Freitag, der 28. April 2006.

5.37 Uhr:
Um halb sechs klingelte der Wecker; ich hab leichten Kopfschmerz, vielleicht war der Wein nicht so ganz sauber, kann sein. Immerhin auf und jetzt eben DTs und Tagebuch geführt.
Das wird ein eher stressiger Tag werden: um kurz nach sieben geht der ICE nach Berlin, dort sind noch Sachen zu holen, vor allem aber mein Junge, der übers verlängerte Wochenende wieder hierher nach Bamberg möchte. Also hol ich ihm um halb vier nachmittags von der Schule ab, werd ihn zur Musikschule bringen und um viertel nach fünf abermals abholen, um gleich mit ihm zur S-Bahn zu gehen und um 18.33 dann den ICE nach Bamberg zu besteigen. Gegen 23 Uhr werd ich zurück sein. Gearbeitet wird deshalb heute im Zug. Ich hab noch immer dieses Erzählproblem, die Geschichte Skamanders betreffend und ihre Einbindung in die historische Abfolge von THETIS. Hier nämlich hilft die >>>> MöglichkeitenPoetik nicht weiter; übrigens zeigt sich daran ihre Stärke, auch wenn ich ihretwegen nun so zu knabbern hab: auch sie verlangt Konsistenz: eine ganz eigene Form, die sich erst nach und nach entwickelt und keineswegs schon ‚fertig’ ist.
Es wäre übrigens leicht, das Problem zu umgehen, dem Ganzen täte das – jedenfalls für Sie als Leser – keinen Abbruch; Sie merkten es wahrscheinlich nicht einmal, und auch das ‚Fachpublikum’, die ‚Berufsleser’, merkten es nicht (vielleicht aber eines Tages die Universitäten, wenn das Buch analysiert und jedes ‚Geschummel’ und jede vertane Möglichkeit bemerkt werden wird). Das Problem stellt sich vor allem meiner eigenen inneren Seriosität. – Merken Sie, wie mich das beschäftigt? Sehr wahrscheinlich werde ich die Schreibarbeit vielleicht nicht gerade unterbrechen, aber doch zeitlich zurückfahren und in einem Rutsch noch einmal THETIS und BUENOS AIRES hintereinander weglesen* müssen, um alle Fäden ganz parat zu haben. Die Arbeit an THETIS liegt immerhin an die zehn Jahre zurück; daß da mal was vergessen wird, ist auch für den Autor verständlich. Nur ist, daß etwas verständlich ist, zwar eine menschliche Kategorie, eine poetologiche indes mitnichten.
[*) Witziges Wort: ‚weglesen’; – also wären die Bücher danach nicht mehr da…]

Sò. Einen Kaffee noch, dann duschen, dann das wenige Zeug zusammennehmen (leer fährt Herbst hin, voll kommt er wider) und los. Weiteres tipp ich im ICE.

7.36 Uhr.
[Händel, Giulio Cesare.]Erst einmal sämtliche Angaben aus THETIS zu Jensen senior, Jensen junior und dem ersten Odysseus zusammenstellen. Danach auf das alte Zeitschema in THETIS zurückgreifen, das in den Thetis-Dateien unter „Apparat“ abgespeichert ist. Nun bewährt es sich abermals, daß ich seit WOLPERTINGER immer mit dezidierten, fast pedantischen Registraturen arbeite und daß mein Gesamtwerk in digitalisierter Form immer bei mir im Laptop mitfährt (nur bei MARLBORO und DIE VERWIRRUNG DES GEMÜTS ist das bislang noch nicht so; außerdem liegt der WOLPERTINGER-Apparat noch nicht in digitalisierter Form vor; das wär auch eine irre Arbeit, die ganzen drei fetten Ordner einzuscannen, zumal da vieles nur handschriftlich vorliegt).10.08 Uhr:
Eine neue Arbeitsabteilung ARGO begonnen: Zusammenstellung sämtlicher auf den Jensen/senior-Jensen/junior-Odysseus-Skamander-Komplex zu beziehenden Stellen aus THETIS, um ARGO mit ihnen kompatibel zu machen. Es wird jetzt sehr deutlich, w i e zentral das Motiv für ANDERSWELT insgesamt ist; hieran wird sich die Flexibilität der Möglichkeiten-Poetik erweisen und ob sie tatsächlich fähig ist, mit einem realistisch-chronologischen Erzählansatz in Kongruenz und Tragfähigkeit gleichzuziehen, ja ob sie ihm, wie ich glaube, überlegen, nämlich >>>> genuin-literarisch ist, während doch der sog. Realismus immer nur die positivistische Geschichtsschreibung kopiert.




