Ist möglicherweise das ontologische Fundament der artifiziellen Erzählung-an-sich: in ihr erübrigt sich die Frage, ob etwas so oder wie es denn „wirklich“ gewesen sei; sie weist sie als nicht nur unstatthaft, sondern vor allem als unangemessen ab und formuliert die Eigenständigkeit literarischer Welten. Eigenständigkeit bedeutet freilich nicht, es müsse eine Ezählung nicht ‚geerdet’ werden; sehr wohl speist sie sich aus Erfahrungen. Diese aber werden in einen anderen Wirkzusammenhang übersetzt, der eine ganz eigene und eigenständige Imaginationswelt ist, zwar mit der ‚Realität’ verbunden, aber wie deren – scheinbar unmittelbare – Wahrnehmung selbst ihrerseits Interpretation von Welt, und zwar, im Roman, von sowohl sinnlicher w i e intellektueller Art.
Das übrigens macht Kunst lebensnäher als Wissenschaft: weil sie auf die Sinne wirkt wie die Phänomene von Welt; zugleich analysiert sie aber doch, jedenfalls im Roman. Man kann sagen: in der Kunst stellen die Sinne Fragen – und beantworten sie, weltgemäß, mehrdeutig*. Ihre Antworten haben neben den geschichtenhaften und geschichtlichen Aspekten etwas Orakel- und Gleichnishaftes, was sie wiederum mit den Religionen verbindet. Nur daß sich auch das über die sinnliche Erfahrung herstellt. Darin, nebenbei, lag immer die Kraft des Korans: Schönheit als Erkenntnisform. Auch in Luthers Bibelübersetzung wittert davon einiges nach.
*) Dieser Mehrdeutigkeit wegen irrten so gut wie alle Ansätze, die Kunst für den Arbeitskampf in Bewegung setzen zu können vermeinten. Was gesellschaftlich verändern will, muß gerichtet sein; Kunst ist aber in ihrem Wesen und deshalb auch in ihren Bedeutungen und Meinungen polymorph. Sie hat immer etwas „Zugleiches“. Gute Kunst ist – Bildungsdifferenzen und kulturelle Rezeptionsgewohnheiten einmal außer Acht gelassen – immer Kunst-für-alle. Deshalb sind selbst die schlimmsten Menschenrechtsverbrecher nicht selten von den Künsten erreichbar. Sie gewähren potentiell jedem ihre Genüsse. Sofern man sie denn will. (Nicht selten allerdings setzt solch ein Wille – Kunst- und Rezeptionswille – Arbeit voraus.)
Adornos Proklamation einer Kunstfom, die keinen Mißbrauch mehr gestattet, mußte darum ganz folgerichtig das schließliche Verstummen favorisieren oder die ‚reine’ und zugleich moralischste Intellektualität. Genau sie aber ist kunstfremd, weil sie, wie jedes andere Bilderverbot, die Sinne denunziert, die doch Grundlage aller Künste sind. Was sinnlich aber wahrgenommen wird, entzieht sich wie jede Wiese, jeder Baum, jedes Haus und jedes Geschöpf schon als-Phänomen der Moral.
Mir scheint das ein höchst fragwürdiger, weil kunstzentrierter Ansatz. Einem Wissenschaftler den sinnlichen Zugriff auf seine „Arbeit“ absprechen wird jenen nicht wenig erzürnen. Und ich finde dafür keine Grundlage, warum eine Physik nicht ebenfalls polymorph ist, nicht genauso auf die Sinne wirkt. Geschweige denn eine Mathematik.
@ Grau. Der sinnliche Zugriff wird dem Wissenschaftler durchaus nicht in jedem Fall abgesprochen, wohl aber dann die „sinnliche Formulierung“ des Ergebnisses, das in den Wissenschaften notwendigerweise auf den Satz vom ausgeschlossenen Dritten fokussiert ist und auch sein muß. Diesem aber gerade widersteht Kunst, indem sie dort, wo eines ist, auch ein anderes sein läßt [ich beziehe mich auf den Grundsatz des natürlichen Schließens „A→ A und ⌐(⌐A)]. Genau das wird von den Wissenschaften bestritten und m u ß auch bestritten werden, weil es sonst keine eineindeutigen Ergebnisse gäbe. Wiederum umgekehrt gibt es keine künstlerischen Ergebnisse, wird dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten gefolgt.
Vergessen Sie im übrigen nicht, daß ich hier an einer Ä s t h e t i k herumformuliere. Eine solche ist selbstverständlich nur teilmengig ein Gebiet der Erkenntnistheorie ist, also unter anderem. Dies zu Ihrem Einwand der Kunstzentriertheit. Ja, Kunst ist in Den Dschungeln zentral. Diese Perspektive mit anderen Perspektiven zusammenzudenken, ist jedem Leser selbst überlassen.
Ein sehr schöner Ansatz! Wissenschaft stellt sich ja in ihrer Technikzentriertheit als eine Gottheit dar (siehe H. E. Richter). Nur Kunst ist oft nicht einfach oder überhaupt zu verstehen.
@ Troll-Y. Weniger um das normativ Monotheistische der Wissenschaften ist es mir im Vergleich zu den Künsten zu tun, als in d e m Moment, das ich hierüber in meiner kurzen Antwort an Grau skizziert habe. Es sind also keine Macht-Hinsichten, die ich derzeit diskutiere, sondern ontologische. In Fragen der Macht haben die Künste ganz sicher nicht weniger schmutzige Hände – sofern die Künste an Macht k a m e n. Dieses ist auch – vorausbefürchtend – pro domo getippt.