nicht mehr kommen, weil der Auseinandersetzung der Argumente einseitig und selbstverschuldet das Gewicht genommen wird. Genau aus diesem Grund, weil etwa Alice Schwarzer das wußte und berücksichtigt hat, waren die ersten Forderungen und Haltungen der Frauenbewegung derart scharf, bisweilen auch grausam („Wenn du versehentlich schwanger wirst, dann spring doch einfach vom Tisch“ – sowas und ähnliches fand sich anfangs – es ging seinerzeit um den § 218 – in der EMMA). Es war aber genau diese auf den ersten, nämlich nicht-taktischen Blick unmoralische, unerbittliche Haltung, was schließlich die Bewegung überhaupt merkbar machte und ihr Kraft verlieh.
Hiergegen hat gerade die politisch-bewußte, moralische Haltung vieler Intellektueller und Künstler ihnen das politische Gewicht entzogen. Noch, wenn ich selbst zur Wahl gerufen bin, denke ich mehr an allgemeine Güter („rettet die Wale“) als an mein eigenes Interesse (etwa die Frage der Mehrwertsteuer für Künstler, die von der Steuergesetzgebung als ‚Unternehmer’ behandelt werden); eine Zeitlang streikte ich sogar mit, da war ich so um die 25 und der Verband Deutscher Schriftsteller Teil der IG Druck, wenn es um Arbeitsplatzverbesserungen der in der Druckindustrie Angestellten ging. Absurderes läßt sich kaum denken, zumal umgekehrt kein Drucker oder Setzer je seine Arbeitsstelle bestreikte und bestreikt hätte, wenn es um Arbeitsbedingungen von Künstlern ging. Noch heute wählen die meisten Angestellten und Arbeiter mit Focus auf ihre Arbeitsplatzsicherung – also im Interesse ihrer Arbeitgeber – und durchaus nicht in Hinsicht auf ökologische Faktoren oder gar die Abhängigkeitsstrukturen der sog. Dritten Welt von der sog. Ersten. Viele Intellektuelle halten das anders; sie haben im Auge die Zerstörung der Umwelt u.ä. und nicht das eigene ökonomische Interesse. In einer von (kapitalistischer) Ökonomie geleiteten Welt schwächt aber gerade das ihre Position, und sie werden zu einem das Spiel allenfalls garnierenden Ball, den man nach je opportunem Gutdünken mal nach hier, mal nach da kicken kann und dessen gesellschaftliche Bedeutung deshalb gegen Null geht.