12.44 Uhr:
[Berlin, Kinderwohnung, Küche.]
G u t e Arbeit im Zug, wenn die Lösung auch noch nicht gefunden ist. Welch seltsames Gefühl aber dann, in meine Arbeitswohnung zu kommen und meine Bücher vom Board zu nehmen und in den Rucksack zu packen; ebenso die Hörstücke. Die Arbeitswohnung – Zentrum meines literarischen Denkens seit fast genau zwölf Jahren – bekommt etwas ungerecht Geleertes Verwaistes, als reduzierte man sie, machte sie klein. Da ich dort in diesem Jahr auch keinen Netzanschluß mehr habe, ließ sich eigentlich auch nichts Vernünftiges da tun jetzt, denn um Musik zu hören, fehlt mir heute wirklich die Muße.
Übrigens rief >>>> Abendschein übers Mobilchen an; er sei gerade in Berlin und hätte mich gerne getroffen; aber er habe dieses Tagebuch für heute gelesen und fürchte, ich hätte eher keine Zeit. Vielleicht schaffe ich aber alles sehr schnell, was vorgenommen ist; dann könnte ich die Stunde einschieben, in der mein Sohn Musikschule hat, – irgendwo da in der Nähe.
(Ein gutes Gefühl, übrigens, daß ich am Montag bereits w i e d e r in Berlin sein werde, um nämlich den Jungen zurückzubringen; da werde ich ganz sicher am späteren Abend den Profi treffen können, vielleicht vorher sogar Eisenhauer. Wenn ich in Berlin nach etwas Abwesenheit ankomme, schlägt mein Herz hoch – immer noch – das hat sich im vergangenen Jahrzehnt nicht geändert. Ich muß diese Straßen nur riechen…)

19.10 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg.]
Nun also schon wieder auf der Rückfahrt; es wurde doch noch ein wenig hektisch, weil die Musiklehrerin überzog. Aber Lakshmi rief an, sie wolle uns noch schnell sehen, ob sie eben zur Musikschule kommen könne? – Sie nahm den Jungen dann schon mal zur U-Bahn voraus, und ich eilte in die Kinderwohnung, um den unterdessen s e h r schweren Rucksack zu holen. An der U-Bahn trafen wir uns dann alle, es war ein kurzes Sehen, aber wunderschön – und ab ging’s zum Bahnhof. Jetzt hat der Junge bereits Kontakt mit einem gleichaltrigen Mädchen, unterhält die Sitzreihe dort, klettert herum, und ich geh weiter an meine Skamander-Odysseus-Jensen-Zusammenstellung.
Hartmut Abendschein traf ich noch, während der Musikschulstunde, die ohnedies zu überbrücken war. Freundliches Gespräch im XION, Stargarder/Pappelallee, draußen sitzend, ein Bier trinkend; a u c h ganz ungewohnt für mich.

20.20 Uhr:
Jetzt h a b ich die Lösung des Erzählproblems; eine Zeitentabelle zu entwerfen, war nötig. Danach ergab es sich eigentlich von selbst. Nun muß diese Lösung ins ARGO-TS hineingefädelt werden. Nur noch eine Nebenfrage ist offen.

23.56 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Schreibtisch.]
Zurück. Etwa gegen halb zehn schlief der Junge im Zug tief ein; ich hatte ihm vorgelesen, es brauchte keine zehn Minuten. Er war dann so schwer auf die Beine zu bringen bei der Ankunft um zehn vor elf, daß ich ein Taxi nahm: ich hätte den Jungen nicht mehr eine halbe Stunde durch die Nacht laufen lassen mögen, auch wenn ich selbst dieserart Ausgaben immer sehr sehr scheue.
Nun guck ich noch ein wenig durchs Netz, komplettiere das DTs und trinke einen >>>> Talisker, den ich mir, nachdem endlich Stipendiengeld auf meinem Konto war, heute in Berlin besorgt habe. Es ist, neben Ardbeg, mein absoluter LieblingsMalt – so sehr schätze ich ihn, daß ich >>>> eine Romanfigur nach ihm benannt habe.

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